Ukraine-Krieg: Die Ereignisse am Sonntag

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine herrscht in dem Land Krieg. So ist die Lage am Sonntag.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem Treffen in Kiew.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem Treffen in Kiew.

Selenskyj erwartet Verhandlungen zu EU-Beitritt

Nach dem Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Kiew rechnet die ukrainische Staatsführung nach eigenen Angaben noch in diesem Jahr mit dem Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen. «Heute habe ich positive Signale von der Präsidentin der EU-Kommission gehört hinsichtlich unseres Fortschritts für einen Start der Verhandlungen», sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner am Samstag verbreiteten abendlichen Videobotschaft. Von der Leyen hatte der Ukraine, die sich seit mehr als 20 Monaten gegen den russischen Angriffskrieg verteidigt, zuvor Erfolge bei ihren Reformbemühungen bescheinigt.

Über den Beginn der Beitrittsverhandlungen sollen die Staats- und Regierungschefs der EU im Dezember entscheiden. Selenskyj betonte in seiner Ansprache, dass die Ukrainer sich daran gewöhnen sollten, Teil der Europäischen Union zu werden. Die Zeit, da die ukrainische Flagge in Brüssel mit den Fahnen anderer EU-Staaten wehen werde, rücke näher. «Ich danke Präsidentin von der Leyen für ihre starke und grundsätzliche Unterstützung.»

Es gehe nicht darum, dass die EU der Ukraine etwas vorschreibe, betonte Selenskyj mit Blick etwa auf den von Brüssel immer wieder geforderten Kampf gegen Korruption. «Die Transformation unseres Landes ist etwas, das wir selbst brauchen», sagte er. Die Ukraine habe trotz des Krieges in Rekordgeschwindigkeit den EU-Kandidatenstatus erhalten und nun auch die Voraussetzungen geschaffen für den Beginn der Verhandlungen über den Beitritt.

Von der Leyen will an diesem Mittwoch den EU-Fortschrittsbericht zur Ukraine vorlegen. Das Land habe viele Etappenziele auf dem Weg zu einem Beitritt zur Europäischen Union erreicht, sagte sie. Von der Leyen nannte die Reform des Justizsystems, die Eindämmung des Einflusses der Oligarchen und die Bekämpfung der Geldwäsche. Sie war am Samstagmorgen zu ihrem sechsten Besuch in dem Land seit Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022 eingetroffen.

Ukraine will Militärdienst reformieren

Inmitten des Verteidigungskriegs gegen Russland plant der ukrainische Verteidigungsminister Rusten Umjerow eine komplette Reform des Militärdienstes innerhalb der nächsten fünf Jahre. Nach dem am Sonntag veröffentlichten Konzept, das «eine strategische Vision für die Entwicklung der militärischen Personalpolitik» darstelle, sollen die ukrainische Streitkräfte künftig zu einem Vertrags-Militärdienst übergehen. Bei Rekrutierung und späterer Laufbahn der Soldaten soll deren vorherige Ausbildung berücksichtigt werden. Auch eine berufliche Gleichstellung der Geschlechter innerhalb der Streitkräfte werde angestrebt.

Nach Umjerows Vorstellungen sollte auch die Zusammenarbeit zwischen ukrainischen Hochschulen und ähnlichen Institutionen der EU- und Nato-Staaten verstärkt werden. Die angestrebte «neue Kultur der Beziehungen zwischen Befehlshabern und Untergebenen» deutet auf ein klares Abweichen von der bisherigen, noch aus Sowjetzeiten angewandten Praxis der starren Strukturen hin.

Ziel des Konzepts sei, den Personalbedarf der Streitkräfte zu decken. Daneben soll es der ukrainischen Armee möglich werden, «sich in den euro-atlantischen Sicherheitsraum zu integrieren und die Interoperabilität der ukrainischen Streitkräfte mit den Streitkräften der Nato-Mitgliedstaaten zu gewährleisten».

Selenskyj beklagt russische Lufthoheit

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Defizite in der Flugabwehr seines Landes sowie die Lufthoheit der russischen Streitkräfte beklagt. «Russland kontrolliert den Himmel», sagte er am Sonntag in einem Interview des US-Senders NBC. «Wir brauchen eine bessere Luftverteidigung», fügte Selenskyj hinzu. «Gebt uns die Mittel, uns mit Russland am Himmel zu messen», erneuerte er indirekt seine Forderung nach Kampfflugzeugen aus westlicher Produktion. Daneben benötige die Ukraine noch Drohnen und Waffen zur Abwehr von Drohnen.

Sobald am Himmel eine Art Gleichgewicht hergestellt sei, könnten die ukrainischen Bodenstreitkräfte vorrücken. «Wir können nicht einfach angreifen wie die russischen Streitkräfte», sagte der ukrainisches Präsident und verwies auf die russische Taktik, Soldaten ohne Rücksicht auf eigene Verluste in den Kampf zu werfen. «Wir brauchen unsere Soldaten.»

Selenskyj bekräftigte seine Position, dass es mit Russland aktuell keine Verhandlungen geben könne. «Es gibt keinen Dialog mit Terroristen», unterstrich er. «Ihr Wort ist nichts wert, sie wollen nur zerstören und töten.» Die Ukraine werde ihren Kampf gegen die Truppen von Kremlchef Wladimir Putin fortsetzen. «Wir sind nicht bereit, dem verdammten Terroristen Putin unsere Freiheit zu geben.»

Trauer um tote Soldaten in Ukraine – Präsident kündigt Aufklärung an

In der Ukraine sind bei einer umstrittenen Zeremonie im Frontgebiet nach offiziellen Angaben zahlreiche Soldaten durch einen russischen Angriff getötet worden. Die Soldaten nahmen demnach im Gebiet Saporischschja an einer Ehrung zum Tag der Artillerie teil, als dort russische Geschosse einschlugen. Das Internetportal «Ukrainska Prawda» berichtete von mehr als 20 Toten. Die Behörden in der Heimatregion der Soldaten im Gebiet Transkarpatien setzten am Sonntag eine dreitägige Trauer an.

Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach den Angehörigen der Soldaten der 128. Gebirgsjägerbrigade in seiner allabendlichen Videoansprache sein Beileid aus. «Dies ist eine Tragödie, die hätte vermieden werden können», sagte er. Inzwischen sei eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet worden, die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. «Das Wichtigste ist, die volle Wahrheit über den Vorfall herauszufinden und zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt.»

Der Chef der Militärverwaltung von Transkarpatien, Viktor Mykyta, teilte am Sonntag mit, die «Brüder» seien auf tragische Weise getötet worden. In den kommenden Tagen sollten Staatsflaggen auf halbmast gesenkt und morgens Schweigeminuten gehalten werden.

In sozialen Netzwerken gab es scharfe Kritik an der Militärführung, dass eine solche Zeremonie im Frontgebiet überhaupt zugelassen wurde. Die Verantwortlichen müssten bestraft werden, forderten Ukrainerinnen und Ukrainer in Kommentarspalten. Berichten zufolge hatten die Behörden und der Minister den Vorfall zudem erst bestätigt, nachdem die Informationen lange in sozialen Netzwerken und schließlich auch in den Medien kursiert waren.

Ukraines Luftwaffe trifft russisches Kriegsschiff in Werft auf Krim

Die ukrainischen Luftstreitkräfte haben nach eigenen Angaben ein neues russisches Kriegsschiff in einer Werft auf der von Moskau annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim zerstört. Der Kommandeur der Luftwaffe, Generalleutnant Mykola Oleschtschuk, teilte auf seinem Telegram-Kanal am Sonntag mit, dass der Treffer bestätigt sei. Zuvor hatte er ein Video veröffentlicht, das den Angriff auf die Werft im Küstenort Kertsch zeigen soll. Demnach war da noch nicht klar, ob das Schiff der russischen Kriegsmarine tatsächlich getroffen worden war. Auch russische Medien berichteten unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Moskau von dem Schlag.

Die Werft Saliw sei am Samstagabend mit Raketen beschossen worden, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf das Ministerium in Moskau. 13 von 15 Raketen seien von der russischen Flugabwehr abgefangen worden. Demnach bestätigte das Ministerium, dass auch ein Schiff beschädigt worden sei. Die Werft auf der von Russland schon 2014 unter Bruch des Völkerrechts annektierten Krim gilt als eine der größten in Osteuropa und ist mit Sanktionen des Westens belegt.

Nach Darstellung des ukrainischen Luftwaffen-Chefs Oleschtschuk sollte das zerstörte Kriegsschiff der russischen Schwarzmeerflotte für den Abschuss von Marschflugkörpern eingesetzt werden. Die russische Marine sei «skalpiert» worden, schrieb er unter Anspielung auf die von Frankreich gelieferten Marschflugkörper vom Typ Scalp. Die Ukraine hatte von Großbritannien und Frankreich die Marschflugkörper der praktisch identischen Typen Storm Shadow und Scalp erhalten.

Kommandeur der ukrainischen Luftwaffe, Generalleutnant Mykola Oleschtschuk (2.v.r.).
Kommandeur der ukrainischen Luftwaffe, Generalleutnant Mykola Oleschtschuk (2.v.r.).

Kiew: Weiter schwere Kämpfe um Awdijiwka in Ostukraine

Russische Truppen haben nach Angaben ukrainischer Militärs am Sonntag erneut mehrere Vorstöße in Richtung der ostukrainischen Stadt Awdijiwka unternommen. Dabei seien über 400 russische Soldaten getötet und zwölf gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden, teilte der für diesen Frontabschnitt zuständige Kommandeur Olexandr Tarnawskyj auf Telegram mit. Die russischen Angriffe, unterstützt von Kampfflugzeugen und Artillerie, seien abgeschlagen worden. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Die Ukraine wehrt seit über 20 Monaten eine russische Invasion ab. Nahe Awdijiwka verlief bereits seit 2014 die Frontlinie zu den von Moskau unterstützten Separatisten. Aktuell ist die stark zerstörte Stadt bereits von drei Seiten von russischen Truppen umgeben. Die russisch kontrollierte Gebietshauptstadt Donezk liegt nur wenige Kilometer südlich von Awdijiwka entfernt.

Selenskyj sieht keine Pattsituation im Krieg mit Russland

Präsident Selenskyj wies indes Befürchtungen von Armeeoberbefehlshaber Walerij Saluschnyj zurück, der Krieg könnte sich im jetzigen Stadium festfahren. «Heute sind die Leute müde, alle werden müde, und es gibt verschiedene Meinungen. Das ist klar, doch gibt es keine Pattsituation», sagte Selenskyj. General Saluschnyj hatte in einem Beitrag für die britische Zeitschrift «The Economist» erklärt, dass die Ukraine in einem Stellungskrieg gefangen sei.

Wegen der russischen Luftüberlegenheit seien die Ukrainer zurückhaltender beim Einsatz ihrer Soldaten, erklärte Selenskyj. Die im kommenden Jahr erwarteten F-16-Kampfjets und eine stärkere Flugabwehr würden die Situation zu ukrainischen Gunsten ändern.