„Falscher Pass hin oder her“ - „Untergräbt die Sicherheit“: Wegen Visa-Schummelei steigt jetzt der Druck auf Baerbock

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin, spricht auf der Herzlija-Sicherheitskonferenz in der Reichmann Universität in Tel Aviv.<span class="copyright">Hannes P Albert/dpa</span>
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin, spricht auf der Herzlija-Sicherheitskonferenz in der Reichmann Universität in Tel Aviv.Hannes P Albert/dpa

Die Staatsanwaltschaft ermittelt, weil im Außenministerium möglicherweise Visa trotz gefälschter Pässe vergeben wurden. Eine Mail zeigt, wie ein zuständiger Mitarbeiter jeglichen Bedenken widersprach. Das könnte nun zum Sicherheitsrisiko werden.

Weil es im Auswärtigen Amt von Ministerin Annalena Baerbock zu fragwürdigen Visavergaben gekommen sein soll, ermittelt die Staatsanwaltschaft. Möglicherweise könnte das noch Folgen haben, denn binnen der vergangenen fünf Jahre sollen auf diese Weise mehrere Tausend Personen eingereist sein.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, hält das für bedenklich: „Es untergräbt die Sicherheit unseres Landes und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung, wenn Menschen die Einreise gewährt wird, die zu ihrer Identität offenkundig falsche Angaben machen“, sagte er FOCUS online. Die Vorwürfe würden schwer wiegen, Baerbock müsse nun „schleunigst für Transparenz sorgen und klarstellen, dass der sorglose Umgang mit gefälschten Reisedokumenten kein Kavaliersdelikt ist“.

Vorgang könnte zu potenziellem Sicherheitsrisiko geführt haben

Ein ähnliches Risiko sieht Sebastian Fiedler, der kriminalpolitische Sprecher der SPD-Fraktion: „Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass bei der Prüfung vor der Visa-Erteilung die üblichen Mechanismen unterwandert wurden, könnte daraus natürlich ein potenzielles Sicherheitsrisiko entstanden sein. Wir müssen nun den Ermittlerinnen und Ermittler Zeit geben, bevor weitere Schlüsse gezogen werden können.“

Das Vorgehen des Außenministeriums illustriert der Fall eines angeblich aus Afghanistan geflüchteten Mannes. Mohammad G. hatte 2022 ein Visum beantragt – worüber deutsche Diplomaten in Islamabad und in der Zentrale des Auswärtigen Amts in Berlin in einen Streit geraten sind.

Die Mitarbeiter der Visa-Vergabestelle in Pakistan äußerten 2022 erhebliche Zweifel an der Identität des angeblichen Flüchtlings: Er sei wahrscheinlich deutlich älter als 14 Jahre und stamme seinem Dialekt nach aus Pakistan statt Afghanistan. Ihr Fazit: Der Mann habe „vorsätzlich getäuscht“.

Referent im Auswärtigen Amt glaubte „abenteuerliche Geschichte“

Dass man in Berlin eine ganz andere Ansicht vertreten hat – und damit möglicherweise einen Rechtsbruch beging – dokumentiert eine Mail aus dem Dezember 2022, die FOCUS online vorliegt und über die andere Medien bereits 2023 berichtet haben. Der Verfasser ist ein Referent für Verwaltungsstreitverfahren in Visumsachen. Er schrieb nach Islamabad, dass Mohammad G. zwar eine „abenteuerliche Geschichte“ zur Herkunft seines Passes erzählt habe, diese wertet er aber dennoch als glaubhaft.

G. habe erklärt, dass bei der Erstellung des Passes die Computer nicht richtig funktioniert hätten, deshalb sei der Fingerabdruck direkt auf das Dokument gedruckt worden. „In Afghanistan dürfte sowas jedenfalls nicht undenkbar sein“, schreibt der Referent. „An der Identität des Antragsstellers bestehen nach der ausführlichen Befragung des Bruders in der mündlichen Verhandlung eigentlich keine Zweifel, falscher Pass hin oder her, zumal wir auf afghanische Personenstandsdokumente ja sowieso nicht viel zählen, aus dem genau diesem Grund.“ Konkret heißt das: Der Mitarbeiter des Auswärtigen Amts erklärte der Visa-Vergabestelle in Pakistan, dass ein gefälschter Pass für die Einreise nach Deutschland in diesem Fall keine Rolle spielen soll.

SPD-Politiker Fiedler sagte dazu: „Selbst wenn das so wäre, ändert das ja nichts am offenbar vorhandenen strafrechtlichen Anfangsverdacht. Allgemein gilt: Es gibt bei der Bundespolizei genauso wie bei den Ausländerbehörden Expertise zur Dokumentenprüfung."

Visum sollte trotz Fälschung erteilt werden

Der Referent erklärte dennoch, weil die Geschichte von Mohammad G. glaubhaft sei, „möchte ich trotz des falschen Passes an der Weisung zur Visumerteilung festhalten“. Der Baerbock-Mitarbeiter räumt außerdem ein, dass die Fälschung früher hätte erkannt werden müssen, da der Pass schon einmal vorgelegen habe. Man sei mit seinen Bedenken zu spät dran.

Die Mail sorgte schon im vergangenen Jahr für Aufregung: Der AfD-Bundestagsabgeordnete Petr Bystron konfrontierte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit dem „Beweis“ dafür, dass Deutschland Afghanen „mittels illegaler Mittel“ nach Deutschland holt. Baerbock stritt das ab, es folgte ein Scharmützel zwischen AfD und Ministerium mittels Kleiner Anfragen.

Deren Antworten zufolge seien der Bundesregierung keine Fälle bekannt, in denen deutsche Auslandsvertretungen vom Auswärtigen Amt angewiesen wurden, auf Grundlage gefälschter Reisepässe Visa auszustellen. Im Fall von Mohammad G. sei das Verfahren beim zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch nicht bestandskräftig beendet, weshalb man sich konkret dazu nicht äußern wolle.

FDP-Vize Kubicki fordert Aufklärung von Baerbock

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelte im vergangenen Jahr gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Rechtsbeugung, wie „Cicero“ berichtete. Das ist inzwischen anders, es gibt nun drei Verfahren gegen bestimmte Mitarbeiter des Auswärtigen Amts.

Die AfD, die damals offenbar wie auch ein ehemaliger Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums Strafanzeige erstattet hatte, sieht sich nun bestätigt. „Offensichtlich handelte es sich nicht um einen Einzelfall, sondern nur um die Spitze des Eisberges“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Stefan Keuter zu FOCUS online. „Wir fordern, alle involvierten Beamten bis zur Klärung des Sachverhaltes zu suspendieren.“ Zudem müsse sich Baerbock zeitnah im Bundestag zu den Fällen äußern. Entscheidend sei nämlich, ob die geschilderten Vorgänge mit ihrer Billigung geschehen sind.

Auch in der Ampelkoalition ist man entsetzt: FDP-Vizeparteichef Wolfgang Kubicki sagte FOCUS online: „Der unglaubliche Vorwurf steht im Raum, dass es Schleusertätigkeiten im Verantwortungsbereich des Auswärtigen Amtes gegeben hat. Frau Ministerin Baerbock kann sich hier nicht auf die Erklärung zurückziehen, sie hätte von nichts gewusst, wenn sie schon im Frühjahr 2023 im Bundestag auf einen entsprechenden Verdacht konkret hingewiesen wurde.“ Kubicki erwartet, dass Baerbock „aktiv diese Vorwürfe schnellstens und umfänglich aufklärt“ und erwartet die Forderung nach personellen Konsequenzen aus der Opposition.

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion , Manuel Höferlin, machte deutlich: „In einer Zeit, in der wir mehr Ordnung in die Migration bringen müssen, sind solche Vorgänge nicht hinnehmbar.“ Das Auswärtige Amt müsse die eigenen Prozesse und Strukturen einer genauen Prüfung unterziehen, um Vorfälle wie diesen in Zukunft zu verhindern. „Um die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Institutionen zu erhalten, erwarte ich konsequentes Handeln und eine klare Verantwortungsübernahme.“