Lebenshaltungskosten und Wohnungskrise bestimmen die Wahl der Briten

Lebenshaltungskosten und Wohnungskrise bestimmen die Wahl der Briten

Kensington und Bayswater ist ein Stadtteil der Extreme. Es ist eine der wohlhabendsten Gegenden im Vereinigten Königreich und zugleich auch eine der sozial am stärksten gespaltenen. Im Süden des Wahlkreises säumen teure Villen die Straßen. Im Norden stoßen diese Luxusvillen an überfüllte Sozialwohnungsbauten.

Diese tiefe soziale Kluft spiegelt sich auch in den Wahlergebnissen wider. Die Ergebnisse gehörten bei den Parlamentswahlen 2019 zu den knappsten des Landes. Die konservative Regierungspartei lag nur 150 Stimmen vor der Labour Partei.

Bewohner im ganzen Wahlkreis äußerten sich gegenüber Euronews. Sie sagten, dass unabhängig vom Wahlausgang am Donnerstag mehr getan werden müsse. Für sie geht es um den chronischen Wohnungsmangel und die öffentlichen Dienste, die sich stetig verschlechtern. Zudem haben Arbeitnhemer und die Mittelschicht vermehrt das Gefühl, dass es ihnen schlechter geht als früher.

"Vielen Menschen ist vieles vorenthalten worden. Es gab noch nie so viele Obdachlose auf der Straße. Ich glaube, niemand schenkt dem Beachtung", sagt Peter Adams, ein Bauarbeiter, der seit 40 Jahren in der Gegend lebt.

"Wenn man sich die Baugenehmigungen für Wohnungen ansieht und die Bürokratie im Zusammenhang mit der Planung, dann lähmt das London", erklärt er, "wir müssen uns darum kümmern, für die Zukunft zu bauen."

Adam Ross, ein Geschäftsmann, der um die Ecke von Kensingtons berühmten Hyde Park wohnt, sieht das genauso: "Wir müssen mehr Wohnungen bauen. Wir brauchen bessere Verkehrsmittel. Wir müssen wirklich bauen und die Wirtschaft wieder ankurbeln."

Lebenshaltungskosten machen den Briten zu schaffen

Kensington ist natürlich nicht unbedingt repräsentativ für die unterschiedlichen Realitäten in den vier Nationen des Vereinigten Königreichs. Aber in allen Teilen des Landes herrscht das allgemeine Gefühl, dass die letzten Regierungen nicht genug getan haben, um die Auswirkungen der Lebenshaltungskostenkrise abzufedern.

Im Vereinigten Königreich sank das BIP in den letzten beiden Quartalen des Jahres 2023 um 0,1 Prozent, beziehungsweise 0,3 Prozent. Diese Rezession war jedoch nur von kurzer Dauer und die Wirtschaft zeigt nun Anzeichen einer Erholung. Das BIP stieg im ersten Quartal dieses Jahres um 0,6 Prozent und die Inflation ging im Mai auf die von der Bank of England angestrebten 2 Prozent zurück.

Da die Lebensmittelinflation jedoch nach wie vor hoch ist, leiden viele Menschen, deren Einkommen gleich geblieben ist, immer noch unter dem Druck.

Nach Angaben der Wohltätigkeitsorganisation Trussell Trust hat die Zahl der Menschen, die im Vereinigten Königreich auf Lebensmittelbanken angewiesen sind, in den letzten fünf Jahren um 94 Prozent zugenommen.

Michelle Dornelly, zweite von rechts und mehrere Freiwillige bereiten vor der Eröffnung des Community Food Hub in London, am 13. Juni 2024, Lebensmittel zu.
Michelle Dornelly, zweite von rechts und mehrere Freiwillige bereiten vor der Eröffnung des Community Food Hub in London, am 13. Juni 2024, Lebensmittel zu. - Kin Cheung/Copyright 2024 The AP. All rights reserved

Bei den Parlamentswahlen am Donnerstag wird der Labour-Partei nach 14 Jahren auf den Oppositionsbänken ein enormer Zuwachs vorausgesagt. Für Peter Adams ist das ein Wechsel, der dringend nötig ist.

"Ich denke, dass Labour die fähigste Partei für Veränderungen ist. Sie versteht die Bedürfnisse der Menschen", sagte er. "Man muss die Bedürfnisse der Menschen verstehen, vor allem die der arbeitenden Bevölkerung. Und ich denke, man hat sie nicht verstanden, man hat ihnen nicht genug zugehört."

Die Labour-Partei und ihr Vorsitzender Sir Keir Starmer versprechen "Wohlstand" für die Arbeitnehmerschaft. Sie planen einen "New Deal", in dem auch ein Verbot von Nullstundenverträgen und der Praxis des fahrlässigen Entlassens und Wiedereinstellens enthalten ist. Außerdem soll ein existenzsichernder Lohn eingeführt werden, der die hohen Lebenshaltungskosten berücksichtigt.

Die Partei sagt, dass der durchschnittliche britische Haushalt in der nächsten Legislaturperiode um 5.883 Pfund schlechter gestellt sein wird, wenn der Konservative Rishi Sunak Premierminister bleibt.

Sunak beschuldigte daraufhin seinen Gegner, ein "Manifest im Stil von Jeremy Corbyn" zusammenzustellen, indem er "alles in die Schubkarre" lege, ohne zu erklären, wie die Pläne finanziert werden sollen. Er hat wiederholt davor gewarnt, dass Steuererhöhungen unter Starmer unausweichlich sein werden und sagte, dass Labour "jede Generation in den Bankrott treiben" würde.

Harte Herausforderungen im Wohnungsbau

Beide Politiker haben allerdings die große Herausforderung erkannt, vor der das Vereinigte Königreich steht, wenn es den Zugang zu Wohnraum sicherstellen will.

Das Vereinigte Königreich liegt bei der Zahl der Wohnungen pro Kopf hinter anderen europäischen Ländern zurück. In England liegt die Zahl der Wohnungen pro 1000 Einwohner mit 434 unter dem OECD-Durchschnitt von 487 und im Vergleich zu 590 in Frankreich und 587 in Italien.

Allein in England stehen mehr als 1,2 Millionen Menschen auf den Wartelisten für Sozialwohnungen. In allen vier Ländern liegt diese Zahl bei fast 1,5 Millionen.

Die Konservativen haben sich verpflichtet, in der kommenden Wahlperiode 1,6 Millionen neue Wohnungen zu bauen. Die Labour-Partei strebt 1,5 Millionen neue Wohnungen innerhalb von fünf Jahren an, die in den von Starmer als "grauer Gürtel" bezeichneten Gebieten gebaut werden sollen. Das sind Gebiete, die vernachlässigt wurden oder verfallen sind.

Die Labour-Partei will auch die verbindlichen Wohnungsbauziele für die Gemeinderäte wieder einführen, die Sunak 2023 aufgrund einer Rebellion in seiner Partei aufgegeben hatte.

Auch die Wohnqualität stellt eine große Herausforderung dar, denn schätzungsweise 14 Prozent der Haushalte leben in einer Wohnung, die nicht dem Decent Homes Standard (Standard für menschenwürdiges Wohnen) entspricht.

Der tragische Tod des zweijährigen Kindes Awaab Ishak, das aufgrund von Schimmelpilzbefall in seinem Haus in Rochdale im Jahr 2020 an einer Atemwegserkrankung starb, hatte die gravierenden Auswirkungen der schlechten Qualität von Wohnsiedlungen im ganzen Land deutlich gemacht.