Woher kommt der Rechtsruck?

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In Europa wählen immer mehr junge Menschen rechte Parteien. Woran liegt das? Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier und Politologe Dr. Timo Lochocki kennen die Antwort.

Wo immer gerade eine Wahl ansteht, ist eines augenscheinlich: Der immer größer werdende Zuspruch, den die rechten Parteien erfahren. Und der kommt längst auch aus der Mitte der Gesellschaft. Front National in Frankreich, Ukip in Großbritannien, Geert Wilders’ PVV in den Niederlanden, die AfD in Deutschland und die FPÖ in Österreich, wo nach der Wiederholung der Bundespräsidentenwahl am 2. Oktober 2016 ein Rechtspopulist an der Spitze des Staates stehen könnte. Von Osteuropa ganz zu Schweigen. Doch woher kommt dieser Rechtsruck? Und stimmt der Eindruck, dass vor allem junge Menschen auf die Masche der Rechtspopulisten anspringen?

“Junge Menschen sind für Angst besonders empfänglich”

FPÖ-Kandidat Norbert Hofer hat bei der ursprünglichen Bundespräsidentenwahl in Österreich tatsächlich vor allem auch bei der jungen Zielgruppe gepunktet. Besonders die jungen Männer fühlten sich angesprochen von dem Rechtspopulisten, dessen großes Thema, wie könnte es anders sein, die Migration ist. „Die Migration ist ein emotionalisierter Diskurs und junge Männer sind Affektwesen“, erklärt Bernhard Heinzlmaier dieses Phänomen im Interview mit Yahoo! Deutschland.

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Der Vorsitzende des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien ist sich sicher: „Die wichtigste Antriebskraft ist die Angst, und für die sind junge Menschen besonders empfänglich.“ Der Grund ist so einfach wie logisch: Während Teile der gesellschaftlichen Mitte mit Statusstress kämpfen und in ständiger Angst vor dem sozialen Abstieg leben, haben die jungen Leute noch nicht einmal den Einstieg in das System geschafft, aus dem andere sich fürchten, herauszufallen.

“Rechtspopulistische Botschaften erreichen Menschen nicht über die Vernunft”

Wirklich neu sei sie aber nicht, die Begeisterung junger Männer für die Freiheitliche Partei Österreichs. „Die war schon immer eine Männerpartei. Rückwärtsgewandt und martialisch.“ Ein ideologischer Gegenentwurf zur Realität der Globalisierung, die in ihrer Logik nur im Verlust der Heimat enden kann. Wer sich dann auf die nationalen Grenzen zurückzieht, beschwört den Geist einer alten Gemeinschaft, in der der eine noch auf den anderen achtet. Vorausgesetzt, er hat die richtige Hautfarbe.

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Die Affektgeladenheit der Migrationsdebatte ist für Heinzlmaier auch die Erklärung dafür, weshalb die Rechtspopulisten ihre Anhänger quer durch alle Bildungsschichten finden. “Die rechtspopulistischen Botschaften erreichen die Menschen nicht über die Vernunft. Deshalb wird der Bildungsfaktor auch extrem überschätzt.”

Antikapitalistisch gegen die Angst

Dass der Rechtsruck in seiner derzeitigen Form aufzuhalten ist, glaubt der Österreicher nicht. Im Gegenteil: „Das wird erst einmal immer schlimmer werden, wozu natürlich auch die Terroristen mit ihren Macheten und Messern beitragen.“ Ein möglicher Lösungsansatz läge laut Heinzlmaier vor allem darin, den Menschen ihre Grundängste zu nehmen und damit der Debatte, die sich auch um Neid und Geiz dreht, die Schärfe zu nehmen. „Die Politik müsste wieder antikapitalistischer gestaltet werden, um den Markt wieder mehr unter Kontrolle zu bringen. Zum Beispiel was Privatisierungen im Gesundheitssystem oder im Versicherungswesen betrifft. Eben alles, bei dem sich die Menschen existenziell bedroht fühlen.“

Gerade gute Zeiten bringen Rechtspopulisten hervor

„Die Leute denken immer, Rechtspopulisten finden vor allem in Krisenzeiten Zulauf. Aber das Gegenteil ist der Fall“, sagt der Politologe Dr. Timo Lochocki zu Yahoo! Deutschland. „Denn nur wenn es den Leuten ökonomisch gut geht, reicht es ihnen, dass sich eine Partei alleine durch die Migrationsfrage definiert“, weiß der Dozent an der Berliner Humboldt-Universität, der Experte für rechtspopulistische Parteien in Europa ist und hauptberuflich für den German Marshall Fund arbeitet.

Der Beweis: Gerade in jenen Ländern, in denen die wirtschaftliche Krise derzeit am deutlichsten zu spüren ist – Spanien, Irland, Portugal, Griechenland und Italien – spielen rechtspopulistische Parteien keine große Rolle oder zumindest keine größere als vor ein paar Jahren.

Rechtspopulisten punkten in allen Schichten

Dass rechtspopulistische Parteien vor allem bestimmte Altersgruppen ansprechen, will er nicht bestätigen. „Das Klischee, dass vor allem alte, weiße Männer rechts wählen, ist schon lange widerlegt. Die rechtspopulistischen Parteien werden von einem Querschnitt der Bevölkerung gewählt, also auch nicht in besonderem Maße von jungen Leuten.“ Welchen Wählerkreis sie ansprechen, ist dagegen klar: „Menschen, die sehr konservative Werte fordern, die sie weder bei der CDU/CSU noch bei der SPD finden.“

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Und außer der AfD gibt es derzeit keine Partei, die eine konservative Migrationspolitik anbieten würde. Ein Umstand, der der AfD zu ihrem Alleinstellungsmerkmal verhilft. Und mit diesem erreicht sie vor allem auch jene Menschen, die sich normalerweise heraushalten, letztendlich aber die entscheidenden Prozentpunkte bringen können: Nichtwähler. „Bisher ist es keiner anderen Partei gelungen, hier eine Gegenmobilisierung auf die Beine zu stellen“, so der Experte.

Drei Dinge könnten den Zulauf stoppen

Drei Dinge müssten seiner Meinung nach passieren, um den Aufwind der AfD in Deutschland zu stoppen: CDU/CSU und die SPD müssten Einheit demonstrieren, gemeinsam einen Schritt nach rechts tun, einen konservativen Schwerpunkt bei der Migration setzen und die innere Sicherheit in den Mittelpunkt ihres Programm stellen. Damit würden sie der AfD den Wind aus den Segeln nehmen. Zweitens müssten sie wieder mehr und vor allem kontrovers über ökonomische Fragen diskutieren, um hier einen weiteren Schwerpunkt zu setzen. Und zum Dritten müsste den Wählern klar werden, wie weit rechts die AfD mittlerweile wirklich steht. Denn mit dem, wofür Parteigründer Bernd Lucke einst stand, haben AfD-Granden wie Björn Höcke, Beatrix von Storch oder Alexander Gauland nicht mehr viel zu tun.

Immer wieder überschreiten sie die Grenze zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, was auch auf Bundesebene den Verfassungsschutz auf den Plan rufen könnte. „Das wäre ein eindeutiges Signal“, meint Dr. Lochocki, das auch diejenigen nicht mehr ignorieren könnten, die sich darauf berufen, Leute wie Frauke Petry oder Jörg Meuthen seien schließlich lupenreine Demokraten.

(Autorin & Interviews: Ann-Catherin Karg, Bilder: Getty)

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