Yahoo 360: Was man zum Selbstbestimmungsgesetz wissen muss

Demonstranten des
Demonstranten des "Marzahn Pride"-Marsches im Juni 2022 in Berlin (Bild: REUTERS/Christian Mang)

Die Bundesregierung plant eine Neuregelung: Künftig soll möglich sein, den eigenen Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern zu lassen. Darüber wird kontrovers diskutiert. Worum geht’s?

von Jan Rübel

Noch in diesem Jahr soll es verabschiedet werden: das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz. Es richtet sich vor allem an trans Personen. Die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP sind dafür, Union und AfD dagegen, während die meisten bei der Linken das Gesetzesvorhaben auch unterstützen. Damit soll erleichtert werden, das beim Staat eingetragene Gesetz zu ändern

Was ist das Selbstbestimmungsgesetz?

Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) wird regeln, dass transgeschlechtliche (oder trans*) Personen, intersexuelle und non-binäre Menschen vereinfacht eine Änderung im Personenstandsregister vornehmen können. Das Motiv ist, ihnen diesen Vorgang würdevoller und mehr unter Wahrung der Menschenrechte zu gestalten. Dieses Register beim Standesamt angesiedelt. Dort kann auch der eigene Vorname geändert werden. Das SBGG sieht vor, dass dafür Folgendes benötigt wird: eine Erklärung der jeweiligen Person und eine angefügte Eigenversicherung. Andere Bedingungen sollen wegfallen. In der Erklärung versichert die Person, dass der ändernde Geschlechtseintrag oder auch sein Wegstreichen am besten ihrer Geschlechtsidentität entspricht und dass sie sich über die Bedeutung und Tragweite dieser Änderung im Klaren ist.

An wen richtet sich das SBGG?

Natürlich erst einmal an jeden – aber in Wirklichkeit ist die Gruppe in der Gesellschaft recht klein. Daher redet man auch davon, dass es keine Revolution für die Mehrheit, sondern für wenige Menschen sei, vor allem für: Transgeschlechtlich oder trans* - das sind Menschen, die sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht identifizieren, das für sie bei der Geburt festgestellt wurde. Non-binär – so bezeichnen sich Menschen, die sich weder als Mann noch Frau identifizieren. Intergeschlechtlich – dies betrifft Menschen mit angeborenen körperlichen Merkmalen, die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als lediglich männlich oder weiblich zuweisen lassen.

Was soll sich durch das Selbstbestimmungsgesetz ändern?

Eine Sache bleibt erstmal: Im Register wird es weiterhin die Begriffe „weiblich“, „männlich“ und „divers“ geben – sowie die Möglichkeit, hier einen Strich zu machen. Auch bleiben alle Personen vor dem Gesetz gleich. Grundsätzlich ändert sich mit dem SBGG der gesetzliche Umgang mit trans Menschen. Denn die bisherige Regelung ist nicht nur alt, sondern erlegte den Menschen Bürden auf.

Was gilt gesetzlich bisher?

Noch ist das so genannte Transsexuellengesetz (TSG) zuständig. Schon der Name ist irreführend, geht es doch vielmehr um Transgeschlechtliche; „transsexuell“ wird von vielen Betroffenen als diskriminierend empfunden. Eine Änderung des Namens oder des Eintrags ist langwierig und mit hohen Kosten verbunden. Auch muss die Person bisher älter als 40 Jahre alt sein. Sie müssen sich zwei unabhängige Gutachten besorgen, in denen sie viele Fragen zu beantworten haben, die auch sehr private Bereiche ihrer Sexualität berühren, unter anderem sollen sie angeben, wie viel sie masturbieren. Heute wird diese Kondition als nicht mehr zielführend angesehen. Die Bundesregierung musste auch mit dem SBGG reagieren, denn das Bundesverfassungsgericht hatte angemahnt, dass zur Menschenwürde auch das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung zähle und dass dies durch das TSG nicht ausreichend erfüllt werde.

Über welche Orte wird besonders diskutiert?

Viel wurde in den Medien bisher über den Sport diskutiert. Meist steht die Frage im Raum: Kann sich eine Person mit einem mehr männlich wirkenden Körper Vorteile schaffen, indem sie bei den Frauen antritt? Das SBGG schreibt hier vor, dass dies im Vereins- und Wettkampfsport von den Veranstaltern entschieden werden soll – es läuft also auf eine Einzelfallbetrachtung vor Ort hinaus.

Schwimmerin Lia Thomas
Verschaffen sich Transgender wie Lia Thomas einen körperlichen Vorteil? Darüber wird diskutiert (Bild: Brett Davis-USA TODAY Sports)

Und im Schulunterricht liegen die Regeln zur Bewertung sportlicher Leistungen in der Verantwortung der Länder. Immer wieder wird auch über Schutzräume wie Umkleidekabinen und Toiletten gesprochen. Meist zu Unrecht – das Familienministerium hat erklärt, dass es keinen Anspruch auf Zugang zu geschützten Räumen geben werde: „Die bestehende Rechtslage in Bezug auf die Vertragsfreiheit und das private Hausrecht bleibt durch das SBGG unberührt.“ Und wie ist es in Gefängnissen? Für sie ist nicht vorgeschrieben, dass sich die Einquartierung von Strafgefangenen nicht allein am Geschlechtseintrag orientieren soll. Persönlichkeitsrechte und Sicherheitsinteressen anderer Insassen könnten die Transferierung in ein Frauengefängnis verhindern.

Was sagen Befürworter des Selbstbestimmungsgesetzes?

Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung, begrüßt das SBGG im "Tagesspiegel" alsgroßen Fortschritt für Grund- und Menschenrechte“. Ein Leitartikel des "Spiegel" schreibt über die vom Gesetz Betroffenen: „Sie können als die Person leben, die sie sind.“ Und: „Statt das Selbstbestimmungsgesetz als Pointe im Kulturkampf zu benutzen, es in Debatten über Geschlecht zu instrumentalisieren und absurde Gewaltszenarien heraufzubeschwören, sollte man das Gesetz vielleicht einfach so sehen, wie es gedacht ist: als Erleichterung für die Betroffenen.“ Und Jan Korte, Fraktionsgeschäftsführer der oppositionellen Linken im Bundestag, auf Twitter: „Das Selbstbestimmungsgesetz ist notwendig und überfällig.“

Was sagen Kritiker?

Detailkritik hat auch der Queer-Beauftragte Lehmann. Dass beim Zugang zu Saunen oder Fitnessstudios in erster Linie auf das Hausrecht der Betreiber verwiesen werde, findet er abänderungsbedürftig. Man könne übergriffige Menschen rausschmeißen, aber niemanden abweisen, weil sie oder er trans* sei. Andere sind prinzipiell gegen das SBGG. Der Unionsabgeordnete Jens Spahn sagte der "Welt am Sonntag": „Selbst die Ansicht, ein Mann hat einen Penis und eine Frau nicht, gilt inzwischen in Teilen der Ampel-Koalition als problematisch.“

Jens Spahn (Bild: REUTERS/Fabian Bimmer)
Jens Spahn (Bild: REUTERS/Fabian Bimmer)

Er stellt das SBGG in einen weiteren Kontext mit der Freigabe von Cannabis oder einem neuen Staatsbürgerrecht – unterlässt aber dabei, dass das SBGG niemandem etwas vorschreibt und die breite Masse der Bevölkerung vom Gesetz schlicht nicht betroffen ist. Im Gegensatz zu Korte steht sich Noch-Linken-Mitglied Sahra Wagenknecht gegen den Entwurf und warnte im "Spiegel" vor angeblichen Gefahren für Frauen: „Ich halte das für eine von Ideologie getriebene Politik, für die man in bestimmten Sekten bejubelt wird." Es gehe es auch „um Männer, die Frauenumkleiden oder Frauensaunen aufsuchen“ – was nicht stimmt. Auch der für das Propagieren von Frauenrechte bisher nicht groß aufgefallene Hamburger CDU-Vorsitzende Christoph Ploß schrieb auf Twitter, Schutzräume für Frauen seien durch das Selbstbestimmungsgesetz „massiv bedroht“.

Wir haben nachgefragt:

Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) begrüßt ausdrücklich die Abschaffung des altes Gesetzes „mit seinen langwierigen und erniedrigenden Verfahren sowie die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes, wie Dr. Sarah Ponti, Grundsatzreferentin des LSVFD, im Exklusiv-Gespräch mit „Yahoo Nachrichten“ sagt. „Insgesamt sind wir sehr glücklich, dass der Entwurf vorliegt.“ Der LSVD vertritt als Bürgerrechtsverband Interessen und Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen.

„Einige Verschlechterungen haben sich aber seit vergangenem Jahr eingeschlichen“, sagt Ponti. „Vielleicht sind diese auf die Anti-Gender-Bewegung zurückzuführen.“ So sei die Wirkungsfrist von drei Monaten ist paternalistisch. Dies suggeriere, als wäre man sich beim Eintrag nicht sicher – „das Gegenteil aber ist der Fall: Sowas fällt nicht vom Himmel. Außerdem ist das Outing als trans immer mit Schwierigkeiten verbunden, mit Diskriminierungen und Anfeindungen auf verschiedenen Ebenen. Da falsche Angaben zu machen, bringt keine Vorteile.“ Problematisch findet Ponti auch, dass das Bundesjustizministerium unnötige Klarstellungen eingebracht habe - zum Beispiel, dass der Zugang zu Räumen von den Betreibern weiterhin selbständig geregelt werden kann. „Damit wird ein gewisses Misstrauen ausgedrückt, das deplatziert ist.“