Kommentar von Michael Ehlers - Wie Politiker mit Fußball versuchen, bei Wählern zu punkten - und wie Habeck sich blamierte

Annalena Baerbock (r.) fiebert beim EM-Spiel in der Allianz-Arena mit - dokumentiert wird das Foto mit der Politikerin Tanja Fajon auf Twitter. "Let's make feminism great again", kommentierte Baerbock.<span class="copyright">Twitter/ABaerbock</span>
Annalena Baerbock (r.) fiebert beim EM-Spiel in der Allianz-Arena mit - dokumentiert wird das Foto mit der Politikerin Tanja Fajon auf Twitter. "Let's make feminism great again", kommentierte Baerbock.Twitter/ABaerbock

Bei allen großen Fußballturnieren entdecken Politiker und Politikerinnen plötzlich ihr Herz für Fußball. Rhetorik- und Kommunikationsprofi Michael Ehlers erklärt, welche Strategie dahintersteckt und zeigt im Fall von Robert Habeck, wie schnell Ahnungslosigkeit nach hinten losgehen kann.

Wie wirken sich Fußballvergleiche in politischen Reden auf die öffentliche Wahrnehmung aus?

Hier müssen wir klar unterscheiden, zwischen den angestrebten Effekten und dem, was am Ende beim Publikum ankommt. Fußball ist als Volkssport etabliert und viele Menschen fühlen sich davon angesprochen. Seine Bilder sind tief in unserer Sprache verankert. Wie sind ja auch über 80 Millionen Bundestrainer. Entsprechend können Fußballanalogien dem Aufbau von Vertrautheit und Sympathie dienen: Wenn Politiker in ihren Reden auf den Fußball Bezug nehmen, können sie dadurch also bodenständiger und volksnaher erscheinen.

Durch Analogien zum Fußball sollen außerdem komplexe politische Sachverhalte in einer verständlichen und zugänglichen Form präsentiert werden. Wir grätschen irgendwo rein, jemand hat ein Eigentor geschossen, wir müssen in die Verlängerung gehen sind aber echt gut aufgestellt, nehmen den Ball auf etc. pp.

Auch sollen beim Publikum emotionalen Verbindungen geknüpft werden, um die eigenen Aussagen mit positiven oder kampfbetonten Emotionen zu verknüpfen, was wiederum ihre Überzeugungskraft und bestimmte Narrative verstärken soll. Zum Beispiel kann der Verweis auf einen „Teamgeist“ oder das Bild vom „fairen Wettbewerb“ genutzt werden, um Botschaften von Solidarität oder Gerechtigkeit zu verstärken. Auch beliebt: auf nationale Mythen wie die Weltmeisterschaft 54 oder „das Sommermärchen“ zu verweisen.

Rolf Parr, Professor an der Uni Duisburg-Essen hat erforscht, warum die Fußballsprache so beliebt ist. Er sagt: „Das Spiel ist überschaubar, die Regeln sind vergleichsweise einfach, die eigene Mannschaft und der Gegner sind klar voneinander zu trennen. All diese Strukturen eignen sich wunderbar für eine Übertragung in andere Lebensbereiche.“ Ich finde aber, dass der moderne Fußball so komplex ist, dass er sich nicht mehr für vereinfachende Analogien eignet.

Das heißt nicht, dass Politiker bestimmte Bilder nicht mehr verwenden sollten – wenn sich die legendäre 100-Prozentige Chance bietet. Aber es heißt, dass man sich ganz schnell als Schwätzer entlarvt, wenn man es sich gar zu leicht macht. Fußball hat sich nicht nur physisch, sondern auch taktisch entwickelt. 2024 noch mit Bolzplatz-Metaphern von 1970 um die Ecke zu kommen, wirkt nur noch peinlich.

Daher mein Rat an alle RedenschreiberInnen: Bitte macht es euch nicht zu leicht. Fußball ist nicht so simpel, wie es vielleicht für Gelegenheitsfans den Anschein hat. Aber klar, am Ende zählt nur, dass du das Ding auch rein machst.

Welche rhetorischen Strategien hat Robert Habeck bei seinem Vergleich mit Toni Kroos verwendet und wie effektiv waren sie?

Im Grunde kann man nur raten, was die Absicht hinter diesem auf vielen Ebenen missglückten Vergleich war. Irgendwie ging es bei Habecks Rede auf dem Tag der Deutschen Industrie 2024 um Deutschland und Europa und darum, dass Deutschland seine Führungsrolle in Europa „quasi aus der zweiten Reihe organisiert, also Rückennummer 10, Toni Kroos, ja, hängende Spitze und dann nach vorne spielen.“ Hm… Toni Kroos spielt mit der Nummer acht. Seine Position auf dem Spielfeld ist hauptsächlich im zentralen Mittelfeld, wo er zwar sowohl defensive als auch offensive Aufgaben übernimmt, aber eine hängende Spitze – oder eben falsche Neun – ist er nicht.

Kroos Stärken liegen in seiner überragenden Passgenauigkeit und seiner Fähigkeit, damit das Spiel zu lenken. Das ist – wenn ich richtig interpretiere – das Gegenteil von dem, was der Vizekanzler ausdrücken wollte, aber so genau weiß ich es nicht. Er wohl auch nicht. Später ließ er noch eine Metapher folgen als es um die Stärkung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit ging: „Das ist wie beim Fußball: Auf allen Positionen müssen wir europameisterfähig besetzt sein, sonst werden wir das Spiel nicht gewinnen.“

Und darum ging es wohl irgendwie. Seine Rede hätte jedoch nichts verloren, wenn er sich diese Analogien gespart hätte, von der zumindest die erste völlig missglückt war. Und auch die zweite hätte er sich besser gespart, denn schließlich kann das Abenteuer Euro 24 schon im Achtelfinale vorbei sein. Das wären dann keine schönen Aussichten für Deutschlands Wirtschaft. So hinterlässt mindestens die erste Szene den Eindruck, dass hier jemand – völlig ohne Not – von etwas spricht, wovon er keine Ahnung hat. Von Effektivität kann deshalb keine Rede sein.

Allerdings: Wenn es nicht einen kurzen Videoclip des Versprechers, fachlichen Fauxpas, oder wie immer man es nennen will, gegeben hätte, hätte sich kein Mensch dafür interessiert.

Warum nutzen deutsche Politiker den Fußball so gerne als Bühne für sich?

Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens bekommen sie VIP-Karten gratis und… Nein, Fußball ist quer durch alle sozialen Schichten tief in der Kultur unseres Landes verwurzelt. Fußballereignisse ziehen ein großes Publikum an und bieten Politikern so die Möglichkeit, Sichtbarkeit zu bekommen. Außerdem sonnt sich jeder gerne im Erfolg und hofft, dass ein bisschen Glanz und positive Emotion auch auf sich selbst abfärben. Und das ist sogar erforscht. Vor allem gemeinsam erlebte positive Emotionen sorgen nämlich dafür, dass sich unser „Outgroup Behavior“ verringert. Sprich: Wir schauen stärker auf das, was uns mit anderen Menschen verbindet, als auf das, was uns trennt.

Das können Politiker in vielen Fällen gut gebrauchen. Fußball bietet „denen da oben“ die Gelegenheit, sich als „Mann aus dem Volk“ (m/w/d) zu präsentieren, der die Sorgen und Nöte der Bürger kennt und teilt. Und ihre Freuden. Ganz nach dem Motto: „Seht her, ich bin auch nur ein Mensch.“ Die Gefahr besteht allerdings, dass diese Absicht als pure Anbiederung durchschaut wird. Authentizität ist hier das Zauberwort. U-Boot-Fans werden als solche erkannt. Das heißt, wer mit Fußball das ganze Jahr über nichts am Hut hat, aber bei Großereignissen plötzlich als Hardcore-Fan auftaucht, der wird Schiffbruch erleiden.

Gleichzeitig ist Fußball ein globales Massenphänomen und wirkt oft als eine Schnittstelle zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. In diesem Kontext kann politisches Engagement im Fußball genutzt werden, um bestimmte Werte zu vermitteln. Das kann auch gehörig schiefgehen: Sicher erinnert sich jeder noch an Nancy Faeser und ihre Regenbogenarmbinde in Katar. Ganz aktuell blamierte sich Frau Göring-Eckhardt, die bisher nicht als großer Fan der Nationalmannschaft aufgefallen ist, mit einem Tweet über den Anteil der nicht-weißen Spieler in der deutschen Mannschaft. Den sie dann auch zerknirscht löschte.

Fußball bietet eben eine große Bühne und die Versuchung ist groß, diese Bühne nutzen zu wollen, auch für Dinge, die mit dem rein sportlichen Geschehen nichts zu tun haben. Und hier liegt eine Gefahr: Für viele Menschen ist Fußball nämlich eine der letzten nicht-politisierten Bastionen. Sie reagieren deshalb sehr ablehnend wenn sich Politiker mit ihren Botschaften in diesen Safe Space hineindrängen. Aber die Versuchung ist eben noch größer als die Bühne, die ein Fußballereignis bietet. Und diese Bühne ist sehr, sehr groß.

Welcher deutsche Politiker griff bisher am weitesten daneben?

Kaum eine Rede, öffentliche Äußerung oder Auftritt kommt aktuell ohne Fußballverweise aus. Von Söder über Lauterbach bis zu Habeck und Scholz. Und da war genug schräges Zeug dabei und einige Fauxpas. Lauterbach spricht von Spielen, die nach Verlängerung gewonnen werden, obwohl es die in der Vorrunde nicht gibt. Habeck bringt Positionen durcheinander, Söder mimt den Superfan und Scholz vergleicht die Stimmung im Land mit der eher mauen fußballerischen Erwartung, die angesichts der schlechten Vorbereitungsspiele der deutschen Nationalmannschaft im Land geherrscht hatte. Und die sich ja jetzt auch als unbegründet herausgestellt hätte. Nun ja. Schwalbe, Sommer und so. Für mich sind das alles lässliche Ausrutscher der Kategorie „kann ja mal passieren“ bzw. „kann man so sagen, hätte man aber nicht müssen“. Schwamm drüber. Einfach mal an die eigene Nase fassen.

Worüber ich mich wirklich geärgert habe, ist der inzwischen gelöschte Tweet von Katrin Göring-Eckhardt. Wenn es um Fehlgriffe geht, liegt sie uneinholbar in Führung. Warum, bzw. „Woran hat et jelegen?“ Göring-Eckhardt lobte die Erfolge der diversen Nationalelf nach dem 2:0 über Ungarn: „Diese Mannschaft ist wirklich großartig. Stellt euch kurz vor, da wären nur weiße deutsche Spieler“. Das ist dumm und rassistisch. Denn was wäre denn dann? Und was bedeutet das überhaupt? Spielen die nicht-weißen Spieler etwa nur so gut, weil sie nicht-weiß sind? Spielen weiße Menschen einen schlechteren Fußball, weil sie weiß sind? Und müssen nicht-weiße Spieler jetzt doch wieder irgendetwas beweisen, damit sie dazu gehören?

Egal wie man den Tweet lesen möchte – die Mannschaft ist so gut, obwohl sie nicht rein weiß ist oder die Mannschaft ist so gut, weil sie nicht rein weiß ist – es bleibt Rassismus. Und dumm. Denn die gleiche Mannschaft hat sich noch vor wenigen Wochen in der Vorbereitung zwar nicht blamiert aber eben auch nicht mit Ruhm bekleckert. Und was passiert überhaupt, wenn wir nun doch verlieren? Woran bzw. an wem liegt es dann? Nahezu alles, was man falsch machen kann, hat Göring-Eckhardt hier mit wenigen Worten geschafft. Rassismus reproduziert, bewiesen, dass ihr Fußball eigentlich total egal ist und einfach allen die Laune verdorben.

Warum machen wir uns so gerne über Fehlgriffe von Politikern lustig?

Hier gilt es zu unterscheiden. George Orwell schrieb einmal, dass jeder Witz eine kleine Revolution sei. Menschen in aller Welt lachen über ihre politischen Führer, und das nicht nur, um ihren Unmut über Unfähigkeit zu äußern, sondern auch, um einen grundlegenden Instinkt für Unabhängigkeit von Autorität auszudrücken. In autoritären Regimen ist es das letzte verbliebene Mittel. In Diktaturen wurde die Kunst des feinen politischen Witzes auf die Spitze getrieben. Wir lachen gegen unsere Machtlosigkeit an.

Inzwischen haben wir es aber sehr oft mit einer gelenkten Agenda zu tun. Seien wir mal ehrlich, Habeck hat Trikotnummern verwechselt. Lauterbach wusste nicht – oder hat in diesem Moment einfach nicht daran gedacht – dass es in der Vorrunde keine Verlängerung gibt. Das ist weder besonders lustig noch rechtfertigt es einen tagelangen Shitstorm.

Habeck hat vielleicht in seiner Rede noch sehr viele, sehr kluge Dinge gesagt (unabhängig davon, ob er die auch umsetzen würde). Aber das ist egal. Denn übrig bleibt am Ende nur ein wenige Sekunden langer Videoclip, der im Netz mit gehässigen Kommentaren versehen geteilt wird: „Haha, guck dir den an“, sagen Leute, die selbst nicht wissen, was eine hängende Spitze ist. Es gibt gute Gründe, über Politiker zu lachen.

Manchmal liefern sie sie auch selbst. Denken Sie mal an die legendäre Transrapid-Rede von Edmund Stoiber. Aber es gibt auch schlechte Gründe. Wenn uns diese Politiker nämlich im Netz zum Fraß vorgeworfen werden. Wenn lässliche Kleinigkeiten aufgeblasen werden, mit der klaren Absicht, die Person zu diskreditieren oder herabzusetzen. Das ist das Niveau von Schulhof-Bullies.

Tweets wie der von Göring-Eckardt auf der anderen Seite sind auf so vielen Ebenen falsch, dass ein einfaches darüber lachen, der ganzen Geschichte nicht gerecht wird.