So leise, dass es kracht: Eine Hommage zu zehn Jahren "Bares für Rares"

Und jetzt: Konfetti! Horst Lichter ist mit "Bares für Rares" seit zehn Jahren auf Sendung. (Bild: ZDF / Sven Bittner)
Und jetzt: Konfetti! Horst Lichter ist mit "Bares für Rares" seit zehn Jahren auf Sendung. (Bild: ZDF / Sven Bittner)

Mit Handkuss-Etikette und rheinischer Begeisterungsurgewalt macht Horst Lichter zehn Jahre "Bares für Rares" voll. Die ZDF-Erfolgssendung ist die Antithese zu vielen Gewissheiten über das Unterhaltungsfernsehen.

Schlaglichter aus der deutschen TV-Unterhaltung im Sommer 2023. Bei RTL gehen sich ein Bodybuilder und ein Vorstadtplayboy im Kampf um die Gunst einer Influencerin an die Gurgel. Bei ProSieben werden erwachsene Dinosaurier- und "Harry Potter"-Fans von Social-Media-"Schönheiten" auf alltagstauglich umgestylt. Und bei RTLZWEI gibt sich ein chirurgisch runderneuerter Modezar der Illusion hin, er sei so etwas wie die Reinkarnation von Ludwig II.

Obszön sells! Aber das heißt ja nicht, dass nicht auch das Gegenteil zutreffen kann. Am 3. August jährt sich zum zehnten Mal die Geburtsstunde einer Fernsehsendung, die sich wie der Gegenentwurf zum grellen Unterhaltungsstandard im deutschen Fernsehen ausnimmt. Damals, vor einer Dekade, begrüßte ein gewisser Horst Lichter die Zuschauer von ZDFneo zur Pilotfolge von "Bares für Rares".

Horst Lichter präsentiert das Sehnsuchtsobjekt seiner Trödelshow: die Händlerkarte. Mit ihr werden Kandidatinnen und Kandidaten in den Händlerraum vorgelassen. (Bild: ZDF / Frank W. Hempel)
Horst Lichter präsentiert das Sehnsuchtsobjekt seiner Trödelshow: die Händlerkarte. Mit ihr werden Kandidatinnen und Kandidaten in den Händlerraum vorgelassen. (Bild: ZDF / Frank W. Hempel)

Kein Feierbohei - das passt zu "Bares für Rares"

Heute ist die werktägliche Trödelshow aus dem Nachmittagsprogramm des ZDF-Hauptprogramms gar nicht mehr wegzudenken. Es sei denn, es läuft wie an diesem Jubiläumsdonnerstag eine Sportübertragung. Erst am Sonntag, 13. August, 10.15 Uhr, versteckt sich eine Geburstagsausgabe aus dem Reihenableger "Lieblingsstücke" im Morgenprogramm. So wenig Feierbohei passt zu dieser Produktion: Sie ist die Antithese zu vielen Gewissheiten, die Fernsehmacher über das schwere Feld der leichten Unterhaltung haben.

Erfunden wurde mit "Bares für Rares" das Genre der Trödelshow zwar nicht. Der Ruhm gebührt auf Deutschland bezogen doch eher den BR-Kollegen von "Kunst und Krempel" (seit 1985!). Sogar der RTLZWEI-"Trödeltrupp" ist mit Baujahr 2009 vier Jahre älter als "Bares für Rares". Doch nirgends ruht das Sentiment des Wertschätzens - im zweifachen Sinn! - so gemütvoll in sich selbst wie in jenem vor den Toren Kölns gelegenen Klinkerbau, der einmal als Walzwerk diente und nun Menschenschlangen beherbergt, die echte und vermeintliche Schätzchen unterm Arm haben.

Horst Lichter und das Händlerteam seiner Trödelshow "Bares für Rares": Hier wird wertgeschätzt im zweifachen Sinn. (Bild: ZDF / Frank W. Hempel)
Horst Lichter und das Händlerteam seiner Trödelshow "Bares für Rares": Hier wird wertgeschätzt im zweifachen Sinn. (Bild: ZDF / Frank W. Hempel)

Kein Alltagsrascheln, keine Wegwerfmentalität

Aus allen Landesteilen bringen sie Silberbesteck mit, Steinkrüge, Stoffbären, Werbeplakate, Edel-Chronometer, Freimauerblech und Omas vererbte Goldklunker. Horst Lichter, ein Mann der als TV-Koch berühmt wurde, schüttet auf alles eine Gemütssoße rheinischen Euphorismus - nichts ist so banal, als dass es nicht gefeiert werden könnte. "Leck misch de Söck!", jubelt Horst Lichter dann. Oder er wird "jeck" und gern auch "sprachlos", was sich bei ihm durchweg verbal artikuliert.

"Bares für Rares" ist eine magische Show: Hier werden unscheinbarste Staubfänger qua fachgerechter Expertise zu "Sensationen". Auch vergeht seit zehn Jahren kaum eine Folge, in der es bei aller muckeligen Gleichförmigkeit nicht zu konstatieren gälte: "So was hatten wir noch nie!" Die Begeisterung darüber ist ansteckend. Rund eineinhalb Millionen Menschen schalten im Durchschnitt ein - übrigens auch rekordverdächtig viele Jüngere. Das sind aufs Nachmittagsniveau heruntergebrochen "Tatort"-artige Quotenverhältnisse.

Während der "Tatort" eine echte Tradition (seit 1970) aufzuweisen hat, ist es bei Lichters Trödelparadies eine suggerierte, doch die ist nicht weniger wirkungsmächtig. Wer "Bares für Rares" einschaltet, taucht ein in eine Blase, in der die Zeit stillzustehen scheint. Trödeln heißt hier im doppelten Wortsinn eben auch: sich Zeit nehmen. Keine Flohmarktanekdote ist zu abwegig, als dass sie nicht gehört werden wollte. Das hektische Alltagsrascheln, die moderne Wegwerfmentalität haben zwischen Wert-Expertise und Händlerkarte keinen Platz.

Dazu ist dies ein Ort, an dem noch kaiserzeitliche Manieren gepflegt werden. Horst Lichter beherrscht den Handkuss und das galante Nebenbei-Kompliment. Von MeToo und den daraus resultierenden Unsicherheiten der zwischengeschlechtlichen Zuneigungsbekundung hat der Mann mit dem neckisch verzwirbelten Bart noch nie gehört. Das trifft auch auf die Gepflogenheiten im "Händlerraum" zu, wo durchweg cash bezahlt wird.

Horst Lichter, der TV-Koch und Oldtimerfan mit dem markanten Schnauzer, führt seit 2013 durch die Trödelshow "Bares für Rares". Es ist derzeit die erfolgreichste Nachmittagssendung des ZDF. (Bild: ZDF/Guido Engels)
Horst Lichter, der TV-Koch und Oldtimerfan mit dem markanten Schnauzer, führt seit 2013 durch die Trödelshow "Bares für Rares". Es ist derzeit die erfolgreichste Nachmittagssendung des ZDF. (Bild: ZDF/Guido Engels)

Es ist nicht gelungen, "Bares für Rares" medial kleinzuklopfen

Die Trödelhändler der Sendung tragen teils putzige Spitznahmen wie "80-Euro-Waldi". Ebenjener tauft jedwede weibliche Präsenz "Engelchen", ein mittig sitzender Österreicher sagt gern "Gnä' Frau". Schade ist nur, dass der Mann im Blümchenhemd nicht mehr anzutreffen ist, der stets als Einziger stand, die anderen aber doch nicht überragte: Der Niederbayer Ludwig Hofmaier, der 1967 auf Händen laufend eine Papst-Audienz erhielt, ist inzwischen ebenso in Bildschirmrente wie der viel verehrte Kunstexperte Albert Maier. Seine gravitätische Erscheinung wird schmerzlich vermisst. Man hätte ihn für so unvergänglich gehalten wie die Bronzebüsten, die man ihm regelmäßig auf den Tresen gestellt hat.

Mag sein, dass sich dann und wann manch treuherzige Frührentnerin etwas unter Wert zum Verkauf überreden ließ, wie kritische Beobachter verschiedentlich monierten. Und ganz bestimmt ist es so, dass bezahlte Komparsen durchs Bild laufen, während Horst Lichter doch immer die Ehrlichkeit seiner kleinen Sendereihe rühmt. Das "Bares für Rares"-Bashing hatte zwischenzeitlich beachtliche Konjunktur. Es ist ja auch ein vielfach erprobter Reflex, Erfolgsgiganten medial kleinzuklopfen, allein schon aus Prinzip. Aber das ist nicht gelungen. Und es ist hier auch müßig.

Anders gesagt: Sollte "Bares für Rares" weitere zehn Jahre im ZDF-Nachmittagsprogramm überstehen, wird darüber das Abendland schon nicht untergegangen sein. An dem Projekt arbeiten derweil ganz andere.

Bei Horst Lichter menschelt es immer gewaltig - sicher ein Erfolgsrezept von "Bares für Rares". (Bild: ZDF)
Bei Horst Lichter menschelt es immer gewaltig - sicher ein Erfolgsrezept von "Bares für Rares". (Bild: ZDF)