Michael Mann - Sind wir dem Untergang geweiht? Klima-Ikone erklärt, warum das Unsinn ist

Der heftige Starkregen in Deutschland hat nicht zuletzt auch mit dem Klimawandel zu tun. Denn wenn die Luft wärmer wird, dann kann sie mehr Wasserdampf aufnehmen.<span class="copyright">Getty Images</span>
Der heftige Starkregen in Deutschland hat nicht zuletzt auch mit dem Klimawandel zu tun. Denn wenn die Luft wärmer wird, dann kann sie mehr Wasserdampf aufnehmen.Getty Images

Sind wir dem Untergang geweiht oder können wir die Klimakrise noch abwenden? In Anbetracht der Ungewissheit bieten uns jahrtausende alte Daten neue Hoffnung und einen Plan dafür, was wir tun müssen, um die Klimakrise abzuwenden, schreibt der US-Klimaforscher Michael E. Mann. Ein Buchauszug.

Wir leben auf einem Planeten, der nicht besser sein könnte. Er hat Wasser, eine sauerstoffreiche Atmosphäre und eine Ozonschicht, die das Leben vor schädlichen ultravioletten Strahlen schützt. Er ist weder zu kalt, noch zu heiß, alles scheint genau richtig für das Leben. Trotz unserer andauernden Suche – die dank des kürzlich in Betrieb genommenen James-Webb-Teleskops nun fast 14 Milliarden Lichtjahre in den Weltraum reicht – haben wir bisher keinen anderen Planeten im Universum mit solch günstigen Bedingungen gefunden. Es ist fast so, als ob dieser Planet, die Erde, für uns geschaffen wäre. Und dennoch war sie es ursprünglich nicht.

Die Erde hat in der überwiegenden Zeit ihrer 4,54 Milliarden Jahre gezeigt, dass sie gut ohne Menschen auskommt. Die ersten Hominiden – die Urmenschen – tauchten vor etwas mehr als zwei Millionen Jahren auf. Erst vor 200.000 Jahren hat der moderne Mensch die Erde betreten. Und menschliche Zivilisationen gibt es gerade mal knapp seit 6000 Jahren, das sind 0,0001 Prozent der Erdgeschichte – ein flüchtiger Augenblick in der geologischen Zeit.

Die Erde ist wie für uns geschaffen - aber kommt gut ohne uns Menschen aus

Was hat uns diesen Zeitraum einer den Menschen freundlich gesonnenen Erde eröffnet, der zugleich so labil ist? Ironischerweise ist es genau das, was uns jetzt bedroht: der Klimawandel. Ein Asteroideneinschlag vor 65 Millionen Jahren, der einen globalen Staubsturm auslöste, kühlte den Planeten ab, tötete die Dinosaurier und ebnete den Weg für unsere Vorfahren – winzige, spitzmausgroße Ur-Säugetiere, die umher huschten und sich vor ihren saurierartigen Fressfeinden versteckten. Nun, ohne die Dinosaurier, konnten diese Tiere aus dem Schatten heraustreten, neue Nischen besetzen und sich über Generationen an diese anpassen, um Primaten, Affen und schließlich uns hervorzubringen.

Ein Ereignis wie der Asteroideneinschlag wäre für die moderne menschliche Zivilisation verheerend, wenn es heute eintreten würde. Doch unsere wirkliche und akute Bedrohung geht von der Verbrennung fossiler Brennstoffe und der Luftverschmutzung durch Kohlenstoffdioxid (CO2) aus. Eine Erwärmung der Erde, und nicht deren Abkühlung, ist unser heutiges Problem.

Geschätzte Veränderungen der globalen Durchschnittstemperatur der letzten 24.000 Jahre. Der einzigartige Augenblick (siehe Original-Buchtitel »Our Fragile Moment«) wird durch den Zeitraum von vor etwa 6.000 Jahren bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts definiert (hier: der »Nullpunkt. der Zeitachse«).<span class="copyright">"Moment der Entscheidung" (2024), © 2023 Michael E. Mann, all rights reserved</span>

Eine Erwärmung der Erde, und nicht deren Abkühlung, ist unser heutiges Problem

Das Klima hat uns von Anfang an geprägt und geleitet. Die Austrocknung der Tropen im Zuge der Abkühlung des Planeten während des Pleistozäns vor 2,5 Millionen Jahren schuf eine Nische für frühe Hominiden, die Beute jagen konnten, als die Wälder in den afrikanischen Tropen den Savannen wichen. Doch heute drohen in vielen Regionen Dürre und Flächenbrände.

Die plötzliche Abkühlung im Nordatlantik vor 13.000 Jahren, die als Jüngere Dryaszeit bekannt ist und gerade eintrat, als die Erde die letzte Eiszeit hinter sich ließ, war eine Herausforderung für die Jäger und Sammler, und trieb die Entwicklung der Landwirtschaft im sogenannten fruchtbaren Halbmond voran. Die der mittelalterlichen Warmzeit folgende kleine Eiszeit im 16. bis 19. Jahrhundert führte später in weiten Teilen Europas zu Hungersnöten und Seuchen und trug etwa zum Zusammenbruch der grönländischen Siedlungen im Norden bei.

Eine ähnliche Abkühlung des Nordatlantiks zeichnet sich heute ab, da das Grönlandeis schmilzt, das Wasser des Nordatlantiks auffrischt und das System der nordwärts gerichteten Meeresströmungen unterbricht. Dies könnte die Fischpopulationen bedrohen und damit unsere Möglichkeiten einschränken, einen hungrigen Planeten zu ernähren. Für einige, wie die Niederländer, war die kleine Eiszeit jedoch ein Segen, da sie die stärkeren Winde nutzen konnten, um ihre Seereisen zu verkürzen. Die niederländischen West- und Ostindien-Kompanien wurden zu den dominierenden Seehandelsgesellschaften und besaßen fast ein Monopol auf die europäischen Schifffahrtsrouten nach Süd- und Nordamerika, Afrika, Australien und Neuseeland. Sie schienen die Welt zu beherrschen. Eine Zeit lang. So wie es die Dinosaurier taten – eine Zeit lang.

CO2-Konzentration liegt außerhalb des Bereichs, in dem Zivilisationen entstanden sind

Wie wir sehen, ist die Geschichte des menschlichen Lebens auf der Erde eine komplizierte. Klimaschwankungen haben zuweilen neue Nischen geschaffen, die wir Menschen oder unsere Vorfahren zu nutzen wussten. Sie sorgten auch für Herausforderungen, die verheerende Folgen hatten und dann zu Innovationen führten. Doch die Bedingungen, welche es den Menschen ermöglichen, auf der Erde zu leben, sind unglaublich fragil, und es gibt nur einen relativ engen Bereich an Klimavariabilität, innerhalb dessen die menschliche Zivilisation lebensfähig bleibt.

Heute versorgt unsere riesige gesellschaftliche Infrastruktur mehr als acht Milliarden Menschen. Diese Größenordnung übersteigt die natürliche „Tragfähigkeit“ der Erde, also die Ressourcengrenzen, die unser Planet ohne die menschliche Technologie bereitstellen könnte. Zudem ist unsere Infrastruktur nur so lange stabil, wie die Bedingungen, die während ihrer Entwicklung herrschten, unverändert bleiben.

Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist heute so hoch wie noch nie seit der Zeit, in der frühe Hominiden in den afrikanischen Savannen auf die Jagd gingen. Sie liegt jetzt schon außerhalb des Bereichs, in dem unsere Zivilisation entstanden ist. Wenn wir weiterhin fossile Brennstoffe verbrennen, ist es wahrscheinlich, dass sich der Planet über die Grenze unserer kollektiven Anpassungsfähigkeit hinaus erwärmen wird. Wir müssen uns fragen: Wie nah sind wir an dieser Grenze?

US-Klimaforscher Michael E. Mann
US-Klimaforscher Michael E. Mann

Der Klimawandel ist eine Krise, jedoch eine lösbare

Doch nur wenn wir die Klimaveränderungen der Vergangenheit verstehen und wissen, was sie uns über die Umstände sagen, unter denen wir gedeihen konnten, können wir zwei scheinbar widersprüchliche Realitäten verstehen. Auf der einen Seite ist da die absolute Zerbrechlichkeit dieses Augenblicks, die uns quasi täglich durch jeden verheerenden Flächenbrand, jeden „Jahrhundert-Hurrikan“ oder jeden Tag mit Temperaturen von über 43 °C vor Augen geführt wird. All das sind Anzeichen dafür, dass wir in den Abgrund eines unbewohnbaren Planeten zu schlittern drohen. Andererseits zeigt das Studium der Erdgeschichte, dass das Klima bis zu einem gewissen Grad resilient ist. Der Klimawandel ist eine Krise, jedoch eine lösbare Krise.

Wissenschaftliche Ungewissheit? Ein Zeichen, noch vorsichtiger zu sein

Ein wichtiger Punkt: Wir müssen die wissenschaftliche Unsicherheit akzeptieren. Der wissenschaftliche Prozess baut auf sich selbst auf. Es kommen neue Daten ans Licht, die uns helfen, unser Wissen zu präzisieren. Manchmal ändern sie unsere Auffassung. Viele Klimawandelleugner benutzen diese Ungewissheit, um Untätigkeit im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu rechtfertigen. Wir können uns nicht darauf verlassen, so die Argumentation, würden womöglich gar in einer Weise überreagieren, die etwa der Wirtschaft schaden könnte.

Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Viele der wichtigsten Klimaauswirkungen – die Zunahme tödlicher und verheerender extremer Wetterereignisse, der Verlust von Gletschereis und die daraus resultierende Überflutung unserer Küsten – haben die früheren wissenschaftlichen Prognosen bereits übertroffen. Die Ungewissheit ist nicht auf unserer Seite. Sie ist vielmehr ein sehr guter Grund für noch größere Vorsicht und konzertiertere Maßnahmen.

Viele Klimafolgen haben bisherige Prognosen alle übertroffen

Eine Folge dieser Ungewissheit ist, wie wir sehen werden, dass die Antworten nicht immer eindeutig sind. Dies gilt insbesondere, wenn wir in der Zeit zurückgehen und die Daten sowohl spärlicher als auch unschärfer werden. Wir versuchen instinktiv, einfache Analogien zu finden und endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber so funktioniert die Wissenschaft nicht, und ein komplexes System wie das Erdklima funktioniert ganz sicher nicht auf diese Weise. Wir müssen uns also auch auf Nuancen einlassen. Denn dies ist tatsächlich eines unserer besten Werkzeuge bei der Suche nach Antworten auf die wichtigsten Fragen zu unserer Klimavergangenheit und unserer Klimazukunft.

Verschiedene wissenschaftliche Studien kommen oft zu zumindest leicht unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Nur wenn wir die kollektiven Beweise zahlreicher wissenschaftlicher Studien bewerten, kommen wir zu eindeutigeren Schlussfolgerungen und beginnen, einen wissenschaftlichen Konsens zu erzielen.

Der Peitschenhiebeffekt der Medien

Erschwerend kommt hinzu, dass Pressemitteilungen und Medienberichte dazu neigen, spektakuläre Studien hervorzuheben: Studien mit angeblich schockierenden neuen Entdeckungen, die Klicks und Seitenaufrufe erzielen. So kommt es zum so genannten Peitschenhiebeffekt. Dabei erfahren wir in einer Woche von einer Studie, die offenbart, dass es gesund ist, Schokolade zu essen oder Kaffee oder Wein zu trinken, also die guten Dinge zu genießen, die das Leben zu bieten hat. Das jedoch nur, um in der darauffolgenden Woche eine Schlagzeile über eine neue Studie zu lesen, die besagt, dass dies alles schlecht für uns ist.

Das Ergebnis ist ein verzerrtes Bild der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Sie scheinen polarisierter und unbeständiger, als sie tatsächlich sind. Dieses Phänomen lässt sich leicht in der Klimadiskussion beobachten, wo uns beispielsweise in der einen Woche gesagt wird, dass der Grönländische Eisschild (GIS) möglicherweise am Rande des Zusammenbruchs steht und uns ein Anstieg des Meeresspiegels droht, während eine Studie in der folgenden Woche darauf hindeutet, dass es stabiler ist, als wir dachten.

Wir werden häufig mit dusteren Schlagzeilen über „Weltuntergangsgletscher„ und “Methanbomben“ bombardiert, die das immer noch düstere, aber differenziertere und vor allem weit weniger hoffnungslose Bild verfälschen, das sich aus einer objektiven Bewertung der zugrunde liegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ergibt.

Die geologische Zeitskala [Andere Begriffe: Oberkarbon für Pennsylvanium, Unterkarbon für Mississippium, Erdurzeit für Archaikum
Die geologische Zeitskala [Andere Begriffe: Oberkarbon für Pennsylvanium, Unterkarbon für Mississippium, Erdurzeit für Archaikum

 

Ob wir dem Untergang geweiht sind, liegt ganz in unserer Hand

In Anbetracht der Ungewissheit und ihrer Auswirkungen werden wir uns mit der großen Frage befassen, die uns alle beschäftigt: Sind wir dem Untergang geweiht? Die Antwort darauf ist, dass es ganz an uns liegt. Die vielen Hinweise aus den paleoklimatischen Daten – die Belege für die bisherigen klimatischen Veränderungen auf der Erde – liefern uns sogar eine Vorlage dafür, was wir tun müssen, um unseren kritischen Zustand zu stabilisieren.

Die größte Bedrohung für sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen besteht heute nicht mehr in der Leugnung, sondern in Verzweiflung und Untergangsstimmung, die auf der fehlerhaften Vorstellung beruhen, dass es zu spät sei, etwas zu tun. Unsere Überprüfung der paleoklimatischen Aufzeichnungen wird uns vom Gegenteil überzeugen.

 

Zwischen der menschlichen Spezies und dem Klima, das sie genießt, besteht eine Wechselwirkung. Menschliche Handlungen, insbesondere die Verbrennung fossiler Brennstoffe und die Luftverschmutzung durch Treibhausgase, haben die Entwicklung unseres Klimas in den letzten zwei Jahrhunderten beeinflusst, aber die längerfristige Entwicklung unseres Klimas hat auch uns beeinflusst. Das ist es, was uns in die heutige Lage gebracht hat.

Wenn wir auf diese Entwicklung zurückblicken, können wir Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Zukunft möglich ist. In meinem letzten Buch The New Climate War (dt. Ausgabe: Propagandaschlacht ums Klima) habe ich die Lobbyarbeit der fossilen Brennstoffindustrie und ihrer Förderer während des letzten halben Jahrhunderts untersucht, die uns bisher daran gehindert hat, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um einen katastrophalen Klimawandel abzuwenden. Den gezielten Anstrengungen dieser Konzerne haben wir es zu verdanken, dass wir heute an die Grenze des für uns Menschen erträglichen Lebens stoßen.