Fünf Gäste sind für einen Abend Lanz zu viel

Zu Gast sind Politiker Hans Eichel, Ökonom Daniel Stelter, Model Jorge González, Ex-Obdachloser Dominik Bloh und Sozialarbeiterin Andrea Hniopek. Foto: ZDF Screenshot
Zu Gast sind Politiker Hans Eichel, Ökonom Daniel Stelter, Model Jorge González, Ex-Obdachloser Dominik Bloh und Sozialarbeiterin Andrea Hniopek. Foto: ZDF Screenshot

Manchmal fragt man sich bei Markus Lanz, warum in seiner Talkshow Gäste sitzen, an die er kaum Fragen richtet. Dieses Mal waren fünf Personen eingeladen. Kein Wunder, dass für Sozialarbeiterin Andrea Hnjopek keine Zeit blieb. Schade, denn so wirkt es, als wäre sie tatsächlich nur die Quotenfrau. Immerhin schafft sie es, trotz der wenigen Minuten Redezeit, die Lanz ihr lässt, eine Spitze gegen die Politik auszuteilen. Bei Lanz ging es um das neue Sozialstaatskonzept der SPD, das arme Deutschland und Obdachlose. Wobei am interessantesten das Leben des ehemaligen Obdachlosen Dominik Bloh war.

Agenda 2010 vs. Sozialstaatskonzept

Doch zuerst blickt Lanz, wie üblich, erst einmal zurück, statt nach vorne. Er fragt den ehemaligen Bundesminister der Finanzen, was falsch an der Agenda 2010 lief. Hans Eichel war von 1999 bis 2005 im Kabinett von Gerhard Schröder. „Vieles an der Agenda 2010 war gut“, meint Eichel. Doch er räumt auch Fehler ein. Sie hätten direkt den Mindestlohn einführen müssen, um dem Niedriglohnsektor entgegen zu wirken, so Eichel. Doch das Problem waren die Gewerkschaften. Die Großen wollten nicht, dass der Gesetzgeber in die Tarifautonomie eingreift. Jetzt macht er es doch, weil er muss.

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Die SPD hat Agenda 2010 nie ganz überwunden. Das Sozialstaatskonzept soll jetzt die nie ganz verheilte Wunde schließen. Hartz IV-Leistungen werden dann Bürgergeld heißen, Sanktionen wegfallen und Arbeitnehmer länger das Arbeitslosengeld I beziehen. Es soll eine garantierte Rente für schlecht Bezahlte geben, die ihr Leben lang gearbeitet haben, und eine Kindergrundsicherung. Das klingt teuer und ist es auch. Wie finanziert man das also? Auf Dauer wird das schwer werden, denn Deutschland ist arm, meint Wirtschaftswissenschaftler Daniel Stelter.

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Armes Deutschland

Wir arbeiten zwar mehr, verdienen mehr, doch die Italiener sind doppelt so reich wie wir, so Stelter. Das liegt am Spitzensteuersatz, der inzwischen bis in die Mitte reicht. Wenn man Reiche besteuert, dann spricht man meistens über Einkommen, aber nicht über Vermögen. Eigentlich müssten Vermögen besteuert werden, denn ein Arzt wird sich, trotz seines Verdienstes, keine teuren Immobilien leisten können. Dass falsch besteuert wird, glaubt auch Eichel. Zum Beispiel findet er, dass Umweltschäden besteuert und eine CO²-Steuer eingeführt werden sollten, die aber nicht zulasten der kleinen Leute geht. Wie das geht, macht die Schweiz vor.

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Doch mit diesem Vorschlag schlägt Eichel wieder in die gleiche Kerbe, die Stelter kritisierte. Der meinte, die Diskussion drehe sich immer um Verteilungsfragen anstatt um die Planung der Zukunft. Die Politik aber müsse vorsorgen, indem sie beispielsweise in die Digitalisierung investiere. „Sie muss den Leuten helfen, mehr zu verdienen, dann können die Renten bezahlt werden“, so der Ökonom.

Markus Lanz versucht den Politiker Hans Eichel aufs Glatteis zu führen. Foto: ZDF Screenshot
Markus Lanz versucht den Politiker Hans Eichel aufs Glatteis zu führen. Foto: ZDF Screenshot

Vom Leben in hohen Schuhen

Die Überlegung, dass Deutschland arm ist, macht Lanz allerdings nicht so sehr zu schaffen wie die Bilder von Jorge González Vater, der mit 97 Jahren noch die alte Kleidung seines Sohnes für ein Fotoshooting trägt. Das Model sitzt in rotem Kostüm und High Heels bei Lanz. Schon immer liebte er extravagante Outfits. „Und das Shooting mit meinem Vater hat mir gezeigt, dass er mich so akzeptiert wie ich bin“, erzählt González. Sogar die Schuhe probierte dieser an und González beteuert immer wieder, dass sein Vater dabei sogar Spaß hatte. Als Lanz zum letzten Thema des Abends kommt – es ist ja auch nur noch eine viertel Stunde Zeit und zwei Gäste warten –, betont er aber noch einmal: „Ich komme einfach nicht darüber hinweg, was du deinem alten Vater alles antust.“

Vom Leben auf der Straße

Jetzt endlich darf Sozialarbeiterin Andrea Hnjopek kurz etwas sagen, bevor der ehemalige Obdachlose Dominik Bloh erzählt. Und zwar, dass die Zahl der Obdachlosen zugenommen hat und dass obdachlose Frauen fast immer Gewalt erfahren haben. Das war es dann aber erst mal.

Und so bildreich wie Bohl erzählt, wünscht man sich, er möge niemals aufhören. Mit sechzehn setzte ihn die Mutter mit zwei Koffern auf die Straße. Sie ist psychisch krank, der Vater verprügelte ihn. Bohls Anlaufstelle war ein Freund, doch als er klingelte, ging die Tür nicht auf sondern das Licht aus. Niemand öffnete. Und Bohl stand alleine auf der Straße, sein Zuhause für die nächsten elf Jahre.

Er schlief mit Feuerzeugen in den Fäusten, damit die Knochen beim Zuschlagen nicht brechen, wenn er sich verteidigen musste. Um seinen Schlafplatz spannte er eine Schnur, an der Dosen und Büchsen befestigt waren. Sie sollten ihn aufwecken, wenn sich jemand nachts näherte. Das Leben auf der Straße war hart, Bohl war immer rastlos. Einmal stellte er sich im Winter vor, dass das Zeitungspapier vor ihm die weiße Tischdecke seiner Großmutter sei und dass sie zusammen zu Abend essen würden, so wie früher. Die Fantasie nährte ihn von innen.

Seit zwei Jahren wohnt Bohl wieder in einer eigenen Wohnung. Er hat es geschafft, in ein normales Leben zurückzukehren. In seinem Buch „Palmen aus Stahl“ erzählt er, wie es ihm gelang. Er hatte Glück, denn das Abitur beendete er, obwohl sich niemand in der Schule um ihn kümmerte. Lehrer, Sozialpsychologe und Jugendamt schoben Bohl weiter – sollte sich jemand anderes um ihn kümmern.

Aus Bohls Geschichte können wir lernen, dass jeder etwas tun kann, jeder ist verantwortlich, sagt Hnjopek. „Wenn Sie über Politik und Millionen sprechen, dann ist das ganz weit weg von mir“, fügt sie an Stelter gerichtet hinzu. Sie meint damit die Realität der Politiker, die Sozialstaatskonzepte beschließen und über Arbeitslosigkeit diskutieren. Am Ende geht es doch um das Individuum.

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