Kommentar: Ich bin’s nicht gewesen, die Chaoten sind’s gewesen!

Eine Silvesterrakete in Berlin? Nein, ein Model auf der Berliner
Eine Silvesterrakete in Berlin? Nein, ein Model auf der Berliner "Fashion Week" im Januar. Berlin kann eben nicht nur Krawall (Bild: REUTERS/Lisi Niesner)

Bei der Aufarbeitung der Silvesterkrawalle war man sich bei der Union rasch einig: Die Ausländer seien es gewesen. Da die Zahlen das nun nicht mehr wirklich wiedergeben, lästert man über „Chaoten“. Das hätten wir auch früher haben können.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Nach der Silvesternacht mit all ihren unsachgemäßen Böllern und Raketen ging das Hornberger Schießen erst richtig los. Die CDU war auf der Suche nach einem Aufregerthema, wollte Vornamen durch die Täterdatenbanken jagen, getrieben von einer Hoffnung: Dass man dieses Elend auf „die Anderen“ abschieben kann. Dass in Deutschland Vertreter der Ordnung und der Rettung respektlos zu Zielscheiben von Trollos erklärt werden, ist ja auch wirklich erbärmlich. Dumm nur, dass diese tolle Unionsthese nicht bis zum Ende durchgehalten werden konnte.

Klar, diese Kriegsspiele gingen zu einem gehörigen Teil auf junge Männer, die nicht Egon oder Harald hießen (wofür sie dankbar sein werden). Aber diese Mischung aus Gewalt- und Allmachtphantasien, möglicherweise gepaart mit einer Portion Frust, kennt keine Grenzen. Die Polizei rückte eben in der Silvesternacht nicht nur nach Neukölln und Schöneberg aus, sondern auch nach Marzahn. In Brandenburg zum Beispiel soll in Teilen auch massiver Budenzauber abgebrannt worden sein. Dämlich bis höchst ärgerlich. Und die neusten Zahlen zeichnen ein eher diffuses Bild. In Berlin etwa, das von der CSU zu einer Art Armageddon erklärt worden ist und in der Ministerpräsident Markus Söder (von Bayern, nicht von Berlin) wohl gerne so etwas sagen würde wie „Nennen Sie mich Snake“, hat die Polizei neue Daten präsentiert. Von den 44 in Berlin identifizierten Verdächtigen sind 18 Ausländer, zehn haben eine ausländische und die deutsche Nationalität, 16 sind Deutsche. Wie hoch der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in der Gruppe der Deutschen ist, wurde nicht mitgeteilt. Aus grundsätzlichen Gründen und nicht aus „Nachtigall, ick hör dir trapsen“.

Diese miese Knatterei scheint also ein verstärktes Problem unter Jungs mit Einwanderungsgeschichte, vornehmlich aus dem Nahen und Mittleren Osten zu sein, aber schon gesamtdeutsch – man muss sich einmal durch die Polizeimeldungen dieser Nacht lesen, dann entblättert sich das ganze Panoptikum an Idiotie.

Während also die Jungs von der CSU ziemlich betreten dastehen, weil ihre These nicht mehr in einen gläsernen Schuh passt, hat Markus Söder alles richtig gemacht. Der war zwar einer der ersten in der Lästerfront, beschränkte sich aber in seinem Fingerzeig auf „Chaoten“. Damit lag er richtig.

Ein bisschen Necken darf sein

Klar war es falsch, gleich die ganze Hauptstadt abzustrafen. Aber irgendjemand muss ja schuld sein, wenn es keine Direktflüge zwischen diesem brandenburgisch-preußischen Nest und der Metropole Nürnberg mehr gibt. Aber immerhin gab Söder dem Ganzen einen humoristischen Twist und weniger den dumpfen Rassismus seiner ihm nacheifernden Parteigenossen. Sein neuster Hit: „Berlin sollte eigentlich die Hauptstadt der Deutschen sein, doch es ist die Hauptstadt des Chaotentums", sagte Söder bei einem Neujahrsempfang in Hinter- oder Vordertupfingen, man weiß es nicht so genau. Man brauche dort auch kein Böllerverbot, sagte er, sondern ein „Chaotenverbot". Das saß. Die sollen dann einfach nicht mehr reingelassen werden, nach dem Motto: Mauer wieder hoch & Geht doch nach drüben – bloß, wohin genau? Unter den Chaoten werden ja auch einige Bayern sein, die einer gewissen Enge entflohen sein werden.

…aber nun wird’s ernst

Vielleicht wird es Zeit, um über die wirklich wichtigen Dinge zu reden. Klar ist das chaotisch, wenn einer denkt, er kann einfach Leute der Ordnung und Rettung mit Pseudowaffen und Piffpaff angreifen. Warum tut er das? Weil er denkt, dass er das ungestraft kann. Diesen Raum, den er als „rechtsfrei“ zu definieren versucht, darf man nicht hergeben. Verbieten und bestrafen.

Die Bölleridioten haben sich geweigert, an den Nächsten zu denken. Sie legten einfach los. Diese Apathie fürs Soziale gehört angegangen. Das mehr Hingucken.

Da schiebt sich ein anderes Ereignis ins Bewusstsein, und zwar aus dem angeblich so beschaulichen Ländle, also gewiss im Söderschen Narrativ. Am Rastatter Bahnhof haben zwei 13-jährige Mädchen auf eine 14-Jährige eingeprügelt, sie getreten, als sie am Boden lag. Einige Passanten standen da. Schauten zu. Machten nichts. Doch, eine filmte und stellte den Kram ins Netz. Einiges ist in Rastatt schiefgelaufen, und zwar nicht nur bei den mutmaßlichen Täterinnen. Darüber könnte man reden. Und meinetwegen von Bayern lernen, warum nicht. Aber unter einer Voraussetzung: Wenn es um die Sache geht.