Bernd Schmelzer: "Im Frauen-Fußball geht es weniger um Show, Egoismen und Kohle"

Seit der EM 2022 erlebt der Frauenfußball einen Boom. "Das ist ein Quantensprung", findet auch ARD-Kommentator Bernd Schmelzer. (Bild: privat)
Seit der EM 2022 erlebt der Frauenfußball einen Boom. "Das ist ein Quantensprung", findet auch ARD-Kommentator Bernd Schmelzer. (Bild: privat)

Bei der Frauenfußball-WM peilt das deutsche Team den Titel an. Auch Kommentator Bernd Schmelzer gibt sich im Interview vor dem Turnier optimistisch. Außerdem erklärt er, welche Fehler des Männerfußballs der Frauenfußball vermeiden sollte und verrät, warum das Lied "Sweet Caroline" bei ihm Gänsehaut auslöst.

Zwölf Olympische Spiele, 28 Weltmeisterschaften und acht Europameisterschaften zieren laut seiner Website seine journalistische Vita. Doch räumt Kommentatoren-Urgestein Bernd Schmelzer lachend ein, die Informationen seien veraltet - mittlerweile habe er noch mehr Einsätze bei Großveranstaltungen hinter sich. Seine Stimme war dabei, als Thomas Dreßen 2018 den historischen Abfahrtssieg auf der Streif in Kitzbühel feierte. Auch die knappe EM-Niederlage der DFB-Frauen im Finale 2022 begleitete der 57-Jährige am Mikrofon. Der ARD-Kommentator gilt gleichermaßen als Wintersport-Enthusiast wie als Frauenfußball-Kenner. Klar, das er auch bei der anstehenden Frauen-WM in Australien und Neuseeland (ab 20. Juli) dabei ist.

teleschau: Nach der erfolgreichen EM 2022 wollen die DFB-Frauen auch bei der WM weit kommen. Sie kommentierten das EM-Finale 2022. Welche Emotionen verbinden Sie mit dem Spiel?

Bernd Schmelzer: Das war schon sehr emotional. Wembley, ausverkauftes Stadion, England gegen Deutschland, ein Mythos, ein unfassbarer Hype schon im Vorfeld des Endspiels. Es hat dann einen sehr unglücklichen Verlauf genommen. Man hat sich aus deutscher Sicht gewünscht, dass die DFB-Elf den Titel gewinnt. Ich würde sagen, rein stimmungstechnisch war das eines der absoluten Highlights der vergangenen 30 Jahre. Seither höre ich in vielen Stadien das Lied "Sweet Caroline", den großen Hit der EM. Da habe ich immer noch Gänsehaut. Das verbinde ich untrennbar mit dem Finale in Wembley.

teleschau: Was hat sich seither im Frauenfußball getan?

Schmelzer: Man sieht natürlich, wie groß der Sprung geworden ist in Sachen Zuschauerzuspruch. Das ist ein Quantensprung. Man merkt es an den TV-Reichweiten und auch in der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, wo die Spielerinnen jetzt überall auftauchen - in Gameshows, in Talkshows oder in Schalten. Auch das Social-Media-Engagement tut seinen Teil dazu. Die Reputation ist mittlerweile eine ganz andere. Ich glaube, darauf wurde 20, 30 Jahre gewartet, auf diese Welle der Begeisterung. Die deutsche Elf war zwar vor der EM 2022 Seriensieger, aber man hat die Euphorie nie so richtig rüberretten können in den Liga-Alltag. Das ist, glaube ich, jetzt gelungen.

teleschau: Wie gehen die Spielerinnen mit dieser neuen Aufmerksamkeit um?

Schmelzer: Für die ein oder andere, das hört man in den Gesprächen, ist das schon überraschend. Sie werden jetzt im Alltag erkannt, angesprochen und bekommen teils wäschekörbeweise Fanpost. Aber die Spielerinnen gehen damit sehr entspannt um. Da hat sich meines Erachtens nichts geändert im täglichen Umgang. Bei den Medientagen in Herzogenaurach habe ich das erlebt: Da ruft einem immer noch eine über den Gang etwas hinterher, wie sie es vorher gemacht hat mit 150.000 Followerinnen weniger. Das finde ich bemerkenswert.

Die Kommerzialisierung macht auch vor dem Frauenfußball nicht Halt. "Das Nahbare, das Ehrliche und das Ursprünglichere sollte sich der Frauenfußball auf jeden Fall erhalten", findet Bernd Schmelzer. (Bild: NDR / Christian Spielmann)
Die Kommerzialisierung macht auch vor dem Frauenfußball nicht Halt. "Das Nahbare, das Ehrliche und das Ursprünglichere sollte sich der Frauenfußball auf jeden Fall erhalten", findet Bernd Schmelzer. (Bild: NDR / Christian Spielmann)

"Der Boom ist nicht mehr so ein One-Hit-Wonder, wie es früher war"

teleschau: Was macht Sie zuversichtlich, dass der derzeitige Boom nicht wieder abflaut?

Schmelzer: Ich habe das Gefühl, dass es nachhaltiger ist und nicht mehr so ein One-Hit-Wonder, wie es früher einmal war. Die Liga, die Nationalmannschaft, der Verband und die Vereine ziehen jetzt mehr an einem Strang. Dadurch hast du eine ganz andere Reichweite. Alleine der Schritt, in größere Stadien, in "Männerstadien", zu gehen, war eine tolle Idee.

teleschau: Der FC Bayern München und der VfL Wolfsburg gelten als Zugpferde.

Schmelzer: Ja, das fängt beim Bundesliga-Eröffnungsspiel an, und geht bei Spielen des VfL Wolfsburg und den Champions-League-Spielen der Bayern in der Allianz-Arena weiter. Das sorgt für eine riesige Aufmerksamkeit. Wenn einst 500 Hansel in Aschheim auf dem Sportplatz standen - was wunderschön war -, hast du jetzt 30.000 Menschen in der Allianz-Arena. Ähnlich ist es in Wolfsburg. Der Multiplikator ist viel höher.

teleschau: Die Verdreifachung der Zuschauerzahlen Bundesliga in der vergangenen Saison spricht Bände.

Schmelzer: Die großen Vereine ziehen ja die kleinen mit. Wenn in einem Spiel 30.000 Fans kommen, ist die Chance am nächsten Wochenende mal 30.000, dass auch mehr Zuschauer in das Frauenstadion gehen. Dann hast du eine bessere Stimmung. Spiele laufen jetzt live im Fernsehen oder im Livestream. Dazu kommt die Ausstrahlung der Highlights in der Sportschau und Nachrichten in den dritten Programmen. Da hat sich total viel getan.

Trotz der großen Aufmerksamkeit, die den Spielerinnen um Alexandra Popp (Mitte) mittlerweile entgegengebracht wird, habe sich im gegenseitigen Umgang "nichts geändert", wie Bernd Schmelzer versichert. (Bild: Getty Images / Harriet Lander)
Trotz der großen Aufmerksamkeit, die den Spielerinnen um Alexandra Popp (Mitte) mittlerweile entgegengebracht wird, habe sich im gegenseitigen Umgang "nichts geändert", wie Bernd Schmelzer versichert. (Bild: Getty Images / Harriet Lander)

"Im Männer-Fußball geht es in erster Linie um Geld"

teleschau: Weg vom Strukturellen, hin zum Sportlichen: Sie haben mit Nia Künzer ein Buch mit dem Titel "Warum Frauen den besseren Fußball spielen" geschrieben. Warum ist das in Ihren Augen so?

Schmelzer: Diese Vergleiche zwischen Männer- und Frauenfußball sind immer schwierig. Aber wir finden, dass Frauen den ehrlicheren Fußball spielen. Es geht mehr um Fußball und weniger um Show, Egoismen, Kohle und um diese ganze Gemengelage außen herum. Im Männer-Fußball geht es in erster Linie um Geld, dann um Geld und dann um Geld. Das ist für mich der große Unterschied. Das Nahbare, das Ehrliche und das Ursprünglichere sollte sich der Frauenfußball auf jeden Fall erhalten. Sobald das in Richtung einer extremen Professionalisierung geht, werden aber vielleicht dieselben Fehler gemacht wie bei den Männern.

teleschau: Ganz ohne Kommerzialisierung wird es nicht gehen. Es geht um Übertragungsrechte, um Investoren, auch um gerechte Gehälter für die Frauen. Gleichwohl kann der Frauenfußball von den Fehlern lernen, die in den vergangenen Jahrzehnten im Männerfußball gemacht wurden ...

Schmelzer: Das ist das große Ziel bei all dem, was man so hört. Man muss auch sagen: Alles, was an Kommerzialisierung passiert, ist noch auf einem sehr überschaubaren Niveau. Bei all den Anstrengungen werden die reinen Frauenfußballvereine wohl von den Frauenabteilungen der großen Männerclubs überholt werden. Die werden womöglich - leider - verschwinden. Die müssen versuchen, sich anzupassen, was aber ganz schwer wird. Das ist der große Spagat, sich da nicht zu sehr mit den Männern zu vergleichen, sondern wie bisher die eigene Linie unter veränderten Bedingungen weiterzuführen.

teleschau: Christian Keller vom 1. FC Köln hat 2022 vorgerechnet, dass die Frauenabteilung des Vereins eine beträchtliche Finanzspritze von der Männerabteilung bekommt, sich aber lange noch nicht rechnet. Wird der ständige Vergleich zwischen Männer- und Frauenfußball erst ein Ende finden, wenn Frauenabteilungen finanziell unabhängig arbeiten können?

Schmelzer: Das ist das, was die Vereine anstreben. Wenn du international auf einem Top-Niveau mitspielen willst, wird das aber sicherlich noch etwas dauern. Man kann gar nicht gleichermaßen mehr Sponsoren akquirieren wie auf der anderen Seite die Kosten steigen, egal ob das Geld in Gehälter, Infrastruktur oder professionalisierte Bedingungen fließt. Deshalb wird es noch einige Zeit dauern, bis die Frauenabteilungen auf eigenen Beinen stehen können. Wie es ist, wenn du nicht von einer Männermannschaft finanziert wird, sehen die reinen Frauenvereine in der Bundesliga. Dann wird der Abstand ziemlich schnell sehr groß.

"Ich hatte das Gefühl, das der Frauenfußball instrumentalisiert wird"

teleschau: Die Monate vor der anstehenden Weltmeisterschaft waren geprägt von dem Rechtepoker. Lange war unklar, wo und ob die Spiele überhaupt gezeigt werden. Wie haben Sie diese Entwicklung verfolgt?

Schmelzer: Ich habe den Koffer immer mal wieder gepackt und dann wieder ausgepackt. Meine Kolleginnen und Kollegen und ich haben das sozusagen hautnah miterlebt. Ich hatte bei dem Poker etwas das Gefühl, dass der Frauenfußball instrumentalisiert wird, um sich seitens der Fifa persönlich zu profilieren. Das fand ich schade, dass es auch in diesem Bereich nur noch um Geld ging. Das hätte man sich sparen können, wenn man die Rechte frühzeitig ausgeschrieben hätte. Es hat ein schlechtes Licht auf die WM im Vorfeld geworfen, gerade in einer Zeit, wo der Frauenfußball-Boom so stark war.

teleschau: Was trauen Sie den DFB-Frauen bei der WM zu?

Schmelzer: Ich habe im Trainingslager eine sehr optimistische Mannschaft erlebt. Alle haben auch vom Titel gesprochen und dass sie nach dem verlorenen EM-Finale den nächsten Schritt gehen wollen. Das hat mir ziemlich imponiert. Wenn sie sich jetzt richtig einspielen, kann die Mannschaft weit kommen. Der Teamgeist ist gut, es ist eine Idee dahinter und man hat das Gefühl, die eigenen Interessen werden zugunsten des Teams zurückgestellt.

teleschau: Sara Däbritz hat einen sehr engen Titelkampf prognostiziert ...

Schmelzer: Das glaube ich auch, weil man gar nicht weiß, wen man neben den USA als dauerhafter Titel-Aspirant überhaupt auf dem Zettel haben soll. Die Engländerin sind zu nennen, die Französinnen sind stark. Die Niederländerinnen hatten gute Testergebnisse. Auch Brasilien mit der unfassbaren Trainerin Pia Sundhage muss man nennen, dazu Kanada und die Gastgeberinnen aus Australien. Das ist eine lange Liste. Es wird sein sehr spannendes, spektakuläres Turnier.

teleschau: Auf welche Schlüsselspielerinnen wird es für die deutsche Elf ankommen?

Schmelzer: Eine sehr gute Torhüterin, eine Knipserin. Es braucht eine gute Achse. Wenn die funktioniert, funktioniert auch die Mannschaft.

teleschau: Die Zeitverschiebung zwischen Australien und Deutschland ergibt hierzulande ziemlich ungünstige Anstoßzeiten. Kann die WM überhaupt eine ähnliche Euphorie entfachen, wie es bei der EM der Fall war?

Schmelzer: Ich glaube schon, auch wenn die Rekordquote vom EM-Finale wohl nicht fallen wird. Da würde ich ein Fragezeichen dahinter machen. Die deutschen Spiele finden zwischen 10 und 12 Uhr statt, da schlafen wirklich die wenigsten Menschen noch. Wenn die deutsche Mannschaft spielt, wird eine Euphorie aufkommen. Das werden sehr ordentliche Einschaltquoten sein. Ich glaube, die Einschaltquoten der Männer in der Primetime zuletzt werden überboten.

teleschau: Auf Ihrer Website haben Sie aufgeführt, dass sie an zwölf Olympischen Spielen, 28 Weltmeister- und acht Europameisterschaften als Kommentator gewirkt haben. Welche beruflichen Träume haben Sie noch?

Schmelzer: Das ist gar nicht mehr ganz aktuell. (lacht) Das ist mittlerweile mehr geworden. Ich würde gerne noch einmal einen deutschen Sieger auf der Streif kommentieren, egal ob beim Slalom oder Abfahrt. Das wäre mir ein großes Anliegen. Und ein Champions-League-Finale der Frauen mit deutscher Beteiligung fände ich auch noch einmal spannend.