Analyse von Ulrich Reitz - Mit unverschämtem Trick macht Scholz aus dem Haushalt ein Bollwerk vor dem Abgrund

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, nehmen an einer Pressekonferenz zum Haushaltsplan 2025 teil.<span class="copyright">Michael Kappeler/dpa</span>
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, nehmen an einer Pressekonferenz zum Haushaltsplan 2025 teil.Michael Kappeler/dpa

Die Ampelkoalition einigt sich auf ihren vorerst letzten Haushalt. Sie hält zusammen, alles andere wäre auch ein Desaster für sie geworden. Der Kanzler sieht es so: Es gehe um Deutschlands Demokratie und die Stabilität in Europa. Wirklich?

Deutschland als letzter Anker demokratischer Stabilität in Europa – deshalb durfte diese Regierung nicht scheitern. Der Bundeskanzler packte nach der Haushaltseinigung das ganz große Besteck aus, wahrscheinlich ging es taktisch auch nicht anders.

Der Bürger mag sich indes fragen: Geht das nicht auch kleiner, bescheidener, bodenständiger – hängt das Schicksal Europas wirklich davon ab, dass eine deutsche Regierung sich auf einen Etat für das nächste Haushaltsjahr einigt? Was will man denn machen, wenn wirklich einmal eine richtige Krise kommt – die zum Beispiel Donald Trump heißt?

Eigentlich ging es in den vergangenen Wochen und bis in die letzte Nacht nur um den nächsten Bundeshaushalt, an und für sich ein technischer, also normaler Vorgang: Da wird mit Zahlen hinterlegt, was sich eine Regierung vorgenommen hat. Jeder Minister kämpft für sein Ministerium, jede Fraktion für ihre Lieblingsdinge, nichts jedenfalls, was nicht seit 1949 kontinuierlich gegeben hätte.

Eine Reparatur der Schäden, die die Ampel selbst herbeigeführt hat

Nur: Diese Normalität war schon lange weg, von der Ampel selbst pulverisiert über die Unvereinbarkeit von linken und liberalen Standpunkten. Das war die Fallhöhe der Etat-Beratungen. Schafft diese Regierung es noch einmal, über ihre inneren Unvereinbarkeiten hinweg zu etwas Gemeinsamem zu finden? Nun hat sie im Kern den Schaden repariert, den sie selbst herbeigeführt hat.

Die FDP hatte mit dem Ende der Koalition gedroht, halb war es ihr ernst, halb war es ein Instrument zur Disziplinierung ihrer staatsinterventionistischen Partner. Man mag sich kaum vorstellen, Christian Lindner und die Seinen hätten das nicht gemacht – dann wäre die Schuldenbremse jetzt weg und mit ihr der Versuch, das Steuergeld in den Staatsfinanzen solide im Sinne der Bürger zu verwalten.

Dann wären die Schleusen offen gewesen und eine Regierung, deren roter Teil beim Sozialgeldausgaben und deren grüner Teil beim Klimageldausgeben eine grenzenlose Fantasie besitzt, hätte erst so richtig losgelegt. Also eine Regierung, die das Vertrauen der Bürger bereits weitgehend verspielt hat, hätte noch einmal richtig viel vom Geld der Bürger ausgegeben.

Rechtspopulismus wird zur Ausrede für Demokraten, die ihren Job nicht erledigen

Da jetzt so viel von der inneren Stabilität dieses Staatswesens die Rede ist: Was dieser Vorgang für die Stabilität der Demokratie bedeutet hätte, mag man sich gar nicht erst ausmalen. Denn wem man sein Geld gibt, dem sollte man auch vertrauen können. Wovon kaum mehr die Rede sein kann, und zwar nicht:

Weil, wie Olaf Scholz an diesem Freitagmorgen ausführte, rechtspopulistische Kräfte, „die den Kompromiss verteufeln“, die demokratischen Institutionen gefährdeten, sondern – weil diese Koalition so regiert, dass die meisten Menschen sich deren Ende wünschen. Allmählich wird der Rechtspopulismus zur Ausrede von Demokraten, die ihren Job nicht in dem Sinn erledigen, dass die Bürger mit deren Arbeit zufrieden wären.

Er mache sich Sorgen um die Wahlen in Frankreich, sagte der Kanzler. Schon an diesem Sonntag dürften Rechts- und Linksradikale Emanuel Macrons bedrängte, weil wenig überzeugende, Mitte in die Zange nehmen. Aber: Was hat die Entwicklung in Frankreich mit Deutschland zu tun – außer der Lehre, dass es eben (partei-) politisch teuer werden kann, wenn ein Staat die Migrations- und die Rentenfrage nicht zu lösen in der Lage ist.

„Nerven verlieren und Weglaufen, dafür hätte ich als Bundeskanzler kein Verständnis“

„Deutschland muss jetzt der Stabilitätsanker in Deutschland sein“, sagt Olaf Scholz. Es ist eine hohe Tonlage, die an die ebenso hohe Tonlage erinnert, die für die letzten Jahre der Regierung Angela Merkels angestimmt wurde: eine Kanzlerin als „letzte Bastion des freien Westens“. Nach Merkels politischem Ende ging der freie Westen auch nicht unter. Es kam nur Olaf Scholz.

Und nach Olaf Scholz kommt womöglich nur Friedrich Merz. Der dann mit Sozialdemokraten oder Grünen regiert. Wo bitte wäre dann die Demokratie in Gefahr? Welche „geopolitischen“ Gründe, um mit der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang zu reden, könnte es geben, um den Bestand ausschließlich dieser Regierung zu rechtfertigen?

Die Alternative, sagt der Kanzler, wäre keine Alternative gewesen. Gemeint war ausnahmsweise einmal nicht die AfD, sondern die Möglichkeit, diese Koalition zu beenden. „Nerven verlieren und Weglaufen, dafür hätte ich als Bundeskanzler kein Verständnis.“ Das kann man verstehen, schon aus egoistischen Gründen: Wäre es dem Kanzler nicht gelungen, seine Regierung noch einmal, vielleicht sogar ein letztes Mal, zusammenzuhalten – Scholz wäre von heute auf morgen ein Polit-Rentner gewesen.

Angst vor Neuwahlen hält die Koalition zusammen

Was diese Koalition nun ein weiteres Mal über alle ihre Unzulänglichkeiten zusammenhält, ist das drohende Schicksal ihrer Einzelteile im Fall von Neuwahlen. Die FDP kratzt an der Fünfprozenthürde, die Grünen sind so klein geworden, dass eine Kanzlerkandidatensuchdebatte vom Publikum nur noch mit Kopfschütteln quittiert wird. Und die SPD ist gerade einmal halb so groß wie die Union. Die wiederum von der Ampel-Malaise auch nicht so richtig profitiert. Die Debatte, ob man der Union einen Neustart Deutschlands zutrauen soll, haben CDU und CSU erst noch vor sich.

Und doch ist das alles, wenn man die Wolken-Perspektive einnimmt, noch kein Grund zur Sorge: Die Demokratie in Deutschland ist nicht in Gefahr, und in Großbritannien gibt es gerade auch einen ganz normalen Regierungswechsel. Selbst Frau Meloni gibt in Italien auch nicht den neuen Duce.

Beim Haushalt kann noch Einiges passieren

Einige Worte zum Haushalt: In knapp zwei Wochen verabschiedet ihn das Bundeskabinett, dann gibt es ein paar mehr Einzelheiten. Dann herrscht Sommerpause, danach kommen drei Landtagswahlen im Osten Deutschlands. Danach starten die Etat-Beratungen. Danach wählen, Anfang November, die Amerikaner ihren neuen Präsidenten. Erst danach soll der neue Haushalt vom deutschen Parlament verabschiedet werden.

Will sagen: Da kann auf der Strecke noch eine Menge passieren. Falls die Wahlen ausgehen, wie alle Umfragen vorhersagen, schlittern die Ampelparteien danach in die nächste Krise. Wer weiß, ob Christian Lindners Zahlenwerk das dann übersteht. Als nächstes droht Donald Trump, und plötzlich hätten Verteidigungsfragen einen ganz anderen Stellenwert als jetzt gerade. Überhaupt, über diesen Punkt muss geredet werden.

Die Ampel verschiebt ein Problem in die Zukunft

Das Geld für die Zeitenwende ist 2027 ausgegeben. Für 2028 fehlen dann zwischen 25 und 30 Milliarden Euro – Stand jetzt. Das ist der halbe jetzige Verteidigungs-Etat. Wo soll das Geld herkommen, wurde der Bundeskanzler naheliegend gefragt. Aus der Antwort machte er einen Scherz – oder meinte er es ernst?

Im Wortlaut: Ab 2028 gebe es „großen Handlungsbedarf. Und ich bewerbe mich darum, ihn zu lösen“. Der Bundeskanzler bewirbt sich also mit dem Argument um eine weitere Amtszeit, in der Mitte der nächsten Legislaturperiode das für die Verteidigung nötig Geld zu besorgen. Das ist ein Wechsel, ausgestellt auf eine Zukunft, die niemand kennt. Die Realität sieht so aus: Der Bundesverteidigungsminister wollte zur Sicherung von Deutschlands „Kriegstüchtigkeit“ knapp sieben Milliarden. Eine bekam er.

Scholz und Robert Habeck und Christian Lindner überlassen es dem nächsten Bundeskanzler, das Geld für die Landesverteidigung zu beschaffen. Bis dahin allerdings dürfte, so oder so, die Welt eine andere sein.