Eine Analyse von Hugo Müller-Vogg - Mitten im Haushalts-Streit setzt Scholz auf eine bewährte Taktik

Olaf Scholz bei seiner Rede beim „Tag der Industrie“.<span class="copyright">Screenshot</span>
Olaf Scholz bei seiner Rede beim „Tag der Industrie“.Screenshot

Der Kanzler hat ein Geld-Problem. Von zwei Seiten wird er im Haushaltsstreit unter Druck gesetzt - und das auch noch vom Koalitionspartner und sogar den eigenen Leuten. Scholz ist derweil bei der Industrie zu Gast und setzt auf eine alte Politiker-Taktik: Den Bluff.

Der Job des Bundeskanzlers ist bekanntlich nicht immer vergnüglich. Im Zweifelsfall ist der Regierungschef häufiger Feuerwehrmann als visionärer Regent oder Volksbeglücker. Denn irgendwo brennt es immer.

Solche Herausforderungen kann ein Regierungschef dann am ehesten bewältigen, wenn er seine eigene Partei geschlossen hinter sich weiß. Noch besser, wenn Koalitionspartner mit ihm am gleichen Strang ziehen.

Für Scholz brennt es an allen Ecken

Genau darauf kann sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) derzeit nicht verlassen. Es brennt an allen Ecken und Enden. Und die Koalitionspartner SPD und FDP stehen sich beim Thema Schuldenbremse unversöhnlich gegenüber - unversöhnlicher denn je.

Was für den Sozialdemokraten im Kanzleramt noch viel schlimmer ist: In den eigenen Reihen wächst nicht nur der Unmut gegen den eher auf Solidität ausgerichteten finanzpolitischen Kurs des Kanzlers. Vielmehr machen wichtige SPD-Politiker offen Front gegen ihn.

Die Vorsitzenden der beiden wichtigsten innerparteilichen Strömungen, Matthias Miersch von der Parlamentarischen Linken, und Dirk Wiese vom eher konservativ-pragmatischen „Seeheimer Kreis“, fordern für das kommenden Jahr die Aussetzung der Schuldenbremse. Unterstützt werden sie von Dorothee Martin vom „Netzwerk Berlin“, eine sich an den Idealen der „Achtundsechziger“-Bewegung orientierte Gruppe von SPD-Parlamentariern.

Genossen und FDP machen mobil

Flankiert wird diese Fraktion-Rebellion gegen Scholz von der linken SPD-Gruppierung „Forum DL21“, den Jungsozialisten und den SPD-Senioren. Sie wollen per Mitgliederentscheid die SPD-Minister sowie die SPD-Bundestagsfraktion zwingen, im Bundeshaushalt keinerlei Kürzungen in den Etats für Soziales, Gesundheit, Familie, Bildung, Demokratieförderung und Entwicklungshilfe zu verhindern. Mit anderen Worten: Die Genossen an der Basis sollen dem Kanzler im übertragenen Sinn Handschellen anlegen.

Keinerlei Kürzungen in großen Einzeletats sowie die Aussetzung der Schuldenbremse - das widerspricht diametral der jüngsten Aussage von Scholz, man müsse „mit dem Geld auskommen, das wir haben.“ Und: „Daran führt kein Weg vorbei.“

Ohne Schuldenbremse würden die Schulden noch stärker steigen. Genau dem stemmen sich Bundesfinanzminister Christian Lindner und die FDP entgegen. Aber anders als Scholz weiß der FDP-Chef immerhin Partei und Fraktion hinter sich. Er bekam jetzt wichtige Unterstützung von den 30 Mitgliedern der „Jungen Gruppe“ innerhalb der FDP-Bundestagsfraktion.

Deren Sprecher Jens Treutine macht klar, auf was sich die SPD einstellen muss, falls sie auf einer Politik der unbegrenzten  Schuldenmacherei beharren sollte: „Allen muss klar sein: Ohne Schuldenbremse, ohne uns.“

Die jungen FDP-Abgeordneten erhielten prompt Unterstützung von einem der älteren FDP-Haudegen, Wolfgang Kubicki. Der stärkte den potentiellen Rebellen den Rücken: Es stünden nicht nur 30 FDP-Abgeordnete zur Schuldenbremse, „sondern alle 91“.

SPD-Widerspruch ist für den Kanzler schmerzhafter

Eines ist klar: So kunstvoll kann ein Kompromiss gar nicht ausfallen, dass er beide Seiten zufriedenstellen könnte -  die Mehr-Schulden-Fraktion innerhalb der SPD und die Schuldenbremse-Hardliner in der FDP.

Dabei ist der Widerspruch aus den eigenen Reihen für den Kanzler viel schmerzhafter als das klare FDP-Nein gegen jede Aufweichung der Verschuldungsregeln. Offensichtlich haben sie jede Hoffnung aufgegeben, mit Scholz nochmals eine Bundestagswahl zu gewinnen. Wer so denkt, dem macht es auch nichts aus, das Ansehen des eigenen Regierungschefs zusätzlich zu ramponieren.

Angesichts dieser Gemengelage muss Scholz es geradezu als Erholungspause empfunden haben, am Montag einen Abstecher zum „Bundesverband der deutschen Industrie (BDI)“ machen zu dürfen.  Dass Deutschlands Top-Manager mit der wirtschaftspolitischen Bilanz der Ampel nicht zufrieden sind, ist Scholz wohl bewusst. Doch können die ihm nicht so gefährlich werden wie die Rebellen in der SPD oder die in der FDP.

Scholz wollte sich mal wieder wohlfühlen, was im Kreis der eigenen Genossen nicht immer zu erwarten ist. Wohlweislich behelligte er die Wirtschaftselite auch nicht mit Erklärungen, warum Deutschland beim Wachstum nur Schlusslicht ist und dramatisch an internationaler Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt hat. Das „Bällebad-Feeling“ sollte nicht gestört werden.

Scholz verweist auf Fortschritte bei der Industrie

Scholz erfreute die Versammlung deshalb mit vielen Beispielen für die Beschleunigung beim Planungsverfahren und der Aussicht auf Bürokratieabbau. Dies gepaart mit der in Berlin so beliebten Methode, die Verantwortung für alles, was nicht gut läuft, auf Brüssel zu schieben. Ach, von Zusammenhalt war auch die Rede - wie immer bei Scholz.

Von sich und seiner Regierung überzeugt behauptete Scholz, die „Jahre des Aussitzens“ wären vorüber. Er verriet allerdings nicht, dass er und die SPD in der Ära Merkel beim Aussitzen in der ersten Reihe gesessen hatten und sich dabei wohlgefühlt hatten.

Wie schon im ARD-Sommerinterview kündigte Scholz beim BDI abermals an, man werde sich „im Juli“ auf den Bundeshaushalt 2025 einigen. Was bedeutet, dass möglicherweise der ursprünglich angestrebte Termin 3. Juli nicht eingehalten werden kann.

Der Kanzler betonte, dass die vertraulichen Gespräche gut verliefen. Wollte und konnte jedoch nicht sagen, welche Chance die von ihm mit Vizekanzler Robert Habcek (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) noch zu findenden Kompromisse wohl bei den eigenen Genossen  haben werden.

So freundlich wie von den Bossen dürfte der Kanzler in den eigenen Reihen nicht empfangen werden, wenn erst einmal bekannt wird, was es bedeutet, „mit dem Geld auszukommen, das wir haben“.

Alte Politiker-Strategie: Bluffen

Ein guter Politiker muss bluffen können, muss den Anschein  erwecken, er habe alles im Griff. Scholz versucht genau das. Während sich in der Mannschaft unter Deck die Anzeichen einer Meuterei mehren, steht er auf dem Sonnendeck und freut sich über das gute Wetter.

So machte Scholz es am Sonntag in der ARD, so machte er es am Montag beim BDI. So macht er es eigentlich immer. Doch scheint das die Bürger - siehe Europawahl - immer weniger zu überzeugen. Und die eigenen Genossen treibt es auf die Barrikaden - mit offenem Ausgang.