Schwangerschaftsabbrüche: Wo ist der Bundestag?

Abgeordnete sollten über eine Reform zu Schwangerschaftsabbrüchen entscheiden – Straffreiheit steht im Raum

Demonstranten fordern Mitte April in München die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen (Bild: REUTERS/Christine Uyanik)
Demonstranten fordern Mitte April in München die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen (Bild: REUTERS/Christine Uyanik)

Eine Expertenkommission der Bundesregierung rät dazu, Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen zu legalisieren. Weil die Union schon nach einem Kulturkampf schreit, scheut sich die Ampel. Aber es gibt ja auch noch den Bundestag. Warum sollten die Fraktionen nicht miteinander konkurrierende Gesetzesvorschläge einbringen? Es wäre ihre ureigene Aufgabe.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eine unfaire, aber effektive Methode im politischen Wahlkampf beherrscht Dorothee Bär recht gut: Sie warnt vor etwas, das sie selbst herbeiredet. „Wir brauchen keine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion der „Bild“-Zeitung. Das ist Bärs gutes Recht. Dann aber folgten eine falsche Analyse und eine böse Drohung: „Wir haben einen Kompromiss, der einen gesellschaftlichen Frieden in dieser Frage über Jahrzehnte gesichert hat.“ Ohne Not wolle die Ampel „diesen Kompromiss aufschnüren und riskiert damit gesellschaftliche Konflikte“, so Bär.

Aha. Der gesellschaftliche Frieden, von dem die Christsoziale spricht, wurde auf dem Rücken von Frauen gezimmert. Was hat sich ein Mann in Bochum darüber zu echauffieren, wenn eine Frau in Dresden darüber nachdenkt, jetzt kein Kind kriegen zu wollen? Bär verschiebt hier ganz bewusst die Ebenen und tut so, als wäre es ganz normal, wenn man Frauen da brutal reinredet. Friedlich klingt das nicht.

Und die gesellschaftlichen Konflikte, vor denen die Politikerin warnt, schürt sie selbst. Bärs gutes Recht ist, sich für ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen auszusprechen. Dann sollte sie aber in zwei Punkten ehrlich sein: Zum einen, dass sie bereit sein sollte, in einen Wettbewerb über die besten Ideen zu diesem Thema einzusteigen und zum anderen, dass sie in Wirklichkeit damit Wahlkampf betreiben will, Stichwort: Sprecherin der besorgten Bürger, die immerzu auf der Suche nach Problemen sind, über die sie sich sorgen können; sonst wäre das Leben doch etwas fad.

Dorothee Bär will des
Dorothee Bär will des "gesellschaftlichen Friedens" willen nicht am Gesetz ändern (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Wer bevormundet hier wen?

Nun hat aber eine von der Bundesregierung beauftragte Expertenkommission lange dazu getagt. Sie wird sich wohl, nach Informationen des „Spiegel“, für ein Ende der Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen aussprechen. Heißt: In den ersten zwölf Wochen soll es einfacher werden. Das große Problem ist nämlich die Stigmatisierung. Immer noch wird vom Staat so getan, als müsse er Sorge dafür tragen, dass Frauen bewusst und reflektiert sind, wenn sie eine Schwangerschaft beenden wollen. Dieser Quatsch ist nur mit der Vorstellung zu vergleichen, der Staat wolle schauen, ob Frauen auch richtig atmen.

Schon interessant, wie Bevormundung von rechts funktioniert. Den Grünen wird zunehmend und reflexhaft angedichtet, sie wollten den Leuten dieses & jenes aufzwingen – aber für Konservative scheint es völlig in Ordnung zu sein, wenn sie in existenzielle Fragen von Frauen, immerhin 50 Prozent der gesamten Bevölkerung, mal so eben von der Seite reingrätschen.

Und die gebeutelte Ampel-Koalition, die ja als „Modernisierer“ angetreten war, fürchtet diese Schlammschlachten. Klar, alles was sie gerade anstellt, versucht die Opposition durch den Kakao zu ziehen – das war schon immer so und gehört zur Demokratie dazu. Nur hat das Potenzial an Erregung und Missbilligung gewisse Höhen erreicht.

Aber es gibt einen Ausweg.

Wegducken ist auch keine Lösung

Wenn schon die Regierung als solche nicht in die Arena der politischen Auseinandersetzung steigen will, könnte sie es dem Parlament überlassen. Der Bundestag ist sowieso der Ort dafür. Nicht jedes Thema muss entlang von Partei- und Fraktionsgrenzen erörtert werden. Schon öfters setzte sich der Bundestag mit wesentlichen Fragen wie etwa Sterbehilfe unabhängig von Vorgaben auseinander – dann entschied jeder Parlamentarier nur nach seinem eigenen Gewissen. Genauso sollte es auch mit der Frage sein, wie weiter mit Schwangerschaftsabbrüchen verfahren werden soll. Hauptsache, der Bundestag wird proaktiv. Hauptsache, Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen kommen zusammen und feilen an eigenen Gesetzentwürfen. Dies wäre der freie Wettbewerb. Ein gesellschaftlicher Konflikt, wie Bär ihn an die Wand malt, aber noch lange nicht.

Der Status quo ist also zu überprüfen. Wer ihn beibehalten will, kann sich gern dafür einsetzen. Persönlich sehe ich großen Handlungsbedarf. Es ist eine Schande für unser Land, dass Frauen diskriminiert werden, wenn sie für ihr Leben selbst planen wollen. Dass ein Schwangerschaftsabbruch immer noch im Strafgesetzbuch steht, ist eine Sache von vorvorgestern.

Andere Länder sind da längst weiter. Viele unserer Nachbarn haben auf verpflichtende Beratung und Wartezeit verzichtet; nur Polen steht diesem Thema noch restriktiver gegenüber. Und dies womöglich auch nicht mehr lange. Nun also wäre die Stunde des Parlaments.