Studie: Seit 1970 sind fast 70 Prozent aller Wildtiere ausgerottet worden

Alle zwei Jahre veröffentlicht die Naturschutzorganisation WWF ihren "Living Planet Report" – und die aktuelle Publikation liefert alarmierende Daten: Denn das globale Barometer der Artenvielfalt ist auf einem neuen Tiefstand angelangt.

Der Östliche Flachlandgorilla ist durch Wilderei bedroht. Der Living Planet Report 2022 ist die bisher umfassendste Studie des
Der Östliche Flachlandgorilla ist durch Wilderei bedroht. Der Living Planet Report 2022 ist die bisher umfassendste Studie des "World Wide Fund For Nature" zu Trends in der globalen Biodiversität und der Gesundheit unseres Planeten. (Bild: Reuters/Jonny Hogg)

Der Bericht des "World Wide Fund For Nature" zeigt: Die weltweit untersuchten Populationen von Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Reptilien und Fischen sind seit 1970 im Schnitt um über zwei Drittel eingebrochen. Der Living-Planet-Index beruht auf Daten von 32.000 Wirbeltier-Populationen aus 5.230 Arten, deren Bestände durchschnittlich um 69 Prozent gesunken sind.

WWF Deutschland: "Wir verlieren sehenden Auges unsere Lebensgrundlagen"

Die Ursachen für den Artenverlust verantwortet laut WWF der Mensch. "Unsere Gesundheit, Wirtschaft, ja unsere gesamte Existenz hängt von der Natur ab. Sie ist wie ein Turm, in dem jeder Baustein eine Tier- oder Pflanzenart darstellt. Je mehr Steine aus dem Turm herausgeschlagen werden, sprich je mehr Arten aussterben, umso instabiler wird er", wird Christoph Heinrich, geschäftsführender Vorstand des WWF Deutschland, in einer Mitteilung der Organisation zitiert.

Das sind die Top Ten: Die gefährlichsten Tiere Deutschlands

Heinrich: "Wir zerstören diesen Turm gerade mit dem Presslufthammer und verlieren sehenden Auges unsere Lebensgrundlagen. Unsere Fehler im Umgang mit der Natur werden Generationen nach uns auf ewig belasten."

Als Hauptgründe für die Artenkrise nennt der WWF zerstörte Lebensräume vieler Tiere respektive Pflanzen, die Umweltverschmutzung und die Klimakrise.

Wilderei: So steht es um den Schutz des Östlichen Flachlandgorillas

Hier seien exemplarisch Arten genannt, deren Bestände einen besorgniserregenden Rückgang verzeichnen. Der Östliche Flachlandgorilla ist durch Wilderei bedroht. Sein Bestand im Kahuzi-Biega-Nationalpark in der Demokratischen Republik Kongo ist seit 1994 um etwa 80 Prozent eingebrochen.

Ein Amazonas-Delfin im brasilianischen Manaus. (Bild: Getty Images)
Ein Amazonas-Delfin im brasilianischen Manaus. (Bild: Getty Images)

Die Zahl Gewöhnlicher Delfine im Ionischen Meer ist – hauptsächlich wegen der Überfischung ihrer Beutetiere – zwischen 1995 und 2007 um 90 Prozent zurückgegangen. Und 2019 flogen um 56 Prozent weniger Feldlerchen in Europa als noch 1980. Die Ursachen liegen hier in erster Linie im Einsatz von Pestiziden in der industriellen Landwirtschaft und im Flächenfraß.

WWF erklärt: Konkreter Artenschutz wirkt

An einigen Stellen lassen die Daten des Living Planet Report auch hoffen. "Anhand konkreter Beispiele zeigt sich, dass Natur- und Artenschutzmaßnahmen wirken. Die Menschheit verursacht nicht nur die Probleme, sondern hält auch den Schlüssel für deren Lösung in Händen", betont WWF-Experte Georg Scattolin.

So ist die Population von Tigern in Nepal von 2009 (121 Tiere) bis 2018 (235) dank strenger Schutzmaßnahmen um 91 Prozent gestiegen. Aktuell werden 355 Tiger gezählt. In der Ostsee ist die Population von Kegelrobben zwischen 2013 und 2019 um 139 Prozent gewachsen.

Wie sehr sich der Negativtrend beschleunigt, zeigt ein Blick auf die erste WWF-Langzeitstudie aus dem Jahr 1998: Damals lag der ermittelte Gesamtrückgang bei Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Reptilien und Fischen für den Zeitraum 1970 bis 1995 bei 30 Prozent, 2018 waren es dann schon 60 Prozent. Soll heißen: Das derzeitige Massenaussterben vollzieht sich schneller als alle bekannten früheren Massensterben in der Geschichte der Erde.

Bizarres Selfie mit Tiger: Frau erntet Shitstorm

Auf der Weltnaturkonferenz im Dezember im kanadischen Montreal wird ein neues globales Abkommen zum Erhalt der biologischen Vielfalt verhandelt. Ziel sei es, das Artensterben und den Verlust von Ökosystemen bis 2030 zu stoppen, so der WWF. Die Naturschutzorganisation fordert die Bundesregierung auf, sich in Montreal für ambitionierte Ziele einzusetzen und die internationale Biodiversitätsfinanzierung Deutschlands bis 2025 auf mindestens zwei Milliarden Euro im Jahr zu erhöhen.

So bedingen sich Artensterben und Klimakrise gegenseitig

Der WWF weist auf die "fatale Wechselwirkung“ zwischen Artensterben und Klimakrise hin: Bei einer globalen Erderhitzung um 1,5 Grad liege der Anteil der Arten mit hohem Aussterberisiko durch die Klimakrise bei vier Prozent. Erhöhe sich die Erhitzung auf drei Grad, steigt dieser Anteil auf 26 Prozent.

Umgekehrt heizt der fortschreitende Verlust an biologischer Vielfalt die Klimakrise weiter an. Brennende Regenwälder, aussterbende Arten und immer größere Monokulturen verhindern zunehmend, dass die Ökosystem Kohlenstoff speichern können. Christoph Heinrich: "Wenn wir so weitermachen wie bisher, drohen wir im Kampf gegen die Klimakrise unsere beste Verbündete zu verlieren: die Natur."

Im Video: Pestizid-Einsatz seit 1990 enorm gestiegen