Warum manche keine Kinder wollen: Brisante ARD-Reportage zur Antinatalisten-Bewegung

Manche Paare bleiben freiwillig kinderlos. Nicht jeder kann das verstehen. (Symbolbild) (Bild: AntonioGuillem / iStock)
Manche Paare bleiben freiwillig kinderlos. Nicht jeder kann das verstehen. (Symbolbild) (Bild: AntonioGuillem / iStock)

Wer keinen Kinderwunsch hat, wird in unserer Gesellschaft oft noch immer schief angeschaut - und muss sich bisweilen gar beschimpfen lassen. Weshalb sich Menschen gegen Kinder entscheiden und warum sie dafür angefeindet werden, beleuchtete am Montagabend eine Reportage im Ersten. Es ist ein Thema, an dem sich die Geister scheiden.

Kinder seien ein Segen und eine Bereicherung: So jedenfalls scheint der landläufige Konsens zu lauten. In der Realität jedoch existieren zahlreiche Menschen, die keinen Nachwuchs wollen - oder es bereuen, Kinder bekommen zu haben. Allein: Wer keinen Kinderwunsch hegt, muss hierzulande auch heute noch mit Vorurteilen kämpfen, wird mit Unverständnis bedacht oder als egoistisch gebrandmarkt. Woher diese Ablehnung rührt, und weshalb sich Menschen gegen ein Leben mit Kindern entscheiden, beleuchtete am späten Montagabend im Ersten eine Reportage aus der "Rabiat"-Reihe, der nun auch in der Mediathek zu sehen ist. Ein fraglos nischiges Thema, das aber bei genauerer Betrachtung durchaus jede Menge Brisanz in sich birgt.

"Besser leben ohne Kinder?" - Dieser provokant wirkenden Frage widmet sich Autorin Katja Döhne in ihrem dreiviertelstündigen Film und begleitet auf der Suche nach Antworten Menschen in ganz Deutschland, die sich freiwillig gegen Kinder entschieden haben. Jene, die sie trifft, haben unterschiedlichste Motivationen: Während die einen ganz simpel ein Leben ohne Nachwuchs leben wollen, führen andere bei der Ablehnung von Nachkommen den Klimawandel oder moralische Fragen ins Feld. Das Argument ließe sich schließlich auch umkehren: Ist es egoistischer, keine Kinder zu bekommen - oder eben welche in die Welt zu setzen?

"Ich glaube, dass unter den Zuschauern jetzt sicher welche sind, die auf 180 sind und die sich so was gar nicht anhören können", sagt die Autorin irgendann in ihrem sehenswerten, aber fraglos polarisierenden Beitrag.

"Regretting Motherhood": Franziska Burkhardt spricht mit "Rabiat"-Reporterin Katja Döhne (links) über ihre Zweifel an der Mutterrolle. (Bild: Radio Bremen/Lucie Westbrock)
"Regretting Motherhood": Franziska Burkhardt spricht mit "Rabiat"-Reporterin Katja Döhne (links) über ihre Zweifel an der Mutterrolle. (Bild: Radio Bremen/Lucie Westbrock)

Wenn Mutterschaft bereut wird

Der Schutz von Umwelt und Klima steht etwa für Verena Brunschweiger im Vordergrund. Als so genannte Anti-Natalistin glaubt sie, dass der Klimawandel gestoppt werden kann, indem sich die Menschheit weniger fortpflanzt. Tatsächlich, so will etwa eine schwedische Studie herausgefunden haben, könnten wir der Klimakrise effektiver begegnen, wenn der Nachwuchs in den Industrieländern nachließe. Davon, keine Kinder zu bekommen, will Brunschweiger deshalb auch andere Menschen überzeugen.

Ebenfalls bei den Antinatalisten aktiv ist Karim Akerma, ein Philosoph aus Hamburg und einer der wenigen Männer der Bewegung. Er begründet seine Unwilligkeit zur Fortpflanzung moralisch - gerade in Zeiten des Krieges wie derzeit in der Ukraine. Im Film erklärt er seine Einstellung: Ein Kind in die Welt zu setzen, bedeute auch, ihm alles Schlechte mitzugeben, was ein Leben bringen könnte - und das sei eine ganze Menge.

Andere Menschen haben bereits Kinder - aber bereuen im Nachhinein, Eltern geworden zu sein. So etwa Franziska Burkhardt, die von der Autorin besucht und befragt wird. Die alleinerziehende Mutter aus Weimar gehört der Bewegung "Regretting Motherhood" an - zu Deutsch etwa: "Mutterschaft bereuen". Mit ihrem Kind litt sie oft an Überforderung - heute hinterfragt sie ihre eigene Mutterrolle. Auch öffentlich: Mit Performances will Burkhardt auf das Thema aufmerksam machen.

Karim Akerma hält es für verwerflich, Kinder zu zeugen. Der Philosoph gehört als einer von wenigen Männern der Antinatalisten-Bewegung an. (Bild: Radio Bremen/Lucie Westbrock)
Karim Akerma hält es für verwerflich, Kinder zu zeugen. Der Philosoph gehört als einer von wenigen Männern der Antinatalisten-Bewegung an. (Bild: Radio Bremen/Lucie Westbrock)

Freiwillige Sterilisation ist nicht einfach zu haben

Der von Radio Bremen produzierte Beitrag widmet sich auch der Frage der Sterilisation - die ist schließlich der konsequenteste Weg für freiwillig Kinderlose. So wie für Dominik, einen Lagerarbeiter aus Norddeutschland, der sich mit 22 Jahren sterilisieren ließ. Heute ist er 36 und bereut seine Entscheidung von damals nicht. Seine Freiheit ist ihm wichtig, und nichts, wofür er sich schämen will.

Andere haben es schwerer, sich für immer unfruchtbar machen zu lassen - vor allem junge Frauen. Jenen, die sich freiwillig wegen nicht bestehendem Kinderwunsch sterilisieren lassen wollen, werden viele Steine in den Weg gelegt. Was man dafür auf sich nehmen muss, zeigt Reporterin Katja Döhne am Beispiel einer Frau, die mit dem Filmteam zum Termin für die Sterilisation begleitet wird. Hier zeigt sich die Diskriminierung von Menschen, die keine Kinder wollen, konkret. Immerhin: Ein Verein setzt sich inzwischen für die Belange von Sterilisationswilligen ein.

Die Bewegung "Regretting Motherhood" geht an die Öffentlichkeit und macht Performances, so wie hier in Weimar. (Bild: Radio Bremen/Lucie Westbrock)
Die Bewegung "Regretting Motherhood" geht an die Öffentlichkeit und macht Performances, so wie hier in Weimar. (Bild: Radio Bremen/Lucie Westbrock)