„So simpel. So schwierig!“ - Drei Dinge brauchen Kinder in der Pubertät von ihren Eltern

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Viele fürchten sich davor, wenn aus dem Kind ein Teenager wird – Eine Zeit mit vielen neuen Herausforderungen für Eltern und Kind. Pädagogin Inke Hummel erklärt, was wichtig ist und wie die Bindung erhalten bleibt.

 

Wenn wir beginnen, uns mit der Pubertät auseinanderzusetzen, verstehen wir schnell, was das Wesentliche ist: Unsere pubertierenden, heranwachsenden Kinder brauchen von uns zunächst mal das Gleiche wie die kleinen, nur in etwas anderer Form!

Was Kinder brauchen, sind:

  1. Wurzeln

  2. Flügel

  3. und uns als anteilnehmenden, begleitenden und richtungweisenden „Leitwolf“, wie der Familientherapeut Jesper Juul es nennt.

So simpel. So schwierig! Denn natürlich läuft es mit einem 13- oder 16-Jährigen anders als mit einem jüngeren Kind. Man kann nicht mehr einfach ein schönes Buch vorlesen, um Nähe zu schaffen. Man kann das Kind nicht fürsorglich auch mal gegen seinen Willen wegtragen, wenn es irgendwo gefährlich wird.

Wie gibt man in der Pubertät Wurzeln und Nähe?

Man kann nicht mehr in Sichtweite loslassen und dem Kind mit mulmigem Bauchgefühl das Klettern auf dem höchsten Baum erlauben. Man bringt es nicht mehr in einen gut behüteten Kindergarten, in dem von den Erziehern fast alles zurückgemeldet wird, was über Tag nicht so gut läuft. Die Orte ändern sich, die Bezugspersonen werden andere, der Radius erweitert sich, die Risiken sind neue.

Wie aber schafft man es, loszulassen und Flügel zu geben?

Man kann auch nicht mehr einfach die Richtung vorgeben, Regelplakate mit kleinen Bildchen besprechen, Zeiten bestimmen, ohne viel Gegenrede Kompromisse schließen, den Anstoß zum Hausaufgabenerledigen geben, notfalls mit Überredungskunst wie einem Schokopudding. Denn es wird immer mehr Widerworte geben, und das eigene Verhalten wird immer mehr infrage gestellt.

 

Wie aber schafft man es dennoch, ein Leitwolf zu bleiben?

Was sagen andere Eltern?

Katja (38), Mutter einer neunjährigen Tochter, über den Fokus auf Bezie­hung:
Ich kann generell sagen, dass Beziehungsorientierung hilfreich ist, weil ich meiner Tochter viel eher in für sie (und uns!) schwierigen Momenten helfen kann und wir deutlich schneller in der Lage sind, Situationen zu reflektieren, als andere Eltern. Generell hilft es eben, Verständnis zu zei­gen, Situationen zu besprechen und nicht aus der Rolle als Elternteil heraus irgendetwas durchzudrücken.

Was passiert bei den Jugendlichen?

Jugendliche etwa ab zehn bis 13 Jahren stehen zwischen dem Kind- und dem Erwachsensein:

  • Sie müssen manche Sonderrechte aufgeben, die sie als kleine Kinder hatten – die Schonfrist ist vorbei.

  • Sie stehen neuen gesellschaftlichen Erwartungen gegenüber, dürfen und können aber noch nicht alles kompetent selbst lösen – die geistige Reife durchlaufen sie ja erst noch.

  • Ihr Körper verändert sich, die Geschlechtsreife setzt ein – der Umgang damit ist ein ganz neues Feld.

  • Ihre Denkfähigkeiten werden andere und gehen dabei durch chaotische Phasen – sie verstehen sich oft selbst nicht. Und wir Eltern kommen schon gar nicht mehr mit.

  • Ihre gesellschaftliche Position ist oft nicht ganz klar – sind sie nun groß oder klein?

  • Sie sind verunsichert, ihre Emotionen sind überwältigend – Gefühlsausbrüche in jedwede Richtung sind an der Tagesordnung und überfordern sie selbst und uns.

Sie bleiben also „bedürftig“, abhängig von uns Eltern – noch gut ein Jahrzehnt lang. Sie sind darauf angewiesen, dass wir ihnen Entwicklungsspielraum lassen und auch eventuellen Fehlern Raum geben. Bestimmte Dinge müssen erlebt, durch lebt, bewältigt werden, um voranzukommen.

Was sagen andere Eltern?

Nina (39), Mutter von drei Söhnen (5, 8, 13), über den Fokus auf Beziehung: Beziehungsorientierung hilft in unserer Familie extrem in Stresssituatio­nen. Wir können uns aufeinander verlassen. Die Kinder wissen, wir sind da in guten wie in schlechten Zeiten, und keiner braucht Angst zu haben vor Fehlern. Jeder macht Fehler, und trotzdem werden sie bedingungslos geliebt. Orientiert an Beziehung heißt hier auch: „Okay, Mama hat einen schlechten Tag und ist launisch, aber es ist nicht unsere Schuld, sie hat ein­fach nur einen schlechten Tag.“

Jugendliche brauchen Impulse

Machtgefälle erzeugt Gehorsam – Kadavergehorsam und Angst. Angst ist ein ganz schlechter Berater und ein zerstörerisches Lebenselixier. Nimmt Raum für Entwicklung. Bindungs-­ und Beziehungsorientierung ist die Basis für einen wertschätzenden Umgang miteinander und schafft Raum für Entwicklung.

Ebenso wie ein Kleinkind beispielsweise nicht lernt, sich gut zu ernähren, wenn wir ihm nicht zeigen, was ein gesunder, abwechslungsreicher Speiseplan ist, braucht auch ein Jugendlicher Impulse:

  • Struktur

  • Vorbild

  • Ideen

  • Stimulation

und schlichtweg Situationen, in denen er

  • erkennen,

  • überlegen,

  • mitgestalten,

  • Ziele entdecken,

  • Werte stecken,

  • sich selbst finden kann.

Dabei muss er bekannte Pfade verlassen, Neues (das für Erwachsene typisch ist oder dafür gehalten wird wie zum Beispiel Ausgehen und Feiern) wird probiert – und das Elternhaus sollte möglichst der rote Faden bleiben, um eventuelle Ausrutscher und Unwägbarkeiten aufzufangen.

 

Die Grundpfeiler der Beziehung

Es gibt Grundpfeiler, die am besten von Anfang an unser Familienleben mit den Kindern bestimmen sollten (sie können aber durchaus auch noch später ausgestaltet werden):

  • Bindung

  • Beziehung

  • sich informieren

  • Wertschätzung

  • Respekt und Straffreiheit

  • gute Kommunikation

  • Vertrauen und Verantwortung

  • Freundschaften annehmen

  • Mit sein

  • Vorbild sein

  • Selbstfürsorge

Hinter diesen Grundpfeilern stecken niemals eng umrissene To-do-Pläne, sondern es sind vielmehr Bereiche, die jede Familie nach ihren Bedürfnissen und Lebensbedingungen ausfüllen kann.

Bei den Grundpfeilern geht es jeweils darum:

  • sich selbst zu zeigen – So bin ich!

  • den anderen wahrzunehmen – Wie bist du?

  • das Machtgefälle zwischen Klein und Groß nicht auszunutzen – Wie schaffen wir das als Team?

So können wir Eltern versuchen, mit unseren Kindern möglichst kampffrei umzugehen, obwohl sie in sich selbst mit so vielem kämpfen müssen. Wer Wert auf Bindung und Beziehung legt, geht diesen anderen Weg.

Bindung: Wie bleibe ich eng an meinem Teenager?

Bindung meint hier ein enges Band zwischen dem Kind und dem Elternteil, das mal kürzer und mal länger ist. Das Kind kann sich dabei darauf verlassen, dass du seine Signale richtig lesen und seinen wirklichen, tiefen Bedürfnissen (nicht Wünschen!) so gut wie möglich und rasch nachkommst.

 

Zwischen diesen Polen stecken unsere Kinder:

  • Manchmal benötigt das Kind (egal in welchem Alter) körperliche Nähe und die Eltern als Absicherung, wenn zu viel von ihm gefordert wird und zu viele Eindrücke auf es einprasseln.

  • Ein anderes Mal benötigt es aber Vertrauen und Loslassen, damit es selbstständig ausprobieren kann, wie die Welt funktioniert und was es in ihr bewirken kann. Bindung: Wie bleibe ich eng an meinem Teenager?

In einer guten Bindung begleitest du dein Kind dabei achtsam und liebevoll, gibst Orientierung und Struktur, leitest es an. Im Babyalter und in den (Klein-)Kinderjahren werden möglichst die Grundlagen gelegt, auf die man sich im Jugendalter verlassen möchte und muss. Nach dem zehnten Geburtstag kann aber immer noch Etliches davon neu in den Alltag integriert werden.

Eine der aber unbedingt zu legenden Grundlagen für ein gutes Miteinander auch in den Jugendjahren sind die sogenannten Spiegelneuronen: Sie entstehen von klein auf in unseren Kindern, wenn wir ihnen warm, zugewandt und mitfühlend begegnen, und ermöglichen es ihnen im Gegenzug, Zuneigung und Einfühlsamkeit zu zeigen, sodass ein echtes Teamsein auch in der Pubertät eine gute Basis hat.

 

Was sagen andere Eltern?

Yvonne (42), Mutter einer Tochter (12), über das Wechselspiel aus Nähe und Distanz:
Meine Tochter steht sehr zwischen den Stühlen: Einerseits ist sie noch klein, spielt gerne mit jüngeren Kindern und deren Spielsachen, tobt und klettert. Aber andererseits schaut sie auf die etwas älteren Mädchen in ihrer Klasse, die schon shoppen gehen, Instagram nutzen oder Partys feiern.

Um sich in den neuen Bereich zu wagen, braucht sie mich manchmal noch ganz stark. Dann muss ich sie nicht nur hinsichtlich ihrer Kleiderwahl be­raten, sondern mich auch mal mit zu ihr ins Bett kuscheln und ihr etwas vorlesen. Ich habe das Gefühl, wenn sie ab und an noch etwas klein sein darf, hat sie auch die Kraft, groß zu werden und allein loszuziehen.

Sicherheit geben, Vertrauen schenken

Was kannst du tun?

Um Nähe und Wurzeln zu geben, braucht es vor allem ein gutes Einfühlen : Verbringst du als Elternteil die gemeinsame Zeit, die du mit deinem Teenie hast (und die ja immer geringer wird pro Tag im Vergleich zu den ersten Jahren), immer wieder eng, wirklich im Moment, lernst du, ihn zu lesen. Durch verlässliches Reagieren gibst du ihm Sicherheit, die zu Selbstsicherheit werden kann.

 

Zum Loslassen und Flügelgeben braucht es Vertrauen : Du musst deinem Kind vertrauen und auch darauf, dass du seinen Rücken gestärkt hast. Und du musst auch Vertrauen in die (Um-)Welt haben, indem du nicht überall das Schlimmste befürchtest.

Respekt und Vertrauen statt Bevormundung

Auch du durftest (oder wolltest) die Welt als Jugendlicher erkunden. Jetzt musst du das deinem Kind ermöglichen. Seine gesunde Ich-Entwicklung braucht Raum und von dir nur noch etwas Unterstützung und Angebote. Versuche, alles zu kontrollieren, sind hinderlich und bei guter Bindungsbasis gar nicht notwendig. Besinne dich stattdessen auf:

  • Vertrauen und Bestärkung,

  • das Reden über verschiedene Alternativen auf dem Weg,

  • gegebenenfalls auch mal Hilfe von außen in Form von fachlich versierten Beratungen, wenn man doch mal ins Straucheln gekommen ist.

Um dein Kind anzuleiten und ihm starke Orientierung rund um das oben beschriebene Wurzeln- und Flügelgeben zu geben, ist es wichtig:

  • dass ihr euch gegenseitig respektiert und auf Augenhöhe bleibt.

  • dass du dich und deine Standpunkte hinterfragst, anstatt auf ihnen zu beharren.

  • dass du aber auch Gewissheit findest und vorgibst in Form von liebevollem Grenzen setzen und von Struktur.

  • dass du feinfühlig erspürst, was in deinem Kind los ist.

  • dass du ihm hilfst, alle Eindrücke und Argumente zu sortieren.

  • dass du auf Bevormundung und Machtmissbrauch verzichtest.

Was sagen andere Eltern?

Dirk (41), Vater eines Sohnes (14), über das Überprüfen eigener Stand­punkte:
Die Schule unseres Sohnes veranstaltet jedes Jahr einen „Tag des sozialen Engagements“. Der reguläre Schultag ist dann frei, um durch kleine Jobs oder Kuchenverkäufe Geld für ein Hilfsprojekt verdienen zu können.

Unser Sohn wollte die Arbeit gerne am Wochenende vorher erledigen, um den dann quasi schulfreien Tag für einen Ausflug in einen Freizeitpark nutzen zu können. Alles in mir sträubte sich dagegen. Ich bin ein pflicht­bewusster Mensch und sagte erst mal spontan Nein. Doch er ließ sich nicht unterkriegen. Mutig trug er seine Argumente vor, dass er ja arbeiten und Geld verdienen würde. Aber dass er so gerne einmal unter der Woche und außerhalb der Ferien die Attraktionen des Parks nutzen wolle – ohne lange Schlangen.

Wir Eltern mussten das sacken lassen, aber uns auch recht schnell eingeste­hen, dass wir seinen Wunsch gut nachvollziehen konnten. Er würde nicht schwänzen, sondern vorarbeiten. Und vor allem hatte er uns ehrlich und offen von seinen Plänen erzählt. All das zusammengenommen, fanden wir unsere Antwort und konnten ihm ein klares Ja mitgeben, das niemandem wehtat.