Ukraine-Krieg: Die Entwicklungen am Freitag

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine herrscht in dem Land Krieg. Die aktuellen Entwicklungen im Überblick.

Unser Ticker ist für heute beendet. Hier können Sie die wichtigsten Ereignisse des Tages nachlesen.

  • Selenskyj: Keine Verhandlungen vor russischem Truppenabzug

  • Putin beschimpft Selenskyj - «Schande für das jüdische Volk»

  • Tote und Verletzte nach Beschuss auf südukrainisches Flutgebiet

  • Streit um Beitrittsperspektive für Ukraine: Nato plant Zugeständnis

  • Selenskyj optimistisch bei Erfolg der ukrainischen Gegenoffensive

  • Deutschland liefert 64 weitere Patriot-Raketen an Ukraine

  • Selenskyj freut sich über Beistand aus Straßburg

  • EU-Parlament für Verfahren zum Nato-Beitritt nach Kriegsende

  • Atomenergiebehörde: Lage an AKW ernst - aber stabil

Die aktuelle Newslage im Livestream:

+++ Selenskyj: Keine Verhandlungen vor russischem Truppenabzug +++

Nach einem Treffen mit einer Delegation aus Vertretern verschiedener afrikanischer Länder hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Verhandlungen mit Moskau vor einem russischen Truppenabzug erneut eine Absage erteilt. «Irgendwelche Gespräche mit Russland zuzulassen, solange der Besatzer auf unserem Boden ist, bedeutet den Krieg, den Schmerz und das Leiden einzufrieren», sagte Selenskyj am Freitag auf einer Pressekonferenz in Kiew laut Agentur Interfax-Ukraine. Sein Land benötige einen realen Frieden und dabei «einen realen Abzug der russischen Truppen von unserem ganzen unabhängigen Boden».

Unter der Führung von Südafrikas Präsidenten Cyril Ramaphosa waren Staats- und Regierungschefs der Länder Ägypten, Senegal, Sambia, den Komoren sowie spezielle Vertreter aus Kongo und Uganda nach Kiew gereist. Die Afrikaner wollen Möglichkeiten für einen Frieden in dem seit fast 16 Monaten währenden Krieg ausloten. Dazu wollen sie am Samstag auch ins russische St. Petersburg reisen. Erwartet wird dort auch ein Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin.

Wolodymyr Selenskyj (Bild: Vitalii Nosach/Global Images Ukraine via Getty Images)
Wolodymyr Selenskyj (Bild: Vitalii Nosach/Global Images Ukraine via Getty Images)

+++ Putin beschimpft Selenskyj - «Schande für das jüdische Volk» +++

Russlands Präsident Wladimir Putin hat den ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg beschimpft. «Ich habe viele jüdische Freunde, seit meiner Kindheit. Sie sagen: «Selenskyj ist kein Jude. Das ist eine Schande für das jüdische Volk»», sagte Putin am Freitag in der russischen Ostsee-Metropole St. Petersburg. Aus dem Publikum, wo unter anderem viele kremltreue Politiker sowie die Chefs mehrerer völkerrechtswidrig annektierter ukrainischer Gebiete saßen, erntete er für diese Aussage Beifall.

Moskau rechtfertigt seinen Angriffskrieg gegen das Nachbarland immer wieder mit der Propaganda-Behauptung, man müsse die Ukraine von angeblichen «Neonazis» befreien. Solche Aussagen sorgen international auch deshalb für großes Entsetzen, weil Selenskyj jüdischer Abstammung ist. Außerdem sind unter den vielen Tausend Opfern russischer Angriffe in der Ukraine nachgewiesenermaßen auch mehrfach Holocaust-Überlebende gewesen. Angesichts von schlimmsten Gräueltaten wie der Ermordung Hunderter Zivilisten in Butscha ist darüber hinaus immer wieder von einem russischen «Genozid» am ukrainischen Volk die Rede.

Moskau behauptet unermüdlich zu unrecht, die Führung in Kiew stehe in der Tradition des ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera (1909-59). Diesem werfen Historiker Kollaboration mit den Nazis und eine Mitverantwortung für die Ermordung von Polen und Juden im Zweiten Weltkrieg vor. Putin ließ nun beim Wirtschaftsforum sogar einen mehrminütigen Propaganda-Film zum Weltkriegsgeschehen zeigen, der sich ausschließlich auf Gräueltaten von Bandera-Anhängern beschränkte.

+++ Tote und Verletzte nach Beschuss auf südukrainisches Flutgebiet +++

In der überfluteten südukrainischen Region Cherson sind laut Behördenangaben vier Menschen durch russischen Beschuss getötet worden. Zwei weitere Personen - Rentnerinnen im Alter von 69 und 86 Jahren - seien verletzt worden, teilte die ukrainische Militärverwaltung von Cherson am Freitag auf Telegram mit. Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms am 6. Juni ist die gesamte umkämpfte Region von massiver Überschwemmung betroffen.

Bereits am Donnerstag hatte der Chef der Militärverwaltung, Olexander Prokudin, auf Telegram fortlaufende russische Angriffe auf die ukrainisch kontrollierten Flutgebiete beklagt. Die Rettungsaktionen liefen seit dem ersten Tag unter anhaltendem russischen Beschuss, so Prokudin. Am Mittwochabend wurden zwei freiwillige Retter - darunter ein ausländischer Helfer - durch russisches Artilleriefeuer verletzt. Die ukrainische Staatsanwaltschaft hat inzwischen Ermittlungen aufgenommen.

+++ Streit um Beitrittsperspektive für Ukraine: Nato plant Zugeständnis +++

Im Streit um den Umgang mit den Nato-Beitrittshoffnungen der Ukraine zeichnet sich ein weiterer Kompromiss ab. Nach Angaben von Verteidigungsminister Boris Pistorius verdichten sich die Zeichen, dass alle Mitgliedstaaten sich damit einverstanden erklären, vor einer möglichen Aufnahme nicht auf das übliche Heranführungsprogramm zu bestehen. Auch er sei dafür offen, sagte Pistorius am Freitag am Rande eines Nato-Verteidigungsministertreffens.

Der Nato-Gipfel in Brüssel (Bild: Omar Havana/Getty Images)
Der Nato-Gipfel in Brüssel (Bild: Omar Havana/Getty Images)

Ein Verzicht auf den Aktionsplan zur Mitgliedschaft (Membership Action Plan - Map) gilt als zusätzliche Möglichkeit, der Ukraine beim bevorstehenden Nato-Gipfel in Litauen entgegenzukommen. Der als Gast eingeladene ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erhofft sich da eigentlich eine konkrete Einladung für den Beitritt. Länder wie Deutschland und die USA wollen diese aber im Gegensatz zu Staaten wie Litauen nicht aussprechen. Als Grund gelten Sorgen vor einer unberechenbaren Reaktion Russlands, das mit seinem Krieg gegen die Ukraine einen Nato-Beitritt des Landes zu verhindern versucht.

Bereits am Mittwoch hatten die Nato-Staaten in einem schriftlichen Verfahren ein neues Format für die Zusammenarbeit mit der Ukraine beschlossen. Es sieht vor, die bestehende Nato-Ukraine-Kommission zu einem Nato-Ukraine-Rat aufzuwerten. Dies soll es ermöglichen, mit dem von Russland angegriffenen Land auf Augenhöhe Schlüsselfragen der Sicherheit zu diskutieren und auch gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Die Kommission wurde vor allem eingerichtet, um Reformen zu diskutieren, die für einen Beitritt zur westlichen Militärallianz notwendig sind.

+++ Selenskyj optimistisch bei Erfolg der ukrainischen Gegenoffensive +++

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj geht davon aus, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine verliert, sollte die Ukraine mit ihrer aktuellen Gegenoffensive Erfolg haben. «Unser heldenhaftes Volk, unsere Truppen an der vordersten Front sehen sich sehr harten Widerstand gegenüber», sagte er in einem Interview des US-Senders NBC News am Donnerstag (Ortszeit). Denn wenn Russland beim jetzigen Gegenangriff der Ukraine verliere, würde «das bedeuten, dass Russland den Krieg verliert». Den aktuellen Stand der Gegenoffensive bezeichnete Selenskyj als «im Allgemeinen positiv», aber die Lage sei sehr schwierig.

Bei ihrer lange erwarteten Gegenoffensive haben die ukrainischen Truppen eigenen Angaben zufolge bislang sieben Orte aus russischer Besatzung befreit. Im Gebiet Saporischschja seien die Russen seit vergangener Woche an zwei Abschnitten um drei bis sieben Kilometer zurückgedrängt worden, hieß es am Donnerstag aus Kiew. Über 100 Quadratkilometer ukrainischen Gebiets wurden demnach zurückerobert.

+++ Deutschland liefert 64 weitere Patriot-Raketen an Ukraine +++

Deutschland wird der Ukraine 64 weitere Lenkflugkörper für Luftverteidigungssysteme vom Typ Patriot zur Verfügung stellen. Die Entscheidung sei wichtig, um die ukrainischen Streitkräfte in der aktuellen Phase nachhaltig zu unterstützen, kündigte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Freitag am Rande eines Nato-Treffens in Brüssel an. Die Raketen sollen unverzüglich geliefert werden.

Am Vortag hatten bereits die USA, Großbritannien, Dänemark und die Niederlande angekündigt, Hunderte zusätzliche Flugabwehrraketen für die laufende ukrainische Gegenoffensive gegen Russland zur Verfügung zu stellen. Die Lieferung hat den Angaben zufolge bereits begonnen und soll innerhalb einiger Wochen abgeschlossen sein.

(Bild: REUTERS)
(Bild: REUTERS)

+++ Selenskyj freut sich über Beistand aus Straßburg +++

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich erfreut über die Unterstützung des Europaparlaments für einen Nato- und EU-Beitritt seines Landes gezeigt. «Das Europäische Parlament hat eine kraftvolle Resolution zur Unterstützung der europäischen und euroatlantischen Bestrebungen unseres Volkes angenommen», sagte er am Donnerstag in seiner täglichen Videoansprache. Es gebe nun einen klaren Appell an die Staats- und Regierungschefs der EU, einen Weg für den Beitritt festzulegen. Zudem unterstütze das Europaparlament Kiews Forderung nach einer Nato-Perspektive und habe den ukrainischen Beitrag für die euroatlantische Sicherheit gewürdigt.

Das EU-Parlament hatte zuvor die Nato aufgefordert, der Ukraine nach dem Ende des russischen Angriffskriegs den Weg ins westliche Verteidigungsbündnis zu ebnen. In einer am Donnerstag in Straßburg verabschiedeten Entschließung heißt es, das Verfahren zum Beitritt solle nach Kriegsende beginnen und so rasch wie möglich abgeschlossen werden. 425 Abgeordnete stimmten dafür, 38 dagegen. 42 enthielten sich. Bis zur vollständigen Nato-Mitgliedschaft sollten EU und Nato einen befristeten Rahmen für Sicherheitsgarantien entwickeln, der unmittelbar nach dem Krieg umgesetzt werden soll.

+++ EU-Parlament für Verfahren zum Nato-Beitritt nach Kriegsende +++

Das EU-Parlament hatte zuvor die Nato aufgefordert, der Ukraine nach dem Ende des russischen Angriffskriegs den Weg ins westliche Verteidigungsbündnis zu ebnen. In einer gestern in Straßburg verabschiedeten Entschließung heißt es, das Verfahren zum Beitritt solle nach Kriegsende beginnen und so rasch wie möglich abgeschlossen werden.

425 Abgeordnete stimmten dafür, 38 dagegen. 42 enthielten sich. Bis zur vollständigen Nato-Mitgliedschaft sollten EU und Nato einen befristeten Rahmen für Sicherheitsgarantien entwickeln, der unmittelbar nach dem Krieg umgesetzt werden soll.

Daneben lobte Selenskyj Pläne der USA, russisches Eigentum zu konfiszieren und der Ukraine zu übergeben. Ein entsprechendes Gesetz sei im Kongress eingebracht worden. «In Diktaturen wie der russischen ist Geld der höchste Wert.» Die Herrschenden würden unbedenklich Hunderttausende Menschenleben opfern, aber nicht ihr Vermögen.

Wenn sie nun um ihr Geld gebracht würden, spürten sie, dass der Krieg ihnen tatsächlich Verluste einbringe. Dieses Vermögen «müssen sie vollständig verlieren, und zwar zum Wohle derer, die unter ihrer Aggression gelitten haben, aus diesem terroristischen Krieg zum Wohle unseres Staates, unseres Volkes», sagte der ukrainische Staatschef.

+++ Atomenergiebehörde: Lage an AKW ernst - aber stabil +++

Die Lage um das ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja ist dem Chef der Internationalen Atombehörde zufolge nach dem Bruch des Kachowka-Staudamms zwar ernst, aber stabil. «Auf der einen Seite ist die Lage ernst, es gibt Folgen, und sie sind real. Andererseits wurde eine Reihe von Maßnahmen zur Stabilisierung der Situation getroffen», sagte Rafael Grossi der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge bei seinem gestrigen Besuch in der Nuklearanlage.

Das von russischen Truppen besetzte Kernkraftwerk in der Südukraine speist sein Kühlwasser aus dem Kachowka-Stausee, der durch den Dammbruch austrocknet. Derzeit sei in den Kühlteichen aber noch genug Wasser, sagte Grossi. Der IAEA-Chef wollte eigentlich bereits am Mittwoch in die Kraftwerksstadt Enerhodar reisen, musste den Besuch aus Sicherheitsgründen dann jedoch um einen Tag verschieben. Mit ihm ist auch eine neue Gruppe an internationalen Beobachtern an der Anlage eingetroffen, die die bisherige Mission ablöst.

Derweil warnte der Chef der russischen Atombehörde, Alexej Lichatschow, vor steigenden Risiken für das AKW. «Wir begreifen, dass die Anlage jederzeit einem gezielten Angriff ausgesetzt sein kann», sagte der ranghohe russische Beamte am Rande des Petersburger Wirtschaftsforums. Er warf dem ukrainischen Militär vor, die Prinzipien der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA für die Sicherheit des Kraftwerks nicht explizit zu unterstützen. Angesichts der laufenden ukrainischen Offensive in der Region wachse damit die Gefahr für die Anlage, sagte Lichatschow.

+++ Experte zur Flut in Cherson: Böden können sich erholen +++

Derweil können sich die Böden in der gefluteten Region Cherson nach Einschätzung des Experten Georg Guggenberger auch wieder erholen. «Böden sind Lebewesen, die sich heilen können», sagte der Leiter des Instituts für Bodenkunde an der Universität Hannover der Deutschen Presse-Agentur. Voraussetzung sei, dass das ins Schwarze Meer abfließende Wasser aus dem Stausee die Erde nicht wegspüle. Die Böden gehörten zu den fruchtbarsten Regionen Europas, das Gebiet gilt als Kornkammer der Ukraine.

«Natürlich sind die jetzigen Ackerbaukulturen zerstört, überall da, wo es Überschwemmung gibt», sagte Guggenberger. «Prinzipiell sollten sich die Böden regenerieren, wenn das Wasser relativ rasch wieder abfließt. Wahrscheinlich muss auch mit großen Erosionserscheinungen gerechnet werden, was jetzt aber noch nicht absehbar ist.» Das Ausmaß der chemischen Belastung sei noch nicht klar, aber auch diese könne wieder abgebaut werden. Grundsätzlich sei es gut, dass es sich um sauberes und nicht kontaminiertes Wasser handele.

+++ Putin will in die Türkei reisen - und mit Scholz telefonieren +++

Russlands Präsident Wladimir Putin will auf Einladung seines türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan in die Türkei reisen. «Der türkische Präsident hat seine Einladung an unseren Präsidenten, die Türkei zu besuchen, bestätigt», sagte Putins Berater Juri Uschakow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Es gebe Pläne für diese Reise, aber noch keinen festen Termin, fügte er hinzu.

Darüber hinaus hat der Kreml das von Bundeskanzler Olaf Scholz in Aussicht gestellte Telefonat mit Putin unwahrscheinlich, aber begrüßenswert bezeichnet. «Vielleicht würde das Berlin erlauben, wenigstens für eine Sekunde die Scheuklappen abzuwerfen, die es daran hindern, die Situation nüchtern zu beurteilen», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag im russischen Staatsfernsehen. Allerdings gebe es derzeit keine Bewegung diesbezüglich. Bei der Äußerung Scholz' zu einem möglichen Telefonat sei es «vermutlich um hypothetische Absichten gegangen».