Migrationssprecherin aus Sachsen - Diese Grüne will weniger statt mehr Abschiebungen - hier erklärt sie, warum

Die asylpolitische Sprecherin der Grünen in Sachsen, Petra Čagalj Sejdi.
Die asylpolitische Sprecherin der Grünen in Sachsen, Petra Čagalj Sejdi.

Deutschland diskutiert über härtere Abschieberegeln. Auf FOCUS online plädiert die asylpolitische Sprecherin der Grünen in Sachsen, Petra Čagalj Sejdi , für den umgekehrten Weg. Man sollte alle Möglichkeiten nutzen, damit mehr Flüchtlinge hierbleiben können.

Die asyl- und migrationspolitische Sprecherin der Grünen im Sächsischen Landtag, Petra Čagalj Sejdi, fordert die Ausschöpfung aller juristischen Möglichkeiten, damit möglichst viele von Abschiebung bedrohte Asylsuchende in Deutschland bleiben können. „Es werden zu viele Menschen abgeschoben, die rechtlich gesehen hierbleiben könnten.“

Im Gespräch mit FOCUS online sagte die Grünen-Politikerin: „Wir müssen dazu kommen, dass alle rechtlichen Möglichkeiten genutzt werden, damit jemand in Deutschland bleiben kann.“ Viel zu oft würden Menschen abgeschoben, „bei denen es noch Alternativen gegeben hätte, die aber aufgrund fehlender Beratung nie in Erwägung gezogen wurden“.

Petra Čagalj Sejdi: „Wenn wir den Spielraum stärker nutzen, kämen wir vielleicht eines Tages an den Punkt, dass wir Abschiebegefängnisse gar nicht bräuchten. Das würde ich mir wünschen.“

Grünen-Politikerin will weniger Abschiebungen

Mit dem Vorstoß setzt sie ganz bewusst einen Kontrapunkt in der aktuellen Debatte um härtere Abschieberegeln und ein verschärftes Asylrecht.

Bundesweit ächzen Kommunen unter den Folgen der nahezu ungesteuerten und im Kern unkontrollierten Zuwanderung. Landräte und Bürgermeister beklagen zum Teil katastrophale Zustände bei der Unterbringung von Geflüchteten und verweisen darauf, dass eine wirkliche Integration dieser Menschen kaum noch möglich ist, zumal viele von ihnen ohne Bleibeperspektive nach Deutschland gekommen sind.

In vielen Städten und Gemeinden, die sich maßlos überfordert und von der „großen Politik“ im Stich gelassen fühlen, ist die anfängliche Willkommenskultur nachhaltiger Skepsis gewichen oder sogar in schroffe Ablehnung umgeschlagen. Kommunalpolitiker und Bürger rufen seit längerem nach mehr Abschiebungen – eine Forderung, die sich mittlerweile selbst Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD) zu eigen machen.

Spektakuläre Fälle von Gewaltkriminalität durch Zuwanderer wie jüngst in Mannheim, Bad Oeynhausen oder im thüringischen Gera befeuern die Debatte um einen deutlich härteren Kurs in der Asylpolitik. Einer der Kernpunkte: konsequentere Abschiebungen. Im Januar 2024 beschloss der Bundestag ein Gesetz, das unter anderem mehr Be­fug­nis­se für Be­hör­den und verlängerte Haftmöglichkeiten für Abschiebepflichtige vorsieht.

„Schließung der Einrichtung wäre mir am liebsten“

Die Grünen-Politikerin Petra Čagalj Sejdi hat die Abschiebungshaftanstalt in Dresden (58 Plätze) vor einiger Zeit besucht und übt scharfe Kritik an den dort herrschenden Zuständen.

„Abschiebehaft ist nicht gleichzusetzen mit Strafhaft. Aber das Leben in dieser Einrichtung ist so wie in einem normalen Gefängnis – mit abgeschlossenen Zellen, ohne Smartphone, kaum Internetnutzung, sehr eingeschränkte Möglichkeiten der Rechtsberatung, der Kontaktaufnahme, von Besuchen und so weiter“, so Petra Čagalj Sejdi zu FOCUS online.

„Rein menschlich gesehen, wäre mir die Schließung der Einrichtung am liebsten. Realistischerweise wäre das Problem damit aber nicht gelöst“, sagte die Politikerin. „Denn dann würden unsere Leute einfach in andere Bundesländer geschickt werden. Das macht die Situation für die Menschen nicht unbedingt besser“.

Čagalj Sejdi fordert deshalb Änderungen „bei der höheren Gesetzgebung, damit wir gar nicht erst in die Situation kommen, Menschen in Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam nehmen zu müssen“.

„Meisten Ausländerbehörden treten nicht beratend auf“

Die sächsische Grünen-Abgeordnete betonte, ihr sei klar, „dass es auch Menschen gibt, die hier nicht bleiben können, weil es unsere gesetzlichen Regelungen im Moment so vorsehen“.

Andererseits müssten viele Menschen Deutschland verlassen, für die es andere Optionen gegeben hätte. „Das große Problem ist, dass die meisten Ausländerbehörden hier nicht beratend auftreten. Und dann hängt alles davon ab: Hat die Person einen guten Anwalt, der weiß, was er machen kann?“, so Čagalj Sejdi.

„Wenn die Person keinen guten Anwalt hat und auch niemand aus der Behörde entsprechend berät, dann werden die Möglichkeiten nicht ausgeschöpft. Und dann kommt es dazu, dass Menschen abgeschoben werden, die nicht abgeschoben werden müssten.“

Sie kenne etliche solche Fälle, sagte die Grünen-Politikerin und verwies auf das Beispiel von Mohammad K. aus Jordanien. Im Herbst 2022 sollte der damals 26-Jährige aus Sachsen abgeschoben werden. Er war weder straffällig geworden noch hatte er seine Identität verschwiegen oder darüber falsche Angaben gemacht.

Der 2015 nach Deutschland eingereiste Mann hatte vier Jahre in einer Leipziger Bäckerei-Kette gearbeitet und sollte einen Ausbildungsvertrag bekommen. In Zeiten des Fachkräftemangels wäre das für den Arbeitgeber ideal gewesen, doch die Behörden blieben hart.

Beispielfall Mohammad K.: „Chance verdient“

Aus Protest verletzte sich Mohammad K. selbst schwer und lag tagelang in der Uniklinik Leipzig. Schließlich wurde er ins Abschiebegewahrsam nach Dresden gebracht. Er war seit 2019 ausreisepflichtig.

Schon damals kritisierte Petra Čagalj Sejdi das Vorgehen der Vollzugsbehörden als rücksichtslos und unverständlich. Mohammad K. habe „eine Chance verdient“.

Ähnliche Schicksale landeten immer wieder auf ihrem Schreibtisch, so Petra Čagalj Sejdi. „Und wenn man da weiter nachforscht, merkt man: Oft lag es daran, dass die Betroffenen keinen Rechtsanwalt hatten oder sich die rechtlichen Begleiter nicht gut genug auskannten.“

Diese Probleme ließen sich vermeiden, „wenn in den Ausländerbehörden eine rechtliche Beratung der Menschen stattfinden würde. Also wenn die Bearbeiter schauen würden, welche Möglichkeiten gibt es denn für den Menschen, damit er in Deutschland bleiben kann“.

Im Moment würden viele Ausländerbehörden „einfach das bearbeiten, was beantragt wurde. Aber es wird nicht darauf hingewiesen, welche Wege es noch gibt“.

„Man kann schon wieder eine Absicht vermuten“

Auf die Frage, warum das so sei, sagte die Migrationsexpertin: „Ich möchte da niemandem böse Absicht unterstellen, aber möglicherweise gibt es so etwas auch, das kann ich nicht ausschließen.“

Ein Problem in den Ausländerbehörden sei zweifelsohne der Personalmangel. „Die haben einfach zu wenig Mitarbeiter, um das leisten zu können.“ Letztendlich liege die Entscheidung „immer im Ermessen des Sachbearbeiters“, so die Grüne. „Aber vielleicht müsste die Anweisung auch von oben kommen aus dem Innenministerium.“

Hinter der Tatsache, dass dies bislang nicht geschehen ist, „kann man schon wieder eine Absicht vermuten“, so Petra Čagalj Sejdi.