Beitrag unseres Partnerportals „Economist“ - In einem Biden-Szenario entscheiden ganz spezielle Personen
Nach seinem desaströsen Auftritt gegen Trump stellt sich die Frage, ob Joe Biden als Präsidentschaftskandidat der Demokraten bestehen bleiben kann. Doch wie könnten die Demokraten Joe Biden als Präsidentschaftskandidaten überhaupt noch zurückziehen? Und wer könnte an seiner Stelle auf die Wahlliste gesetzt werden?
Präsident Joe Biden hätte bei der Fernsehdebatte mit Donald Trump am 27. Juni kaum schlechter abschneiden können. Es stellt sich die Frage, ob es einen Weg gibt, ihn als Kandidaten für die Wahlen im November zu ersetzen: Welche Optionen sind denkbar? Das Hauptproblem ist, dass er sich genügend Delegierte gesichert hat, um die Nominierung seiner Partei zu gewinnen. Das bedeutet, dass nur eine Person ändern kann, wer der Kandidat der Demokraten gegen Donald Trump wird: Biden selbst.
Eine Wiederholung der Vorwahlen ist nicht möglich. Um Parteikandidat zu werden, muss ein Kandidat die Mehrheit der Delegierten des Parteitags gewinnen. Die erforderliche Zahl liegt bei 1.968, und Biden hat bereits 3.894 Delegierte hinter sich, da er praktisch ohne Gegenkandidaten angetreten ist. Niemand, auch nicht die Delegierten des Parteitags, kann den Präsidenten zum Rücktritt zwingen. Sollte er jedoch zum Rücktritt überredet werden (sei es durch seine Frau oder durch eine Gruppe demokratischer Würdenträger), wären diese Delegierten nicht mehr gebunden und könnten für den Kandidaten ihrer Wahl stimmen.
Wenn Biden aufgibt, könnten „Superdelegierte“ die letztes Wort haben
Damit würde die Wahl zu einem Wettbewerb um die Unterstützung der Eliten und nicht, wie eigentlich vorgesehen, um die Gunst des Volkes; Kandidaten, die Biden ablösen wollen, müssten die Parteioberen für sich einnehmen. Sollte ein Kandidat im ersten Wahlgang nicht die absolute Mehrheit erhalten, was bei einem Rücktritt Bidens der Fall sein könnte, könnten zusätzlich 700 „Superdelegierte“ (in der Regel ehemalige hohe Parteifunktionäre) ihre Stimme abgeben.
Dies würde bedeuten, dass der Parteitag der Demokraten, der vom 19. bis 22. August in Chicago stattfindet, von seiner modernen Form – einem viertägigen feierlichen Staatsakt – wieder zu seiner altmodischen Arbeitsweise zurückkehrt: vier Tage Feilschen in Hinterzimmern. Aus einem solchen Chaos könnte die Partei tief gespalten hervorgehen. Seit 1976, als sich die republikanische Parteiführung für Gerald Ford und gegen Ronald Reagan entschied, hat Amerika keinen so umstrittenen Parteitag mehr erlebt.
Kamala Harris als Nachfolge?
Angenommen Biden kämpft sich durch den Parteitag und sichert sich trotz wachsender Zweifel an seiner Person die Nominierung, erkrankt dann aber und kann an der Wahl nicht teilnehmen – dann würde das Nationalkomitee der Demokraten, das aus einigen hundert Parteimitgliedern besteht, entscheiden, wen es an die Spitze der Kandidatenliste setzen will. Ein solches Treffen war bisher nur einmal nötig, nämlich 1972, als der demokratische Vizepräsidentschaftskandidat Thomas Eagleton zurücktreten musste, nachdem bekannt geworden war, dass er an Depressionen litt und sich einer Elektroschocktherapie unterzogen hatte. Es ist wahrscheinlich, dass die Vizepräsidentin, Kamala Harris, in diesem Fall die Nachfolge antreten wird.
Biden scheint ihr als Vizekandidatin loyal gegenüberzustehen und sein Befürworten ihrer eventuellen Nachfolge würde viel bedeuten. Es wird jedoch vermutet, dass Harris mangelnde Berechenbarkeit als Kandidatin einer der Gründe ist, warum Biden zögert, seine Kandidatur aufzugeben. Harris, die einen katastrophalen Wahlkampf für die Präsidentschaftskandidatur 2020 geführt hat, würde mit ziemlicher Sicherheit Herausforderer anziehen.
Diese Kandidaten könnten Trump schlagen
Dies gilt vor allem für den Fall, dass Biden seine Kandidatur noch vor dem Parteitag zurückziehen sollte. Nur ein Drittel der Amerikaner glaubt, dass Harris Trump schlagen würde, so eine Umfrage von Morning Consult im Mai 2024 für Politico. Obwohl es in einer gleichstellungsorientierten Partei unangenehm wäre, zu versuchen, die erste schwarze und weibliche Vizepräsidentin zu übergehen, würden einige Rivalen dies versuchen.
Wer sind diese Kandidaten? Werfen wir zunächst einen Blick auf die demokratischen Gouverneure. Gavin Newsom, der Gouverneur von Kalifornien, will offensichtlich Präsident werden und hat eine beeindruckende politische Machtbasis aufgebaut. Der Gouverneur von Illinois, J.B. Pritzker, ist ähnlich ehrgeizig und verfügt über ein geerbtes Milliardenvermögen, das ihm im Wahlkampf helfen könnte.
Die gemäßigten Gouverneure, die viele Demokraten für am besten geeignet halten, Trump Paroli zu bieten – wie Andy Beshear aus Kentucky, Josh Shapiro aus Pennsylvania oder Gretchen Whitmer aus Michigan – könnten Schwierigkeiten haben, das Geld und die Organisation für einen effektiven Wahlkampf aufzubringen. Andere potenzielle Kandidaten könnten hochrangige Mitglieder der Biden-Administration sein. Zu den beeindruckendsten politischen Talenten in seinem Kabinett gehören Verkehrsminister Pete Buttigieg und Handelsministerin Gina Raimondo. Raphael Warnock, Senator für Georgia, ist charismatisch, ein begnadeter Redner und vertritt einen Swing State.
Die Nominierung eines Ersatzes für Biden wäre chaotisch und umstritten, unabhängig davon, ob sie vor oder (vor allem) nach dem Parteitag erfolgt. Ein solch turbulentes Spektakel ist angesichts der bevorstehenden Wahlen für die Demokraten alles andere als ideal. Aber es wäre eine Möglichkeit, das zu erreichen, was sich in den letzten Jahren als bemerkenswert schwierig erwiesen hat: die Aufmerksamkeit von Trump abzulenken.
Dieser Artikel erschien zuerst im Economist unter dem Titel „How could Democrats replace Joe Biden as their candidate for president?“ und wurde von Andrea Schleipen übersetzt.