Warum junge Leute in China Pyjamas bei der Arbeit tragen

Ein Symptom für eine größere Veränderung in der Arbeitswelt

Im Pyjama zur Arbeit zu erscheinen entwickelt sich in China immer mehr zum Trend (Symbolbild: Getty Images)
Im Pyjama zur Arbeit zu erscheinen entwickelt sich in China immer mehr zum Trend (Symbolbild: Getty Images)

Während es bei den einen Unternehmen einen strengen Dresscode gibt, überlassen andere Arbeitgeber modische Entscheidungen weitestgehend ihren Angestellten. Als unausgesprochene Regel gilt jedoch, dass bestimmte Kleidung wie Jogginghose oder gar Pyjamas einzig und allein dem Homeoffice vorbehalten sind. Wer würde es also tatsächlich wagen, im Schlafanzug ins Büro zu spazieren? Doch genau das entwickelt sich in China gerade zum Trend.

Viele junge Chinesen erscheinen aktuell im Schlabberlook zur Arbeit, und zwar nicht aus Nachlässigkeit, sondern aus Überzeugung. Wie die New York Times berichtet, wimmelt es in dortigen Büros von Gen-Z-Mitarbeitern, die Jogging- oder Schlafanzughosen, Pantoffeln, Hausanzüge und kurzum alles tragen, das sie so aussehen lässt, als seien sie gerade aus dem Bett gerollt.

Im Pyjama zur Arbeit: Was steckt dahinter?

Der Trend hat angefangen, als eine junge Frau namens Kendou S sich auf der chinesischen TikTok-Schwester Douyin in ihrem neuen Arbeitsoutfit gezeigt hat, bestehend aus Schlafanzughose mit Karomuster, einem ausgeleierten Oversize-Pulli, einer gesteppten Jacke und flauschigen Hausschlappen. Sie erklärte, dass ihr Chef den Look als "ordinär" betitelt hätte - ein Urteil, das viele Nachahmer seitdem mit Stolz tragen.

Und Nachahmer gibt es für das millionenfach geklickte Video viele: Auf chinesischen Social-Media-Plattformen wie Douyin oder dem Instagram-Äquivalent Xiaohongshu posten viele den Schlabberlook, mit dem sie ins Büro spazieren. Dahinter steckt jedoch kein Wunsch nach offenem Affront oder die Hoffnung auf eine Entlassung, sondern reflektiert vielmehr eine zunehmende Abkehr der jüngeren Generation von dem extremen Ehrgeiz, von dem die chinesische Arbeitswelt in den vergangenen Jahrzehnten geprägt war.

Tang Ping - die chinesische Variante von Quiet Quitting

Als Tang Ping wird die Bewegung auch bezeichnet, die unter den Begriffen "Lying Flat" (deutsch: flachliegen) auch international Anklang fand und auch das Phänomen des "Quiet Quitting" inspirierte. Das alles bedeutet, dass jüngere Arbeitnehmer und Fachkräfte eine unbeschwerte, unkomplizierte Lebensweise einer steilen Karriere, für die sie Freizeit, Schlaf und Nerven opfern müssten, vorziehen. Der New York Times zufolge ist dies nicht zuletzt eine Reaktion auf das sinkende Wirtschaftswachstum und die dadurch schwindenden Karriereaussichten.

Diese entspannte, pragmatische Sicht auf die Arbeitswelt zeichnet sich nun auch in der Kleidung ab. "Ich will einfach tragen, was ich will", zitiert die New York Times eine 30-jährige Innenarchitektin aus Wuhan. "Meiner Ansicht nach lohnt es sich nicht, viel Geld dafür auszugeben, mich für die Arbeit rauszuputzen, dort sitze ich doch den ganzen Tag nur." Und eine E-Commerce-Sales-Mitarbeiterin einer Kleidungsfirma in Shanghai erklärt, dass ihr für ein aufwändiges Styling bei ihrem langen Arbeitsweg schlicht die Zeit fehle. Sie ziehe einfach an, was sie aus dem Kleiderschrank ziehe. "Jeder konzentriert sich auf die Arbeit, es ist doch egal, was man trägt", sagt sie. "Das, was ich trage, reicht, um die Arbeit zu erledigen."

Die Arbeit bleibt wichtig - aber sie ist nicht mehr das Wichtigste

Doch wie das übergeordnete Tang Ping bedeutet auch die neue Pyjama-Bewegung nicht, dass die Gen-Z-Generation nicht arbeiten will - sie will sich nur nicht mehr dafür verbiegen. Der Einfluss der Corona-Pandemie ist hierbei deutlich zu spüren, und zwar nicht nur in der Arbeitskleidung: Nach monate- oder sogar jahrelangem Komfort des Homeoffice zeigen sich zunehmend viele Mitarbeiter nicht nur in China weniger gewillt, lange Pendelwege oder unflexible Arbeitsgestaltung auf sich zu nehmen.

Die Arbeit verliert damit nicht unbedingt an Wichtigkeit, wenn auch an Ehrgeiz. Wie eine Übersetzerin aus Hangzhou der New York Times erklärt, ist ihre oberste Priorität bei der Kleiderwahl Komfort und nicht Style, obwohl sie von ihrem Vorgesetzten bereits darauf angesprochen wurde, sich schicker zu kleiden. Dass sie damit keine Aussicht auf eine große Karriere hat, ist ihr gleichgültig - sie freut sich vielmehr über eine sichere Anstellung und ein zufriedenes Leben. "Sei einfach glücklich und zwinge dir selbst nichts auf", erklärt sie ihr Motto - auch bei der Arbeit.

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