"Zu viel Aufmerksamkeit": Richard David Precht kritisiert Kindererziehung der Deutschen

Richard David Precht (links) und Markus Lanz sprachen in ihrem ZDF-Podcast diesmal unter anderem über Kindererziehung im Lichte der Evolutionsbiologie. (Bild: ZDF / Christian Bruch)
Richard David Precht (links) und Markus Lanz sprachen in ihrem ZDF-Podcast diesmal unter anderem über Kindererziehung im Lichte der Evolutionsbiologie. (Bild: ZDF / Christian Bruch)

"Kinder können nicht zu viel Liebe kriegen, aber leicht zu viel Aufmerksamkeit": In seinem gemeinsamen Podcast mit Markus Lanz erklärte Richard David Precht, warum immer mehr Deutsche bei der Kindererziehung auf dem Holzweg seien. Eltern verlören ihre Instinkte. Die Südländer nannte er als Vorbild.

Die Diskurswege eines Philosophie-Podcasts sind unergründlich. Über das Thema Evolutionsbiologie und eine ausführliche Würdigung der Urwaldabenteuer Alexander von Humboldts kamen Richard David Precht und Markus Lanz auf die Kindererziehung der Deutschen zu sprechen. In Ausgabe 102 ihrer fürs ZDF produzierten Gesprächsreihe "Lanz & Precht" erkannten beide aus ihrer jeweiligen Beobachtung heraus Nachholbedarf - wenn auch mit unterschiedlicher Akzentuierung.

Er sei oft in Spanien, kam Precht zunächst auf ein in seinen Augen positives Beispiel zu sprechen. Dort säßen auch die kleinen Kinder bis Mitternacht beim Essen. "Die essen alles", ist dem Philosophen bei seinen Aufenthalten in Spanien aufgefallen. "Keiner schreit, keiner nervt, keiner will 'ne Extrawurst. Ich denke, wir können von den Südländern so viel über Kindererziehung lernen."

"Je weniger man Kindern die Frage stellt, was sie wollen, umso unzickiger werden sie"

Dieses "beiläufige Mitlaufen" der Kinder könne man sehr gut bei den Primaten beobachten, kam Precht auf das eigentliche Podcast-Kernthema zurück. Bei unseren evolutionsbiologischen Verwandten sei der Nachwuchs immer dabei, "ohne im Mittelpunkt zu stehen". Das sei ein erprobtes Verhalten seit Millionen von Jahren. "Wir fangen gerade an, das zu ändern."

Der Bestsellerautor und ZDF-Moderator ("Precht") fürchtet, "dass wir uns im Hinblick auf die Kindererziehung ein ganzes Stück zu sehr entbiologisieren, dass wir unsere natürlichen Instinkte im Umgang mit Kindern mehr und mehr verlieren und dass das diesen Kindern am Ende nicht gut tut".

Prechts Credo: "Kinder können nicht zu viel Liebe kriegen, aber leicht zu viel Aufmerksamkeit." Wiederum pries er die Südländer als beispielhaft: "Selbst wenn sieben oder acht Leute ein Kind umsorgen: Sie stellen ihm nie die Frage, was es will." Das sei genau richtig. "Je weniger man Kindern die Frage stellt, was sie wollen, umso unzickiger werden sie."

"Man muss auch mal ein bisschen Schreien aushalten können"

"Für mich ein völlig neues Konzept", bekundete Lanz lachend, hatte dann aber eine berufliche Anekdote in petto, die Prechts These unterstützte. Lanz konnte von Reportageeinsätzen in Ghana und der Mongolei bestätigen, dass Kinder dort im harten Arbeitsalltag der Eltern "auch so nebenbei mitlaufen", ohne dass eines von ihnen Ärger oder "Rambazamba" mache. Das habe ihm gut gefallen.

Im Vertrauen auf seine väterlichen Instinkte habe er sich auch "immer gewehrt gegen so komische Bücher wie 'Jedes Kind kann schlafen lernen'." Der Ratgeberbestseller von Annette Kast-Zahn und Hartmut Morgenroth ist in der Tat so erfolgreich wie umstritten. Allerdings - das erwähnte der ZDF-Talker nicht - geht es in der vorgestellten Methode gerade darum, dass ein zu Viel an elterlicher Aufmerksamkeit (hier beim Zubettbringen) auch kontraproduktiv sein kann.

Ein Kind hinter verschlossener Tür in der Dunkelheit weinen zu lassen, sei "furchtbar", geißelte Lanz das Buch. Er habe diesen Rat nie beherzigt und lieber auf seine Instinkte vertraut. "Man kriegt dann schon ein Gefühl dafür, wenn sie mit dir den Molli machen", beschrieb er seine Erfahrung. Precht formulierte einen Einwand im Sinne seiner Aufmerksamkeits-These: "Falls du dieses Gefühl noch hast!" Man müsse als Elternteil "auch mal ein bisschen Schreien aushalten können".