Kommentar: Die lauten Glocken der Niedersachsen-Wahl

In Hannover wurde am Sonntag nicht nur ein neuer Landtag bestimmt. Vom Bundesland geht ein Signal aus: Die Leute wollen Ruhe, Authentizität und Verantwortung. Wer das nicht liefert, verliert. Oder geht zur AfD.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Der berühmte schiefe Turm von Suurhusen im ostfriesischen Niedersachsen: Von der Landtagswahl geht ein Glockengeläut aus, das bis nach Berlin schallt (Bild: REUTERS/Christian Charisius)
Der berühmte schiefe Turm von Suurhusen im ostfriesischen Niedersachsen: Von der Landtagswahl geht ein Glockengeläut aus, das bis nach Berlin schallt (Bild: REUTERS/Christian Charisius)

Niedersachsen hat gewählt, und die Nordwestdeutschen entschieden sich vor allem für eine Person. Weniger für ein Programm, aber das auch. Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD hat nicht nur seinen Amtsbonus ausgespielt, sondern auch eine Wegmarke für künftige Bundespolitik gesetzt: Ruhig sollen die in politischer Verantwortung Stehenden sein, und Ruhe ausstrahlen. Sie sollen wirken, als ob sie den Leuten nichts vormachten, gradlinig dabei sein. Und Beratungsresistenz haben sie zu meiden.

Das sortierte schon mal einige Bewerber aus. Die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Bernd Althusmann kam zuerst forsch, dann demütig rüber. Einmal taten sie, als ob Niedersachsen vor einer linken Sturmflut zu bewahren sei, ein anderes Mal lobten sie jeden Strauch und jede Hecke im Bundesland. Was denn nun, fragten sich da wohl die Wähler.

Auch die FDP verzwergte sich auf die verlautbarte Aussicht, irgendetwas Linkes zu verhindern. Aber eigene Politik? Eigene Leuchtbojen für das Wandern durchs politische Deutschland?

Die AfD ist zweitgrößte Gewinnerin dieser Wahl, weil sie die Ängste einsammelte, die sie vorher kräftig schürte. Natürlich waren die auch ohne die Rechtspopulisten da. Doch nun war für die AfD erste Erntezeit, und dies trotz absoluter Trostlosigkeit eines desorganisierten Landesverbandes. Innerlich zerstritten und nur vereint in … ja, in was eigentlich? Für den Bund heißt das, dass der postulierte heiße Herbst jedenfalls keine rechte Utopie sein wird. Nun muss die Bundesregierung bei der Gaspreisbremse liefern – und dann das Geheule aushalten. In Deutschland lieben wir es ja, zu jammern. Schnell sind wir sehr besorgt, und dies abseits von den realen, wirklich großen Gefahren für die Geldbeutel von Unternehmen, Selbstständigen und allen anderen Bürgern. Was die Politik gerade an Wumms und Doppelwumms in die Hand nimmt, um die besorgten Bürger zu beruhigen, lässt die Nachbarn in Europa nur die Stirn runzeln.

Fehler darf man machen – aber jeden nur einmal

Für die Grünen bedeutet die Niedersachsenwahl, dass sie zulegen können. Dass man ihnen weiterhin vertraut, auf eine Energiewende zu setzen. Und dass es sich nicht total rächt, wenn man Fehler macht und dann diese korrigiert – wie Bundesminister Robert Habeck mit seiner Gas-Umlage.

Und die Linke? Über die ist nicht viel zu sagen. Die schmierte ab, fungiert nun unter den „Anderen“. Selbst schuld. Aber Sahra Wagenknecht wird sicherlich eine schlaue Erklärung für das Wahldesaster in Niedersachsen liefern, die bestimmt nichts mit ihr zu tun haben wird.

Eine schallende Botschaft

Für die Ampelkoalition in Berlin gilt es nun, die lauten Glocken aus Hannover zu hören. Bundeskanzler Olaf Scholz kann sich bestätigt fühlen, solange er Ergebnisse zustande kriegt und zu ihnen steht. Denn Ministerpräsident Weil ist ein echter Scholz-Typ (oder Scholz ein Weil-Typ), und obwohl beide aus unerfindlichen Gründen keine Kuschelbuddys sind, ähneln sie sich. Der SPD wird Führung anvertraut, solange sie den Dreisatz aus Ruhe, Authentizität und Verantwortung beherrscht. Die Grünen sollen weiterhin auf eine Energiewende zuarbeiten und dennoch Flexibilität zeigen – in Bezug auf die kurzfristige Nutzung gefährlicher Energien wie Atom oder Kohle, wegen des Ukrainekrieges, den nun die Grünen nicht begonnen haben. Die FDP muss am meisten ihr Hörgerät säubern. Sie fiel in Hannover nämlich durch.

Nun geht es für die Liberalen in der Bundeskoalition nicht darum, möglichst viele ihrer Forderungen „durchzusetzen“ – denn das haben sie ja getan, und was brachte es ihnen? Die FDP muss Teamfähigkeit lernen. Und ihre Ministerin und Minister sollten sich endlich daran setzen, Visionen zu entwickeln: Eine Verkehrswende avisieren, das Justizwesen innerlich stärken, die Wissenschaftsinstitutionen nicht weiterhin aushöhlen, das wären liberale Projekte. Wenn die FDP nun meint, in der Ampel krawalliger auftreten zu müssen, dann ist sie bald ganz weg.

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