@VictoriaHamburg: Liebe und Betrug im Netz

Die Hamburgerin Victoria S. verliebt sich in einen Twitter-Nutzer aus den USA. Er umgarnt die 45-Jährige, schickt ihr Geschenke, wird der wichtigste Mensch in ihrem Leben. Dann entdeckt sie, dass ihr virteller Lover ein Schwindler ist. Doch das ist erst der Anfang der Geschichte von @VictoriaHamburg, einer Geschichte über Wahrheit und Lüge im Netz.

Es ist eine traurige, schockierende Geschichte, die so nur in unserem Zeitalter möglich ist. Einer Zeit, in der viele Menschen fast ausschließlich digital kommunizieren. Einer Zeit, in der jeder, der nur ein klein wenig Computer-Knowhow besitzt, das reale Leben eines anderen Menschen stark beeinflussen kann. Es ist die Geschichte von Victoria S. aus Hamburg, die sich in einen Mann, vielmehr dessen virtuelles Ich verliebte. Die betrogen wurde. Die enttäuscht wurde. Und der die Augen über Wahrheit und Lüge im Netz geöffnet wurden.

Die 45-Jährige hat ihre Erlebnisse in ihrem Blog victoriahamburg.wordpress.com veröffentlicht und per Twitter darauf hingewiesen. Innerhalb weniger Stunden ist ihre Geschichte zu einer der meistdiskutierten Themen im Netz geworden.

„Fake“ lautet der Titel des Blogeintrags. So kurz der Titel, so ausführlich der dazugehörige Text. Es begann harmlos: Ende September 2011 bekam die Kommunikationsdesignerin Victoria S., die seit Jahren ihren eigenen Blog betreibt und engagierte Twitter-Nutzerin ist, eine Antwort auf einen Tweet. "Kai" stellte sich als Physiotherapeut aus Münster vor, der gerade seinen viermonatigen Jahresurlaub bei seinen Eltern in den USA und auf Jamaika angetreten habe. Victoria S., damals frisch getrennt von ihrem Ehemann, ging auf den Kontakt ein, schrieb immer öfter mit dem Mann, per Twitter, dann via WhatsApp. „Es verging bald kaum eine Stunde, in der wir keine Messages austauschten“, schreibt sie in ihrem Blog. „Er war unglaublich einfühlsam, tiefsinnig und interessiert.”

Lesen Sie auch: 16 Jahre nur Cola: Frau kommt mit Herzproblemen ins Krankenhaus

„Kai“ tat alles, um Victoria zu umgarnen und sie von seiner Ernsthaftigkeit zu überzeugen. Er richtete einen eigenen Instagram-Account ein und präsentierte dort angebliche Fotos von sich und seiner Familie. Er schickte der Mutter von zwei Kindern Postkarten, teure Klamotten und ihren Kindern Spielzeug. „Kai“ habe aber weder Nacktfotos oder Geld von ihr verlangt oder bekommen, sagt Victoria S. im Gespräch mit Yahoo! Nachrichten. Mit seiner Art schaffte es „Kai“, in ihre Gefühlswelt einzudringen: „Ich bekam von Kai seitenlange Mails, genau auf mich und mein Seelenleben zugeschnitten“, schreibt Victoria in ihrem Blog. „Außerdem telefonierten wir via Skype fast jeden Abend stundenlang. Er wurde mir immer wichtiger. Ich fühlte mich damals sehr allein. Ein rein subjektiver Eindruck, denn ich habe eine tolle Familie und super Freunde. Trotzdem – wirklich verstanden fühlte ich mich irgendwann nur noch von Kai.“

Nach einigen Wochen stellten beide fest, dass sie sich ineinander verliebt hatten. Und das, obwohl sie sich noch nie gesehen hatten – zumindest nicht in der Realität. „Es ist sehr leicht, sich in jemanden zu verlieben, wenn man sich über Wochen gegenseitig so viel Aufmerksamkeit schenkt, seine engsten Gedanken ausgetauscht hat und merkt, dass man sich komplett auf einer Wellenlinie befindet. Das war es also, dieses mystische ‘seelenverwandt’."

„Kai existierte nicht!"

Ein Treffen kam jedoch nicht zustande, denn „Kai“ sagte kurzfristig Besuche in Deutschland ab und Victoria traute sich nicht in die USA zu fliegen, bestand auf ein erstes Date  in Deutschland. Mittlerweile hatte „Kai’s“ angeblicher  Freund „Chris“ angefangen, eine Freundin Victorias auf ähnliche Weise anzubaggern. Die Freundin wurde aber relativ misstrauisch. Sie fand heraus, dass dieser bestimmte „Kai“ in Münster gar nicht existierte. Er war weder dem Einwohnermeldeamt bekannt, noch der Schule, an der er angeblich gewesen war. Auch bei seiner angeblichen Arbeitsstelle kannte man ihn nicht. Als sie diese Infos von ihrer Freundin bekam, brach eine Welt in Victoria zusammen: 

„Kai existierte nicht! Er war ein Fake“,  schreibt Victoria. „Es traf mich aus dem Nichts. Ich hatte zwar öfter auch schon, ganz hinten im Kopf, diese Gedanken gehabt, aber immer wieder weggeschoben. Das riss mir den Boden unter den Füßen weg. Die Tatsache, dass ALLES, jede Form der Kommunikation, jeder Fakt, den mir der zu dem Zeitpunkt wichtigste Mensch in meinem Leben, erzählt hatte, alles gelogen und vorgetäuscht war!“

Lesen Sie auch: Twitter-Gefecht: Die Telekom keilt zurück

Die Internet-erfahrene Victoria S. brauchte nicht lange, um den eigentlichen Mann auf den Fotos zu finden. Es ist ein unbeteiligter Künstler aus den USA, dessen Facebook-Bilder „Kai“ einfach geklaut hatte. Victoria S. ging zur Polizei. Viel konnten die Beamten nicht tun, denn eine Straftat hatte „Kai“ wohl nicht begangen. Dann stellte Victoria „Kai“ zur Rede, via Skype, wie immer ohne Bild, er wollte das nicht und fand dafür immer Ausreden.  Sie glaubte ihm.


„Kai“, sein richtiger Name sei „Daniel“, gab sich geschockt, weinte, redete sich raus. Er habe schon längst vorgehabt, den Schwindel zu beenden, er sei aber so verliebt, habe Victoria nicht enttäuschen wollen und zudem habe er auch noch eine schwere Kindheit gehabt.  Victoria S. schreibt in ihrem Blog: „Und an dieser Stelle schlagt mich bitte, denn … ihr ahnt es vielleicht … ich war so verliebt, war so emotional von seiner Aufmerksamkeit abhängig, dass ich ihm verzieh.“

Doch sie war nun auf der Hut. Ihr fielen immer mehr Unstimmigkeiten auf, doch „Daniel“ hatte immer „spektakuläre“ Ausreden. Um Victoria S. von seiner Echtheit zu überzeugen, zog er sogar eine Frau hinzu, die Victoria anrief und sich als „Daniels“ Schwester ausgab. „Zu einem riesigen Knall kam es aber, als ich herausfand, dass er sich durch einen ganz einfachen Trick (den ich hier, um Nachahmungen vorzubeugen, nicht nennen werde), jede Nacht, wenn ich schlief, Zugang zu meinem (Facebook, Anm. der Red) Profil verschaffte und so jede meiner Aktivitäten weiter mitverfolgte.“

"Er benutzt Frauen wie Spielfiguren"

Victoria S. recherchierte wieder und erkannte schließlich das volle Ausmaß des Schwindels.: So schildert sie es in ihrem Blog: „Ich fand einen Fake-Account von ihm nach dem anderen. Auf nahezu allen Social Media-Plattformen. Ich fand heraus, dass es sich bei Kai/Daniel und Chris um ein- und dieselbe Person handelt. Dieser Mann hat also parallel über einen, wenn auch kurzen, Zeitraum mit meiner Freundin online “wilde Dinge” gemacht, während er mir die große Liebe vorspielte. Wo ich mir vorher noch einreden konnte, dass es sich um einen armen, psychisch kranken Mann handelt, der mich wirklich liebt, im wahren Leben aber eben nicht lieben kann, wurde mir nun mit voller Breitseite die Realität vor den Latz geknallt. Nein, der Typ genießt es, zu manipulieren. Menschen gegeneinander auszuspielen. Er versucht, auch Einfluss im Real Life zu bekommen. Er benutzt Frauen wie Spielfiguren, die er auf einem imaginären Schachbrett bewegt.“

Victoria S. entdeckt, dass „Kai/Daniel/Chris“ offenbar seit 13 Jahren in mindestens 16 verschiedene männliche und weibliche Identitäten geschlüpft ist. „Ich sprach mit mehreren Frauen, die alle mit ihm zu tun hatten. Keine hatte bemerkt, dass es sich um einen Fake handelt. Er hat immer das gleiche Spielchen gespielt. Er war der aufmerksame Zuhörer mit den großen Gefühlen.“

Nachdem ihr nun das ganze Ausmaß des Betrugs klar geworden ist, überlegte Victoria S., wie sie darauf reagieren sollte. „Diesen Mann einfach laufenlassen? Die Sache vergessen?“, schreibt sie. „Das ist in etwa so, als wäre ein Stalker in deiner Abwesenheit in deine Wohnung eingedrungen, hätte in deinem Bett geschlafen, dein Tagebuch und deine Fotokiste mitgenommen – und dir wird gesagt: ‚Ach, vergiss den. Der hat dich doch nicht angefasst‘. Falsch. Dieser Mann ist in mein Leben eingedrungen, hat sich mit Manipulationen eingeschlichen. Hat mich, meine Kinder, meine Freunde belogen und betrogen. Natürlich war ich naiv, natürlich habe ich viel zu lange mitgemacht. Aber aus einer Hilflosigkeit heraus. Es tut wahnsinnig weh. Das Vertrauen ist schwer angeschlagen. Es ist immer noch die große Unwissenheit darüber da, was das Ziel dieser ganzen Sache war/ist.“

"Bleiben Sie wachsam!“

Das hat Victoria S. immer noch nicht herausgefunden. Aber – auch deswegen - will sie weder, dass Kai/Daniel/Chris und seine mutmaßlichen Komplizen ungestraft davon kommen, noch will sie, dass noch mehr Frauen auf ihn hereinfallen. Deshalb geht sie abermals zur Polizei. Und wieder die gleiche Reaktion: Eine Anzeige ist zumindest in Deutschland schwierig, der Mann hat sich hier zu Lande nichts - strafrechtlich relevantes -  zuschulden kommen lassen. Ob sie den geschickten Internet-Lover in den USA anzeigt, weiß  Victoria S. noch nicht, sie fürchte die Rache des Mannes, sagte sie Yahoo!. Auch weiß sie ja so wenig über den Mann. Sie schließt aus seiner Stimme, dass er zwischen 30 und 40 Jahre alt ist und aus dem Ruhrpott stammt. Viel ist das nicht. Aber mehr – Wirkliches – weiß sie eben über ihn nicht.

Deshalb hat sich Victoria S. nun vor allem der Aufklärung gewidmet. „Das Einzige, was mir zur Zeit bleibt ist, darüber aufzuklären, was mir passiert ist. Andere Frauen zu erreichen und vielleicht zu verhindern, dass sie auf so etwas hereinfallen. Nur damit kann man so einem Menschen Einhalt gebieten. Wo keine Opfer mehr sind, MUSS dieser Typ aufhören.“

Nach wenigen Stunden hätten mehrere tausend Menschen ihren Blog-Eintrag gelesen, sagt sie. Und auf Twitter laufen unter @VictoriaHamburg ständig neue Tweets ein:  „@VictoriaHamburg Wow, das ist ehrlich und berührt tief. Hoffe, dass du dein Vertrauen wieder findest und den Kerl dran kriegst. Chapeau!” schreibt eine Userin. Eine andere twittert: „Das was @VictoriaHamburg passiert ist, kann beinahe jedem/jeder geschehen. Bleiben Sie wachsam!“

Genau das will Victoria S. erreichen und ruft Frauen die ähnliches erlebt haben dazu auf, sich bei ihr zu melden. Sie selber ist von einem Internet-Freak zu einer skeptischen Netz-Nutzerin geworden. „Im Internet ist nichts sicher und vieles ist nur Augenwischerei“, sagt sie zu Yahoo!. Nun will Victoria S. erstmal ein paar Wochen in den Urlaub. Mit realen Menschen. Ihren Kindern. 


Von Malte Arnsperger

Sehen Sie auch: