Rennen gegen die Zeit: Tunnel-Drama hält Indien in Atem
Neu Delhi (dpa) - Es sind verschwommene, wackelige Aufnahmen, die aber für die verzweifelten Familien ein Hoffnungsschimmer sind: Eine Kamera filmt erstmals die 41 Arbeiter, die seit zehn langen Tagen in einem teilweise eingestürzten Autobahntunnel in Indien festsitzen. Man sieht darauf Eingeschlossene mit Schutzhelmen, die in einem hohen Tunnelteil stehen und mit den Helfern draußen via Walkie-Talkie kommunizieren.
«Wenn es euch gut geht, kommt vor die Kamera», bittet ein Retter aus dem Off. «Ihr alle, kommt vor die Kamera.» Für die verzweifelten Familien der Männer, die sich beim Unglücksort aufhalten, sei es eine Erleichterung, die Videos zu sehen, schrieb der «Indian Express». «Nehmt falls nötig unser Haus und Land, aber bitte bringt uns unseren Sohn sicher zurück», sagte die Familie des 22 Jahre alten Arbeiters Pushkar Singh Airi der Mediengruppe «India Today» schon zuvor.
Eine erste warme Mahlzeit
Retter versuchen nun schon seit Tagen, die 41 Männer aus ihrem Gefängnis unter dem Berg zu befreien. Immerhin: Sie stehen in Kontakt mit den Männern, nun sogar mit einer Kamera. Und es gibt noch eine gute Nachricht in diesem Drama: Die Retter konnten laut den Berichten eine zweite Röhre zu den Männern errichten, durch die diese ihre erste warme Mahlzeit in zehn Tagen erhalten haben. Ein Reis-Linsen-Gericht wurde in Flaschen durch zu den Männern geschickt.
Bislang verband die eingeschlossenen Männer nur eine sehr enge Röhre mit der Außenwelt, durch die sie Sauerstoff, Trockenfrüchte, Popcorn und Wasser erhalten konnten. In den kommenden Tagen sollen auch Handys und Ladegeräte zu ihnen gelangen können, berichtete der örtliche Fernsehsender NDTV.
Und die eingeschlossenen Arbeiter werden bereits mit Medikamenten versorgt. Unter anderem litten sie mittlerweile an Kopfschmerzen, Verstopfung und an Platzangst, heißt es.
Eingeschlossen hinter Dutzenden Metern Schutt
Die Bauarbeiten an einem 4,5 Kilometer langen Autobahntunnel waren in vollem Gange, als dieser am 12. November nach einem Erdrutsch teilweise einstürzte. Der Unglücksort befindet sich nahe der Kleinstadt Uttarkashi im Himalaya-Bundesstaat Uttarakhand - eine Region mit vielen hinduistischen Tempeln, die Pilger anzieht. Der Tunnel sollte die Verbindungen dort verbessern.
Die Arbeiter sitzen hinter Dutzenden Metern Schutt fest. Zunächst stellten die Behörden eine schnelle Rettung in Aussicht. Aber immer wieder scheiterten Versuche mit verschiedenen Maschinen. Das Geröll ist hart, das Gelände unsicher. Am Freitag wurden die Arbeiten mit einem Bohrgerät eingestellt, nachdem deutlich zu hören war, wie sich im Innern des Bergs ein Riss auftat.
Mittlerweile versuchen die Helfer Bohrungen von drei Seiten. Premierminister Narendra Modi ließ verkünden, dass man die Moral der Männer unbedingt aufrechterhalten müsse. Aber wie lange sie noch auf engem Raum ausharren müssen, ist derzeit völlig unklar.
Am Wochenende hatten die Behörden angekündigt, sich um die Unterkunft, Verpflegung und die medizinische Betreuung der wartenden Familien zu kümmern, wie die örtliche Nachrichtenagentur ANI berichtete. Mehrere Politiker und Behördenvertreter besuchten die Unglücksstelle bereits.
Erinnerungen an Thailands Höhlen-Drama
Das indische Tunnel-Drama weckt Erinnerungen an die waghalsige Rettung eines Jugend-Fußballteams aus einer plötzlich überfluteten Höhle in Thailand vor fünf Jahren. Medien aus aller Welt berichteten damals tagelang über die spektakuläre und hochriskante Rettungsaktion in der Tham-Luang-Höhle. Schließlich wurden die Eingeschlossenen von Spezialtauchern unter anderem aus Großbritannien und Australien ins Freie gebracht. Und auch in Thailand gab es wie in Indien erst nach Tagen Video-Aufnahmen der Jugendlichen, die die Familien ungemein erleichert haben.
Mit Experten, die an dieser geglückten Rettungsmission in Thailand beteiligt waren, nahm die indische Regierung nun Kontakt auf - in der Hoffnung, dass es auch für die Gefangenen im Tunnel ein Happy End gibt. Zudem wurden Experten aus Norwegen kontaktiert. Die gute Nachricht ist: Noch gibt es Hoffnung. Anurag Jain vom Verkehrsministerium zeigte sich überzeugt: «Es wird einige Zeit dauern, aber wir werden sie schließlich herausholen.»