Nach der Kommunalwahl: Thüringen wird zum Versuchslabor für Dunkeldeutschland
AfD erringt viele Mandate – Zahlreiche Stichwahlen werden angesetzt – auf lokaler Ebene ist die Partei gestärkt
In vielen Medien und aus der Politik war zuerst Aufatmen zu vernehmen: Bei den Kommunalwahlen in Thüringen war es nicht zu einem Durchmarsch der AfD gekommen. Die rechtsextreme Partei gewann also bei den Wahlen zu Oberbürgermeistern und Landräten nie die absolute Mehrheit und lag nur in einem Fall vorn. Für die sich anschließenden Stichwahlen wird es dann für die AfD schlechter aussehen. Doch die Erleichterung mancher Zeitgenossen trügt: Eine Partei wie die von Björn Höcke denkt und träumt nicht entlang von Prozenten und Mandaten. Sie will Samen säen und aufgehen sehen. Die jetzigen Kommunalwahlen sind für sie ein Schub.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Politik ist für einen Hobbyführer wie Björn Höcke immer greifbar, sie ist für ihn ein Raum. Und der soll gründlich anders aussehen als bisher, da ist eine gründliche Renovierung angedacht. Der thüringische Landeschef der AfD wird sich über den Ausgang der Kommunalwahlen im Bundesland am vergangenen Sonntag freuen. Denn zum einen stürzte die Partei nicht ab, im Gegenteil. Und zum anderen öffnen sich für sie neue Gestaltungsräume.
Die Kalkulationen im Vorfeld pendelten von einem Extrem zum anderen. Da war die AfD einerseits die in den Umfragen landesweit führende Partei – das musste sich doch auch auf kommunaler Ebene auswirken, so die Hoffnung der einen und die Angst der anderen. Andererseits liegen Horrorwochen hinter der Partei. Würden Wähler die AfD mit bisher gültigen Wahlstandards bewerten, fiele sie durch: Spitzenkandidaten zur Europawahl, die sich dem Vorwurf der Käuflichkeit durch autoritäre, feindlich gesonnene Regime zu stellen haben. Verherrlichungen von SS-Verbrechern. Ein Höcke, der in einem Gerichtsprozess wegen der Verwendung von SA-Parolen alles andere als glaubhaft auftrat. Und Querelen an der Basis, weswegen miteinander konkurrierende Listen der AfD antraten.
Dennoch liegt die AfD nach einer Zwischenauszählung bei den reinen Mandaten in Gemeinde- und Stadträten fast gleichauf mit der CDU. Ein Durchmarsch ist das nicht, immer noch gibt es Mehrheiten gegen die Partei, die der thüringische Inlandgeheimdienst als erwiesen rechtsextreme Bestrebung bezeichnet; kein Wunder bei dem Chef – ich meine Höcke.
Aber die allgemeine Empörung über die Eskapaden mancher AfD-Kader schlug sich offensichtlich nicht im Wahlverhalten nieder. Entweder waren den Wählern mögliche Käuflichkeit gegen Deutschland und Nazi-Romantik egal, oder sie gewichteten lokale Themen auf kommunaler Ebene stärker. Oder beides.
Etwas breitet sich aus
Jedenfalls erhält die AfD mit ihrer stofflichen Politik nun zahlreiche Instrumentenkästen in die Hand, um die Räume im Land zu verändern. Sie sitzt in nahezu jedem öffentlichen politischen Gremium, zuweilen massiv. Sie wird jede Entscheidung beeinflussen. Und sie wird die politische Kultur prägen. Noch mehr über Geldervergaben mitentscheiden, ihre Sicht durchdrücken – und das ist die völkische Sicht, die Freiheit und Respekt ablehnt. Das sind ja keine Kinkerlitzchen an Werten. Die dann einfach weglassen, das kostet.
Rechtsextremisten denken grundsätzlich machtorientiert. Was sie haben, verteidigen sie mit ihren Zähnen. Und suchen nach Expansion. Da interessieren sie weniger Prozente und einzelne Mandate, sondern sie erstreben eine allgemeine Kultur, die ihnen zuerst nicht feindlich und dann später wohl gesonnen ist. Daher seit Jahren dieses Austesten von „Sagbarem“, um die Gewöhnungseffekte zu mobilisieren. Nun hat die AfD durch die Mandate noch mehr Mikrofone, in die sie sprechen kann. Das ist für sie wichtiger, als an Abstimmungen über Kanalisationsarbeiten oder Kitakosten teilzunehmen.
Kritisch sein heißt, den anderen anzuschauen
Und damit müssen die anderen Parteien umgehen. Das Prinzip der konsequenten Auschließeritis zeigt sich endgültig als gescheitert. Die AfD kann nur inhaltlich gestellt und getestet werden, auch auf kommunaler Ebene. Auf den demokratischen Wettbewerb muss man sich schon einlassen. Und das erfordert Lockerungsübungen. Natürlich keine Bündnisse oder Koalitionen. Aber das Ablegen von Scheuklappen, wie etwa jener bei der CDU, die in ihrem Feinddenken die Linke mit der AfD gleichsetzt, was eine krasse Fehldeutung von Tatsachen ist. Dass sie nun sofort damit liebäugelt, mit dem BSW von Sahra Wagenknecht zusammenzuarbeiten, ist ihr gutes Recht und ok, aber angesichts der geäußerten Allergien der Linken gegenüber absurd. Wer ist seriöser und respektabler, der allgemein geschätzte Ministerpräsident Bodo Ramelow oder die Verdreherin und Talkshowkönigin Sahra Wagenknecht?
Die AfD wird versuchen, Thüringen in ein Versuchslabor für ihre dunklen Pläne zu verwandeln. Dagegen hilft nur Transparenz, Ehrlichkeit und gleiche Augenhöhe. Dann können sich die Pläne rasch in Luftnummern verwandeln. Man muss sie nur gut kennen und ansprechen.