Es geht um Milliarden - „Blutgeld“ für Putin: Warum Österreich so sehr an Russlands Gas hängt

Der Heldenplatz in Wien: Warum ist Österreich so abhängig von Putins Gas?<span class="copyright">John Harper/Getty Images</span>
Der Heldenplatz in Wien: Warum ist Österreich so abhängig von Putins Gas?John Harper/Getty Images

Von Polen bis nach Italien haben sich die EU-Länder weitgehend vom russischen Gas entkoppeln können. Österreich dagegen hängt noch zu mehr als 80 Prozent am russischen Tropf. Jetzt läuft jedoch ein entscheidender Vertrag aus. Was tun?

Plötzlich fällt der Druck in der Leitung auf null und es kommt kein Gas mehr aus Russland an. Was die deutschen Energieversorger im Jahr 2022 erlebten, droht jetzt auch den Österreichern und mit ihnen den Slowaken, Slowenen und Ungarn. Sie alle hängen noch immer an einer Pipeline , durch die der russische Versorger Gazprom sein Gas via Ukraine nach Österreich schickt. Ein Teil bleibt dann in der Alpenrepublik, der andere Teil wird an die genannten osteuropäischen Länder weitergeleitet.

In kalten Monaten heizt Österreich fast ausschließlich mit russischem Gas

Weil die Sache bisher mehr oder weniger störungsfrei lief, haben alle – Krieg hin, Frieden her – weitergemacht: Die Ukraine hat durchgeleitet und dafür eine Transitgebühr in Höhe von 1,3 Milliarden Euro jährlich erhalten. Und Österreich hat fleißig russisches Gas verbraucht: Etwa 80 Prozent des Gases, das das Land insgesamt verfeuert, stammt nach wie vor aus Russland. In kalten Monaten wie dem Dezember und Januar heizen die Nachbarn in Wien sogar fast ausschließlich mit russischem Gas. Österreich hat im Vorjahr dafür fast vier Milliarden Euro an Gazprom überwiesen.

Doch das könnte sich jetzt ändern. Der Durchleitungsvertrag zwischen dem ukrainischen Energieversorger Naftogaz und der russischen Gazprom wird Ende 2024 auslaufen. In Österreich käme dann durch diese Pipeline nichts mehr an und auch die anderen osteuropäischen Länder stünden ohne dieses russische Gas da. Nur durch die Gaspipeline Turkstream, die vom Süden Russlands durch das Schwarze Meer in die Türkei verläuft und von dort verschiedene Länder auf dem Balkan versorgt, flösse dann noch russisches Gas in den Westen.

Der absehbare Lieferstopp hat zwei Auswirkungen: eine wirtschaftliche und eine politische. Die wirtschaftliche klingt beherrschbar, die politische allerdings eskaliert derzeit. Die österreichische Energieagentur hat im Auftrag des grünen Klimaministeriums berechnet, was der Ausfall der Gaspipeline durch Russland bedeuten würde. Die Analyse zeigt, dass auch Österreich inzwischen deutlich besser aufgestellt ist, um von russischem Gas loszukommen, als noch zu Kriegsbeginn. Das Nachbarland profitiert davon, dass Deutschland und Italien sich bereits weitgehend losgelöst haben von russischem Pipelinegas. Beide Länder beziehen den Rohstoff vor allem in Form von verflüssigtem Erdgas. Dazu kommt über Deutschland auch noch Gas aus Norwegen.

FPÖ: „Anschlag auf die Zukunft der Österreicher“

Während beide Staaten einst mit russischem Gas über Österreich mitversorgt wurden, stehen inzwischen umgekehrt Kapazitäten bereit, um Gas via Deutschland und Italien nach Österreich zu leiten. Dazu kommen gut gefüllte Gasspeicher in Österreich und ein niedrigerer Verbrauch wegen schwächelnder Konjunktur. Auch für das kleine Slowenien und die Slowakei wäre genügend Gas vorhanden. Bei Ungarn nehmen die Experten an, dass sich das Land wie schon in den vergangenen Monaten vor allem über Turkstream mit Gas aus Russland versorgt. Allerdings erwarten die Experten für Österreich nach einem Wegfall des Gases aus Russland einen Anstieg der Gaspreise um 10 bis 40 Prozent.

Heikler ist die politische Komponente: Ende September sind Nationalratswahlen in Österreich und die rechte FPÖ liegt in Umfragen vorn. Sie treibt schon jetzt die regierende Koalition in Wien vor sich her. Ihre Galionsfigur Herbert Kickl sieht die Sache so: Dass die Ukraine den Durchleitungsvertrag mit Gazprom nicht verlängere, sei ein „Anschlag auf Energieversorgung, Wohlstand und Zukunft der Österreicher”.

Er rechnet deswegen den Gas-Deal gegen die Hilfe für ukrainische Kriegsflüchtlinge und Hilfszahlungen Österreichs an Kiew auf: „3,51 Milliarden Euro an Steuergeld hat die Regierung bisher für die Ukraine aufgebracht, rund 70.000 Ukrainer wurden wiederum auf Kosten der Bevölkerung aufgenommen und zum ‚Dank‘ dafür will das Selenskyj-Regime den Österreichern die Gasversorgung kappen.“

Ein EU-Botschafter spricht von „Blutgeld“

Eine ganz andere Sicht auf die Dinge hat die EU. Sie will die Abhängigkeit von russischem Gas bis Ende 2027 auf null reduzieren. Ihr Botschafter in Österreich, Martin Selmayr, hatte im vergangenen Jahr eine diplomatische Krise ausgelöst, als er Österreichs Zahlungen an Moskau im Gegenzug für Gaslieferungen als „Blutgeld“ bezeichnete. Selmayr wurde daraufhin ins Außenministerium nach Wien zitiert, blieb inhaltlich aber bei seiner Aussage.

Vor dem Hintergrund dieses Streits suchen die Beteiligten nach einem Kompromiss. Laut einem Bericht des „Handelsblatts“ gibt es eine mögliche Lösung. Sie besteht darin, dass ein Energieunternehmen aus der EU einen neuen Liefervertrag mit Gazprom abschließt. Das Unternehmen könnte das Gas von Gazprom an der russisch-ukrainischen Grenze kaufen und durch die Ukraine in die EU leiten.

Die Ukraine erhielte weiter ihre Durchleitungsgebühr, ohne selbst mit Russland verhandeln zu müssen. Und die rechten Stimmungsmacher in Wien wären ebenfalls besänftigt, weil ein abfallender Druck in der Leitung nicht plötzlich zum Problem für Österreich würde.