Trotz US-Vorstoß hohe Hürden für Gaza-Deal

Von Netanjahu-Gegnern in Israel wurde Bidens Vorstoß positiv aufgenommen, doch es gibt viele politische Hürden (Bild: Amir Levy/Getty Images)
Von Netanjahu-Gegnern in Israel wurde Bidens Vorstoß positiv aufgenommen, doch es gibt viele politische Hürden (Bild: Amir Levy/Getty Images)

Gaza (dpa) - Auch nach dem Vorstoß von US-Präsident Joe Biden für eine Beendigung des Gaza-Kriegs sind die Hürden für ein Abkommen zwischen Israel und der islamistischen Hamas sehr hoch. Zwar äußerte sich ein im Libanon ansässiger Hamas-Sprecher positiv und sagte, man werde das von Biden dargelegte Angebot der Israelis prüfen.

Der in Tunneln unter dem Gazastreifen ausharrende militärische Anführer der Hamas, Jihia al-Sinwar, ist nach Informationen des «Wall Street Journals» jedoch nur zu einem Abkommen bereit, wenn es das Überleben der Hamas als militärische und politische Kraft in Gaza sichert.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wiederum machte nach Bidens Rede in einer Erklärung deutlich, dass sich Israels Bedingungen für ein Ende des Krieges nicht geändert hätten: die Zerstörung der Hamas und die Freilassung aller Geiseln.

Die in dem Konflikt als Vermittler fungierenden Staaten Ägypten, USA und Katar riefen Israel und die Hamas in einer gemeinsamen Erklärung zur Einigung auf ein Abkommen auf. Das von Biden erläuterte Angebot vereine die Forderungen aller Parteien. «Dieser Deal bietet einen Fahrplan für einen dauerhaften Waffenstillstand und eine Beendigung der Krise», hieß es darin.

Zuvor hatte US-Außenminister Antony Blinken mit seinem katarischen Kollegen Mohammed bin Abdulrahman Al Thani sowie dem ägyptischen Außenminister Sameh Schukri telefoniert, wie die Ministerien der drei Vermittlerländer mitteilten. Blinken habe im Gespräch mit Schukri die Hamas aufgerufen, den vorgeschlagenen Deal unverzüglich anzunehmen.

Biden hatte überraschend Details eines Entwurfs für einen Plan präsentiert, dem Israel nach Angaben der US-Regierung bereits zugestimmt hat. In Israel drohten jedoch prompt danach mehrere rechtsreligiöse Koalitionspartner von Ministerpräsident Netanjahu mit dem Platzen seiner Regierungskoalition, sollte sich Israel auf den Deal einlassen.

Dieser bedeute einen «Sieg für den Terrorismus» und eine «totale Niederlage» Israels, wetterte der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir. Der Plan würde den Krieg beenden, ohne dass die Kriegsziele erreicht seien, schrieb der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich auf X. Auch andere Minister sprachen sich gegen den Vorschlag aus.

Dagegen gingen in mehreren Städten des Landes Zehntausende Menschen für das Abkommen auf die Straße und forderten lautstark Neuwahlen. Sie warfen der Regierung vor, nicht genug für die Freilassung der Geiseln zu tun. Allein in Tel Aviv nahmen nach Angaben der Organisatoren 120.000 Menschen an einer Massenkundgebung teil, wie die «Times of Israel» berichtete. Laut Augenzeugen und Medienberichten kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei und zu mehreren Festnahmen. Es sei der größte Protest seit dem 7. Oktober.

Allein in Tel Aviv gingen nach Angaben der Organisatoren 120.000 Menschen in Protest gegen Netanjahu auf die Straße (Bild: REUTERS/Marko Djurica)
Allein in Tel Aviv gingen nach Angaben der Organisatoren 120.000 Menschen in Protest gegen Netanjahu auf die Straße (Bild: REUTERS/Marko Djurica)

Israel habe zwar dem von Biden dargelegten Vorschlag für ein Abkommen zugestimmt, viele Einzelheiten seien aber noch ungeklärt, betonte Ophir Falk, außenpolitischer Berater von Regierungschef Netanjahu gegenüber der britischen Zeitung «The Sunday Times». «Es ist kein guter Deal, aber wir wollen unbedingt, dass die Geiseln freigelassen werden, und zwar alle», sagte er.

«Es sind noch viele Details zu klären», bekräftigte Falk und verwies in Übereinstimmung mit Netanjahus Erklärung darauf, dass sich Israels Bedingungen nicht geändert hätten: die Freilassung aller Geiseln und die Zerstörung der Hamas. «Die Vorstellung, dass Israel einem dauerhaften Waffenstillstand zustimmen wird, bevor diese Bedingungen erfüllt sind, ist ein Rohrkrepierer», hatte Netanjahu erklärt.

Der Anführer der Hamas im Gazastreifen, Sinwar, dessen Zustimmung für eine Vereinbarung erforderlich ist, glaube wiederum, dass die Zeit auf seiner Seite sei und dass der Krieg Israel immer tiefer in einen Sumpf hineinziehe, berichtete das «Wall Street Journal». Die zivilen Opfer in Gaza trügen dazu bei, Israel zu einem internationalen Paria zu machen, habe Sinwar seinen Verbindungsleuten in Notizen aus dem Untergrund übermittelt, berichtete die Zeitung. Während viele der im Exil lebenden Vertreter des politischen Flügels der Hamas zeigen wollten, dass die Hamas sich für die Beendigung des Leidens der Zivilbevölkerung einsetzt, wolle Sinwar sicherstellen, dass die Hamas eine maßgebliche politische Kraft in Gaza bleibt.

Medienberichte vermuten, dass Hamas-Anführer Sinwar auf Zeit spielen könnte (Bild: REUTERS/Mohammed Salem)
Medienberichte vermuten, dass Hamas-Anführer Sinwar auf Zeit spielen könnte (Bild: REUTERS/Mohammed Salem)

In dem von Biden dargelegten Vorschlag für ein Abkommen sei nicht erwähnt, wer nach dem Krieg die Herrschaft über den Gazastreifen übernehmen würde, berichtete die «New York Times». Sollten keine anderen Vereinbarungen getroffen werden, könne dies dazu führen, dass die Hamas de facto wieder die Herrschaft über das Gebiet übernehme.

Dies wäre aus Sicht der Islamisten nach fast acht Monaten Krieg ein strategischer Sieg, schrieb die Zeitung. Sinwar strebe «nach größeren Gewinnen» als viele andere im politischen Flügel, zitierte das «Wall Street Journal» eine an den Vermittlungsgesprächen beteiligte arabische Quelle.

Der von Biden präsentierte Plan für einen Deal hat drei Phasen: Die erste sieht eine vollständige und uneingeschränkte Waffenruhe von sechs Wochen und einen Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dicht besiedelten Gebieten in Gaza vor. Es würde zunächst eine bestimmte Gruppe von Geiseln freigelassen - darunter Frauen, Ältere und Verletzte. Im Gegenzug würden Hunderte Palästinenser freikommen, die in Israel inhaftiert sind. In einer zweiten Phase würden die Kämpfe dann dauerhaft eingestellt und die verbliebenden Geiseln freigelassen. In einer letzten Phase würde ein Wiederaufbau des Gazastreifens beginnen.

Ein israelischer Beamter machte unterdessen gegenüber der «Times of Israel» deutlich, dass sich Israel in dem von Biden dargelegten Angebot das Recht vorbehalte, die Kämpfe jederzeit wieder aufzunehmen, sollte die Hamas gegen Bedingungen des vorgeschlagenen Abkommens verstoßen. Zum Beispiel, wenn die vereinbarte Anzahl freizulassender Geiseln nicht freikomme. «Und wenn Israel feststellt, dass die Gespräche aussichtslos sind und nur dazu dienen, Zeit zu gewinnen», bekräftigte der Beamte gegenüber der Zeitung.

Ein Durchbruch bei den festgefahrenen Gesprächen sei zwar möglich. Doch die Meinungsverschiedenheiten in Detailfragen würden angesichts der großen Unterschiede zwischen den Kriegszielen und politischen Interessen Israels und der Hamas wahrscheinlich schwer zu überwinden sein, zitierte das «Wall Street Journal» beteiligte Unterhändler.

Auslöser des Kriegs war ein Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. Sie ermordeten mehr als 1200 Menschen und verschleppten mehr als 250 Geiseln nach Gaza. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Dabei wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bislang mehr als 36.300 Menschen getötet. Die Zahl, die nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheidet, lässt sich unabhängig kaum prüfen.