Kemal Kilicdaroglu: Wer ist der Politiker, der Erdogan herausfordert?

Seit 20 Jahren führt Recep Tayyip Erdogan die Geschicke der Türkei. Doch nun fordert ihn ein ernsthafter Konkurrent heraus. Wer ist Erdogans Gegenkandidat Kemal Kilicdaroglu?

Nach langem Ringen entschied sich das Oppositionsbündnis für den CHP-Kandidaten Kemal Kilicdaroglu. (Bild: REUTERS/Umit Bektas)
Nach langem Ringen entschied sich das Oppositionsbündnis für den CHP-Kandidaten Kemal Kilicdaroglu. (Bild: REUTERS/Umit Bektas)

Es ist ein symbolträchtiges Jahr für die Türkei, denn genau vor 100 Jahren wurde die Republik gegründet. Voraussichtlich wird nun am 14. Mai in der Türkei das Staatsoberhaupt gewählt, gleichzeitig finden auch Parlamentswahlen statt. Es könnte das erste Mal seit Jahren sein, dass es für den türkischen Präsidenten Erdogan knapp wird. Das an der wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung, vor allem aber auch an seinem Gegner, Kemal Kilicdaroglu.

Es war keine leichte Geburt, bis sich das Bündnis aus sechs Oppositionsparteien zu einem gemeinsamen Kandidaten durchgerungen hatte. Doch nach langem Hin und Her fiel die Wahl schließlich auf den Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP. Von dem 74-Jährigen verspricht sich die Opposition am ehesten, eine realistische Chance gegen den langjährigen Amtsinhaber Erdogan zu haben. Sie bauen auf seine makellose politische Weste und sein Image.

Kilicdaroglu: Vertrauenswürdig aber nicht mitreißend

Dennoch dauerte es lange, bis der Kandidat in Ankara gekürt wurde. Zwischendurch stieg Meral Aksener, Vorsitzende der nationalkonservativen Iyi-Partei, sogar komplett aus dem Bündnis aus. Nur um dann doch noch eine überraschende Kehrtwende hinzulegen und sich der Wahl von Kilicdaroglu anzuschließen. Aksener hatte als Kandidaten zwei prominente Bürgermeister, Mansur Yavaş aus Ankara und Ekrem İmamoğlu aus Istanbul, bevorzugt. Beide gelten als charismatisch und sind ebenfalls Mitglieder der CHP. Im Wahlkampf wird es nun auch auf ihre Unterstützung für den als nicht sehr mitreißend geltenden Kilicdaroglu ankommen.

Der versucht nun, die Risse zwischen den Partnerparteien zu kitten. "Die Tür des Nationalbündnisses steht allen sperrangelweit offen, die unseren gemeinsamen Traum der Türkei teilen", so Kilicdaroglu. Sein Versprechen an die Oppositionsparteien: Jeder der fünf Vorsitzenden würde im Falle seiner Wahl zum Vizepräsidenten ernannt. Dass dieser Fall nicht gänzlich unwahrscheinlich ist, liegt an den anhaltenden Repressionen der Regierung Erdogans gegen die Opposition, vor allem aber auch der kursierenden Korruption, die zuletzt bei den hohen Todeszahlen nach den verheerenden Erdbeben deutlich und schmerzhaft sichtbar wurde. Die Korruptionsbekämpfung hat sich Kilicdaroglu seit jeher auf die Fahne geschrieben. Und er hat eine lange politische Laufbahn als Arbeitsnachweis im Gepäck.

Korruptionsbekämpfung auf die Fahnen geschrieben

Als Sohn einer Beamtenfamilie wurde Kemal Kilicdaroglu 1948 in Tunceli in Ostanatolien geboren. Er ist das vierte von sieben Kindern und seine Familie gehört der ethnisch-religiöse Minderheit der Aleviten an. Nach einem Wirtschaftsstudium in Ankara arbeitete er zunächst als Referent im Finanzministerium, bevor er 1992 zum Direktor der Behörde für Soziale Versicherungen aufstieg. Auch nach seiner Pensionierung im Jahr 1999 widmete er sich der Korruptionsbekämpfung. Für die CHP erarbeitete er einen Korruptionsbericht, es war sein Einstieg in die Politik. 2002 wurde er ins türkische Parlament gewählt, im gleichen Jahr, in dem Erdogan erstmals zum Präsidenten gewählt wurde. Kilicdaroglu ist parteiintern aber auch in der Öffentlichkeit geschätzt für seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit. Es sind genau diese Werte, die ihn für Erdogan zu einem riskanten Gegenspieler werden lassen.

Das Vertrauen in den langjährigen Amtsinhaber Erdogan schwindet in der Türkei. (Bild: Emin Sansar/Anadolu Agency via Getty Images)
Das Vertrauen in den langjährigen Amtsinhaber Erdogan schwindet in der Türkei. (Bild: Emin Sansar/Anadolu Agency via Getty Images)

Bekommt Kilicdaroglu die Unterstützung der Kurden?

Immer wieder legte er in den vergangenen Jahren öffentlich Beweise für Korruption vor, was ihm landesweit Aufmerksamkeit einbrachte. Viele Wähler*innen hoffen, dass er als Präsident hart gegen Veruntreuung vorgehen und so die Wirtschaft wieder stabilisieren könnte. Die Türkei hat mit massiver Inflation von momentan fast 58 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Nachdem er zum Präsidentschaftskandidaten gekürt worden war, erklärte Kemal Kilicdaroglu vor tausenden jubelnden Anhänger*innen in Ankara: "Unser größtes Ziel ist es, die Türkei zu Wohlstand, Frieden und Freude zu bringen."

Auf dem Weg dorthin will das Oppositionsbündnis das 2017 von Erdogan eingeführte Präsidialsystem abschaffen und wieder durch eine parlamentarische Republik ersetzen. Die prokurdische HDP gehört zwar dem Sechser-Bündnis nicht an, dürfte aber dennoch hinter Kilicdaroglu stehen und keinen eigenen Kandidaten aufstellen. Damit könnten die kurdischen Stimmen das Pegel zugunsten des Oppositionskandidaten ausschlagen lassen.

Statistik: Türkei:
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Druck auf Erdogan wächst

Erdogans islamisch-konservative AKP tritt gemeinsam mit der ultranationalistischen MHP und der kleinen nationalistisch-religiösen BBP zu den Wahlen an. Dass Erdogan den politischen Druck spürt, lässt sich auch daran ablesen, dass er die eigentlich für Juni vorgesehene Wahl unbedingt auf den 14. Mai vorziehen will. Am kommenden Freitag (10.3.) hat er dazu ein Dekret angekündigt. Die meisten aktuellen Umfragen deuten darauf hin, dass es dennoch ein sehr enges Rennen um die Präsidentschaft geben könnte. Zwar liegt die AKP mit etwa 30 Prozent der Stimmen in den Umfragen zur Parlamentswahl weiter vorne, die Regierungspartei hat allerdings im Vergleich zu 2018 mehr als zehn Prozent eingebüßt. In der Türkei herrscht für die knapp 54 Millionen Wahlberechtigten eine Wahlpflicht. Auch in Deutschland leben zahlreiche wahlberechtigte Türken. Bei den Wahlen 2018 waren es laut dpa 1,4 Millionen.

Im Video: Türkei: Kilicdaroglu tritt gegen Erdogan an