Kommentar: Erdogan und die Toten von Christchurch

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, hält eine Rede während einer Kundgebung seiner Partei AKP vor den Kommunalwahlen am 31. März. (Bild: Pool Presidential Press Service/AP/dpa)
Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, hält eine Rede während einer Kundgebung seiner Partei AKP vor den Kommunalwahlen am 31. März. (Bild: Pool Presidential Press Service/AP/dpa)

Der türkische Präsident bläst die Backen auf und markiert den starken Mann. Eine billige Wahlkampfnummer.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Recep Tayyip Erdogan redete sich in Rage und dokumentierte: Stärke demonstriert sich am leichtesten, wenn es nichts kostet. Der Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch mit 50 Toten lässt den türkischen Präsidenten nicht los. Aber aus seinen Worten ist weniger Trauer herauszuhören als Großmannssucht. Was Erdogan in diesen Tagen betreibt, ist zum Schämen.

Seine Rechnung ist simpel: Die Anschläge verurteilte er als Angriffe auf den Islam und auch auf die Türkei. Damit versucht er sich als globaler Fürsprecher von Muslimen aufzuspielen – was völlig vermessen ist. Aber Erdogan denkt halt wie ein gewöhnlicher Rechtspopulist, und zwar in Blöcken. Er wäre so gern Sultan, wenn nicht gleich Kalif.

Wie damals, im Sandkasten

Als ob dies an Muskelspielen nicht reicht, baut Erdogan auch eine Bastion aus heißer Luft: Er drohte Australiern mit antimuslimischer Gesinnung dasselbe Schicksal an, das im Ersten Weltkrieg die Truppen aus Großbritannien, Australien, Neuseeland und Frankreich bei der Schlacht von Gallipoli ereilte. Diese Verbündeten kämpften gegen eine osmanische Streitmacht.

Damit versucht sich Erdogan in einer Wiederholung von Geschichte – was ebenso dümmlich wie absurd ist. Nichts lässt sich da vergleichen. Die Schlacht von Gallipoli hatte nichts mit Religion zu tun, es ging Großbritannien und Frankreich um den Sieg gegen einen strategischen Gegner, um ihn auszubeuten. Außerdem sollen Gerüchten zufolge sich gerade keine Australier auf den Weg in die Türkei machen.

Dazu passt, dass Erdogan sich als absolut nicht erziehungsberechtigt erwies und auf einer Wahlkampfveranstaltung Bilder vom Massaker in Christchurch zeigte, während Facebook zur gleichen Zeit versuchte, diese Bilder zu entfernen. Aber Erdogan wollte schocken, er braucht die negative Stärke dieser Bilder für sich.

Trauernde legen Blumen in der Nähe der Linwood-Moschee nieder. Bei einem rassistisch motivierten Doppelanschlag auf zwei Moscheen tötete der mutmaßliche Täter im neuseeländischen Christchurch mindestens 50 Menschen. (Bild: Vincent Thian/AP/dpa)
Trauernde legen Blumen in der Nähe der Linwood-Moschee nieder. Bei einem rassistisch motivierten Doppelanschlag auf zwei Moscheen tötete der mutmaßliche Täter im neuseeländischen Christchurch mindestens 50 Menschen. (Bild: Vincent Thian/AP/dpa)

Ferner überrascht nicht, dass Erdogan sich über das zu erwartende Strafmaß für den mutmaßlichen Terrormörder mokiert, dass der Todesschütze nach der Rechtslage in Neuseeland nicht mehr als 15 Jahre absitzen könnte. „Wie billig doch ein Menschenleben ist“, sagte er. Und forderte Neuseeland auf, die Gesetze zu ändern und „solchen Mördern kein Recht auf Leben einzuräumen“. Wenn Neuseeland ihn nicht zur Rechenschaft ziehe, werde die Türkei es tun. Erdogan hatte zuvor mehrfach die „Islamophobie“ des Westens kritisiert.

Was ist von einem Präsidenten zu halten, dessen Worte bei einem Realitätscheck zu Staub zerbröseln? Will Erdogan ein Killerkommando nach Neuseeland schicken und damit Saudi-Arabiens Brutalomacho Muhammad bin Salman Konkurrenz machen? Die tatsächlich grassierende Islamfeindschaft in Europa ist für einen Populisten wie Erdogan Wasser auf seine Mühlen. Er ruft Türken und Muslime, was für ihn das gleiche ist, zu sich wie Schäfchen. Warum eigentlich? Seine Berater sollten ihm gesteckt haben, dass man außerhalb der Türkei, ob Muslim oder nicht, größtenteils über ihn lacht.

Bloß keine Fakten

Das Motiv ist auch simpel. Erdogan geht es um einen Wahlerfolg, oder eher um das Vermeiden einer Niederlage. Ende März sind in der Türkei Kommunalwahlen, und es sieht nicht so gut aus für die regierende AKP. Die hochfliegenden Pläne zur Etablierung der Türkei als globaler Player sind bisher nicht Wirklichkeit geworden. Die Wirtschaft holt Atem, die Inflation steigt und die Lira-Währung sinkt. Das kommt in der Bevölkerung alles nicht gut an; nicht für alles ist die AKP verantwortlich, aber sie regiert halt und muss Stimmenverluste befürchten.

Daher setzt Erdogan darauf, einen äußeren Feind zu beschwören und die inneren Reihen zu schließen. Ob er die Bürger etwa in einer Kleinstadt, welche sich Gedanken über hohe Lebensmittelpreise, Arbeitslosigkeit oder Gesundheitsversorgung machen, mit Toten am anderen Ende der Welt überzeugt, wird man sehen. Erdogan erinnert an ein Kind, das im Sandkasten immer alles am besten kann, angeblich, und daher nie zum Klassensprecher gewählt wird. Warum ist er dann Präsident?

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