Russlands Kriegswirtschaft überschreitet Zenit – auch weil die neuen US-Sanktionen besser wirken, sagen Osteuropa-Experten

Unter russischer Kontrolle: Kühltürme des Atomkraftwerks Saporischschja in der Ukraine.  - Copyright: picture alliance / abaca | Smoliyenko Dmytro/Ukrinform/ABACA
Unter russischer Kontrolle: Kühltürme des Atomkraftwerks Saporischschja in der Ukraine. - Copyright: picture alliance / abaca | Smoliyenko Dmytro/Ukrinform/ABACA

Russlands Wirtschaft dürfte in diesem Jahr noch einmal kräftiger wachsen, als bisher angenommen. Damit überschreite Putins Kriegswirtschaft aber ihren Zenit – auch weil die neuartigen Sanktionen der USA gegen Russland besser wirken. So lässt sich die Prognose des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) zusammenfassen. Auch die Wirtschaft der Ukraine wachse in diesem Jahr - wenn auch langsamer als erwartet.

Das WIIW ist auf die Wirtschaft Mittel- und Osteuropas spezialisiert. Die Ökonomen hoben ihre Prognose für Russland um 0,4 Prozentpunkte an und trauen der Wirtschaft in diesem Jahr 3,2 Prozent Wachstum zu. Dahinter stecken vor allem hohe Ausgaben für die Rüstungsindustrie, für Soldaten und ihre Familien. Für die Ukraine senkten die Experten ihre Prognose um 0,5 Prozentpunkte auf 2,7 Prozent Wachstum. Als Grund nannten sie vor allem die Schäden an der Stromversorgung durch russische Angriffe.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht in seiner Prognose auf dem April davon aus, dass beide Länder in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent erreichen können.

Russlands Kriegswirtschaft am Zenit, Sanktionen wirken

Die WIIW-Ökonomen sehen Russlands Kriegswirtschaft jetzt am Zenit, auch weil die neuartigen US-Sanktionen besser wirken. Sie bedrohen auch Firmen und Banken aus Drittstaaten wie China, wenn sie mit Russland Geschäfte machen. Zudem würden „der akute Arbeitskräftemangel und hohe Zinsen das Wachstum der russischen Wirtschaft in den kommenden Jahren auf rund 2,5 Prozent begrenzen.“ Der gravierende Mangel an Arbeitskräften durch den Fronteinsatz hunderttausender Männer und Emigration ins Ausland treibt die Löhne und den privaten Konsum", so das WIIW.

Rund ein Drittel der Staatsausgaben Russlands fließe aktuell in die Kriegswirtschaft. Diese Ausgaben entsprächen sechs Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes. Diese hohen Ausgaben kämen vielen Sektoren zugute. So profitiere die Bauwirtschaft stark vom Ausbau der Infrastruktur für das Militär, aber auch für Transport und Logistik Richtung der neuen Absatzmärkte in Asien.

Eine wichtige Rolle spielten auch die hohen Löhne für die Soldaten und Zahlungen an Kriegsversehrte und Hinterbliebene. „Das führt zu einer Umverteilung von oben nach unten, was leider auch die Sympathien für den Krieg in der Bevölkerung fördert“, sagt Vasily Astrov, Russland-Experte des WIIW.

Die neuartigen US-Sanktionen, die auch Banken in Drittstaaten wie China, der Türkei oder den Vereinigten Arabischen Emiraten bedrohen, die Russland bisher bei der Umgehung der Sanktionen geholfen haben, zeigten zunehmend Wirkung. So sanken Russlands Importe aus China im März und April bereits deutlich. „Vor allem bei Dual-Use-Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind – wie Mikrochips –, war der Einbruch dramatisch“, sagt Astrov. Er schränkt aber ein: „Letztlich werden sich auch hier wieder Wege finden, diese Sanktionen zu umgehen, allerdings verteuern und erschweren sie für Russland die Beschaffung der so wichtigen Hightech-Komponenten aus dem Westen.“

Ukraine leidet unter Angriffen auf Energieversorgung

Als größtes Risiken für die Ukraine sehen die Ökonomen die politische Unsicherheit vor den Wahlen in den USA und Frankreich. Die Ukraine sei angesichts eines Budgetdefizits von 18 Prozent des BIP nicht nur auf Waffen sondern auch auf ausländische Finanzhilfen angewiesen. „Wirtschaftlich haben sich die Aussichten für die Ukraine ohnehin eingetrübt“, urteilen die Ökonomen.

Im ersten Quartal 2024 sei die Wirtschaft der Ukraine vor allem durch den wieder offenen Exportweg über das Schwarze Meer um solide 4,5 Prozent gewachsen. Seither führe die systematische Zerstörung der Energieversorgung durch russische Raketen aber zu regelmäßigen Stromabschaltungen im ganzen Land. „Mittlerweile wurde bereits die Hälfte der ukrainischen Energieinfrastruktur bei russischen
Raketenangriffen zerstört, und die Zerstörungen gehen weiter", sagte Olga Pindyuk, die Ukraine-Expertin des WIIW. „Ohne Strom wird sich die ukrainische Wirtschaft aber nur schwer erholen können. Umso wichtiger sind daher ausreichende Lieferungen von westlichen Flugabwehrraketen“, sagte Pindyuk.