Warum Sigmar Gabriel das geringste Problem der SPD ist

Über den Parteichef wird geredet, als wäre er schon weg. Das sagt mehr über die Medien als über die SPD. Die hat nämlich ganz andere Sorgen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Über Sigmar Gabriel könnte man jetzt seufzen und die Hände wringen und sagen: Erst hatte er Pech, und dann kam auch noch Unglück hinzu. Das Pech: Die SPD, der er vorsteht, kommt aus einem Abwärtssog in den Umfragen nicht heraus. Das Unglück: Eine Erkrankung wie die aktuelle Gürtelrose wächst sich zu einer Wahrnehmung eines Pechvogels heraus, eines, dem man nicht mehr zutraut den Wagen aus dem Schlamm zu ziehen.

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Wir Medien spielen da eine tragische Rolle. Wir legen das klassische Meuten-Verhalten an den Tag: Da wird jemand von der Gruppe ausgesondert, als angreifbar ausgemacht. Dann als weidwund erklärt und schließlich tatsächlich angegangen. Die vermeintlich sicheren Quellen, von denen TV-Plauderer Helmut Markwort sprach, die einen baldigen Abgang Gabriels als Parteichef voraussagten – sie passen einfach lediglich in die Stimmungslage. Ein Gewicht erhielten sie nur, wenn Markwort mehr erzählte, was in Richtung von Ross und Reiter ginge. Doch die Medien sprangen sofort auf. Nun werden wieder die Fotos eines gerade entweder griesgrämig oder gerade unpässlich dreinschauenden Gabriel ausgepackt; dabei handelt es sich lediglich um Symbolfotos, die eine Stimmung verstärken sollen. Mit Aktualität oder Berichterstattung oder Ablichtung dessen, was gerade geschieht, hat das so viel zu tun wie mit einer Wurst, die gerade in China knackt.

Doch um Fakten geht es gerade nicht. Es geht um die Angst, vielleicht etwas verpasst zu haben. Daher rennen alle in Richtung des Schusses.

Wenn’s so einfach wäre…

Die Krise der SPD liegt indes viel tiefer. Kein Parteichef oder keine Parteichefin würde die SPD so einfach aus dem Schlamassel führen. Das Problem der SPD ist nicht der Vorsitz. Die Zeiten, in denen Spitzenkandidaten und echte Persönlichkeiten der entscheidende Faktor zur Wählerbindung waren, sind zwar nicht vorbei, im Gegenteil: Echte Typen, wie man bei Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz und bei Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg sieht, wirken wie Raketenantriebe für ihre Parteien. Doch die Krise der SPD ist strukturell.

Daher ist der Markwort-Talk eher unerheblich für das wahre Problem der Partei. Ob jetzt Olaf Scholz aus Hamburg und Martin Schulz aus Straßburg nun das Ruder übernehmen: Auch ihnen wäre kein Erfolg beschieden, wenn sie keine Antworten finden auf die wirklichen Fragen.

Die lauten: Warum braucht das Land die SPD? Ist eine sozialdemokratische Partei vonnöten? Was ist der Markenkern der SPD, was ist das Profil, für das keine andere politische Bewegung in Deutschland einsteht wie die SPD?

Zweifellos ist Gerechtigkeit jener Wert, für den die SPD am ehesten steht. Sie kommt aus der Arbeiterschaft, und aus den „Werktätigen“, wie auch immer, kommt auch ihre Rettung. Sie muss eine Absage erteilen an all die Elitenallüren in unserer Gesellschaft und all jenen Mut zusprechen, die in der so genannten Mittelschicht nach unten treten, weil sie Abstiegsängste haben. Die SPD muss sich wieder stark fühlen, von innen heraus. Sie muss den Gedanken von Solidarität vorleben.

Das geht nur, wenn man an innere Werte glaubt. Wenn Sigmar Gabriel in Ägypten eine Diktatur hätschelt und Frank-Walter Steinmeier mit dem saudischen Regime kuschelt, dann hat das weniger mit Realpolitik zu tun, sondern mehr damit, dass ein Wertekompass gerade die Orientierung verliert. Da geht es übrigens nicht um hehre Werte, um schön dazustehen – sondern darum zu schauen, was den Menschen hilft, die in solchen verdammten politischen Systemen wie Ägypten und Saudi-Arabien stecken.

Die SPD braucht eine Haltung. Eine, aus der Stärke von allein wächst. Dann kann sie auch mit Gabriel oder wem auch immer in Wahlkämpfe ziehen.

Bilder: dpa

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