Kommentar: Immer zweifeln strengt auch die AfD an

Stephan Brandner (AfD) erreicht den Plenarsaal des Bundestags. (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Stephan Brandner (AfD) erreicht den Plenarsaal des Bundestags. (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)

Angezählt schafft es die AfD in Hamburg über die Zielmarke. Und die Partei merkt: Immer den Outlaw spielen macht müde.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Der AfD haben die vergangenen Tage nicht geholfen, das steht fest. Ihr Abschneiden bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg ist nicht gerade ein Höhenflug. Auch ein Durchmarsch sieht anders aus. Da war das komische Wahlverhalten in Thüringen, wo die Landtagsabgeordneten bei der Wahl zum Ministerpräsidenten einen eigenen Kandidaten aufstellten, ihn aber nicht wählten – weil sie den anderen Parteien die lange Nase zeigen wollten.

Und dann geschah die Terrornacht in Hanau, in deren Folge viele AfD-Funktionäre nacheinander kollektiv von „Wahnsinn“ oder „Irrsinn“ sprachen, was die Mordtaten natürlich waren, aber eben nicht nur: das R-Wort kam ihnen tagelang nicht über die Lippen.

In beiden Fällen machte die AfD, höflich ausgedrückt, keine gute Figur. Von wegen gradlinig und so.

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So gesehen können die Rechtspopulisten in Hamburg aufatmen. Gerade noch haben sie sich über die Ziellinie gerettet. Klar, die Hansestadt ist traditionell ein schwieriges Pflaster für die AfD: Das bürgerliche Bewusstsein, gepaart mit einem gewissen Selbstbewusstsein, ist dort klassenübergreifend. Da lässt man sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Und dann kamen auch noch Erfurt und Hanau dazu.

Das muss müde machen. Die AfD verfolgt auch einen Kurs, der riskanter ist als sie möglicherweise denkt. Immer noch beschreibt sie sich wie „Theo gegen den Rest der Welt“, sieht dort drüben „Altparteien“, „Staatsfunk“, eben „Mainstream“ – das klingt nach Sheriff von Nottingham als böser und machtvoller Gegenspieler von Robin Hood. Keine Frage, welche Rolle die AfD sich selbst zuteilt.

Geht der AfD der Traubenzucker aus?

Doch immer gegen den Strom, auch wenn er nur imaginiert ist, strengt an. Stets den Outlaw geben, Zweifel säen, ein Haar in der Suppe finden und jedes Mal, aber auch wirklich jedes Mal: sich selbst bestätigt sehen, auch beim Pupser einer Fliege an der Wand – sowas frisst Energie. Und droht auch weniger Gehör zu finden. Denn unabhängig davon, wie gerechtfertigt die Warnungen sind, stumpfen sie mit der Zeit ab. Es ist wie beim Märchen vom Schafshirten, der seine Kollegen ärgert, indem er immer wegen einem Wolf Alarm schlägt, den es nicht gibt. Als der Wolf dann doch noch kommt, glaubt dem Hirten keiner mehr.

Die Wirkweise der AfD wird zuweilen mit Gift beschrieben, das sich langsam ausbreitet und in der Gesellschaft immer stärker wirkt. Es kann aber auch sein, dass sich Gift verwässert und seine Effektivität verliert.

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Wie verzweifelt manche AfD-Politiker gegen die Macht solcher Windmühlen anrennen, bewies in der vergangenen Wahlnacht der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner; er twitterte mal wieder beseelt drauflos. Als die Prognose für das Wahlergebnis die AfD bei 4,7 Prozent der Stimmen sah, also außerhalb des Landesparlaments, brandete Brandner sogleich: „So, dann sind wir mal gespannt (auch auf die Wahlfälschungen?) – und immer daran denken: Was sind schon so’n paar Hamburger gegen viele Millionen Thüringer, Sachsen und Brandenburger?“

Der Mann wird nun wahrscheinlich betonen, er habe NUR ein Fragezeichen gesetzt. Aber warum tat er das? Gab es Anzeichen oder Hinweise auf Wahlfälschung? Natürlich gab es sie nicht, die Prognose und auch die erste Hochrechnung irrten, weil sie nicht genau genug waren. Dies war nicht das erste Mal und ist vollkommen in Ordnung; entscheidend ist das Endergebnis nach jeder öffentlichen Aufgeregtheit.

Brandner jedenfalls war offensichtlich erregt. Er säte Zweifel, wo keine waren. Misstrauen ins Funktionieren der Demokratie – das war sein Ziel. Witzig natürlich auch die Emojis, die er verteilte: Während Hamburger das Griesgramgesicht kriegten, versah Brandner Thüringer mit dem Muskelarm, Sachsen mit dem Daumen nach oben und Brandenburger mit der Rakete. Total energetisch halt. Aber auf die Dauer Kräfte raubend.

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Dann kam heraus, dass die AfD die Fünf-Prozent-Hürde wohl doch nehmen würde. Brandner wäre nicht Brandner, würde er sich kleinlaut geben. Es war, als wünschte er sich ein Scheitern seiner Partei herbei, denn er twitterte:

„Aber es wird ja noch sehr lange gezählt – und vielleicht wird ja ‚rückgängig‘ gemacht. Ist ja kein Problem im Altparteienstaat der Frau Merkel!“

Ein weiteres Mal also beschrieb er Deutschland wie eine Bananenrepublik, mit der Kanzlerin als Alleinherrscherin, umgeben von alten Hofschranzen. Dieses Bild wäre so lustig wie falsch, wenn die AfD sich dadurch nur nicht so aufhübschen wollte. Brandner als Rächer der Enterbten? Das ist der Komik dann doch zu viel.

Mengenlehre für Fortgeschrittene

Am heutigen Morgen schließlich kam er immer noch nicht von seinem Trip los. „Guten Morgen! Immer noch über 5% in Hamburg - oder wurde schon etwas rückgängig gemacht?“ Ach, wird Brandner seufzen, mit „rückgängig“ habe er nur einen Scherz gemacht in Anlehnung an Merkel, die das Wahlverhalten der thüringischen Landtagsabgeordneten mit diesem Wort versah. Nur gibt es einen gewissen Unterschied zwischen einer Wahl durch Bürger und einer Wahl durch Abgeordnete.

Aber in einer Demokratie kann man schon durcheinander kommen. Nicht umsonst sagte AfD-Parteichef Tino Chrupalla: „Wir bleiben weiter Volkspartei.“ Das bei 5,3 Prozent in Hamburg ist – selbstbewusst.

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