Verramscht die Ampel die deutsche Staatsbürgerschaft?

Aufregung über eine Gesetzesinformation auf Arabisch – für alle, die sich aufregen wollen

Das waren noch Unionszeiten: Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2009 mit einer indischen Familie in Berlin, welche die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat (Bild: REUTERS/Michael Dalder)
Das waren noch Unionszeiten: Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2009 mit einer indischen Familie in Berlin, welche die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat. (Bild: REUTERS/Michael Dalder)

Holzauge, sei wachsam – dieses Motto beherzigen Innenpolitiker gern, wenn sie ihre Wähler im Blick haben. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der ein Teil der Deutschen mit Plänen rund um eine "Remigration" durchaus etwas anfangen kann – auch wenn es im Vergleich zur Gesamtgesellschaft eine eher kleine Gruppe ist, die für das Land die Uhren zurückdrehen will.

Es gibt nur ein Problem. Um Deutschland wirklich in den homoethnischen Zustand zurück zu verwandeln, den sich diese Leute vorstellen, müsste man schon arg den Zeiger kurbeln, und zwar bis in die Fünfziger des vorigen Jahrhunderts. Da begann nämlich in Westdeutschland die Einwanderung vieler "Gastarbeiter", die dann doch blieben. Und die man nie richtig integrieren wollte, ihnen den Pass verweigerte. Das hat sich langsam geändert.

Und die regierende Ampel-Koalition hat diesen Reformschritten einen vorläufigen Abschluss verpasst, indem sie ein Gesetz im Bundestag verabschieden ließ. Das neue Staatsbürgerschaftsgesetz sieht vor: Wie bisher sollen ab Ende Juni nur jene Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, welche den Lebensunterhalt für sich und unterhaltsberechtigte Familienangehörige aus eigenen Mitteln bestreiten können. Aus dem Ausland nach Deutschland Gezogene, die schon lange legal hier leben, sollen sich jedoch bereits nach fünf Jahren um den deutschen Pass bewerben können. Bislang beträgt die Frist im Regelfall acht Jahre. Und bei "besonderen Integrationsleistungen" soll eine Einbürgerung künftig sogar schon nach drei Jahren möglich sein.

Wo ist sie denn jetzt, die Aufregung?

Dieses Gesetz stellt eine Normalisierung dar. Es ist der logische Schritt weg von einem Blutrecht, wie es in Deutschlands Nachbarländern schon lange nicht mehr praktiziert wird. Wer hier lebt, hier seinen Mittelpunkt hat, Steuern zahlt, sollte dann doch auch Staatsbürger sein, nicht wahr? Wer das anders sieht, sieht in der Staatsbürgerschaft etwas, das ich nicht erkennen kann; dabei geht es nicht darum, Herkünfte und Biografien zu verbergen. Es geht darum, dass in einer Gesellschaft so viele Menschen wie möglich an einem Strang ziehen können sollten – und dafür braucht es gerechte Startbedingungen.

Und doch gibt es gerade Aufregung. Warum? Weil ein Tweet der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung aufgetaucht ist, und zwar auf der der X-Seite des regionalen Deutschlandzentrums in Kairo, welches zum Auswärtigen Amt gehört. Der informiert über das neue Gesetz auf Arabisch, wörtlich steht dort:

"Viele warteten über Jahre und Jahrzehnte. Und nun ist diese Angelegenheit Gesetz geworden. Das neue Staatsbürgerschaftsgesetz wird ab dem 26. Juni 2024 für jeden Anwendung finden, der Deutscher werden will." Und etwas blümerant und jubelnd noch eine Überzeile: "Viele haben lange gewartet, und nun ist es endlich da" – dazu zwei deutsche Reisepässe vor einer Fahne in Schwarz, Rot und Gold.

Eigentlich ganz normal. Die Bundesregierung informiert mit Genugtuung über ein Gesetz, dass sie selbst vorangebracht hat. Es ist ja nichts, was versteckt werden sollte. Oder doch?

Die "Bild"-Zeitung hat Empörungspotenzial ausgemacht und sich die entsprechenden Stimmen aus der Opposition, namentlich von CDU und CSU, abgeholt.

"Das Ampel-Staatsbürgerschaftsrecht ist ein weiterer Pull-Faktor für die illegale Einwanderung", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der "Bild". Der Tweet sei "aktive Werbung der Ampel in der arabischen Welt für die doppelte Staatsbürgerschaft". Das werde die illegale Einwanderung zusätzlich befördern.Und Hessens Minister für Internationales, Manfred Pentz (CDU): "Wer diese Kanäle aber dazu nutzt, um den deutschen Pass wie Ramschware anzubieten, der hat nichts aus den vergangenen Flüchtlingskrisen gelernt." Dann noch der CDU-Landeschef in Baden-Württemberg, Manuel Hagel: "Man kann nicht alle, die Deutsche werden wollen, aktiv nach Deutschland einladen." Der Pass müsse am Ende einer gelungenen Integration stehen – er dürfe "kein Mittel sein, um Ausländer mit vagen Versprechungen nach Deutschland zu locken".

Was erlauben Dobrindt?

Diese drei haben einiges nicht verstanden. Den Menschen, die nicht auf eine Familiengeschichte mit zehn Generationen in Deutschland zurückblicken, ist durchaus bekannt, was Leuten in Deutschland vorenthalten wurde. Dieser Tweet richtet sich an jene, die sich überlegen: Soll ich mir eine Zukunft in Deutschland zu bauen versuchen, oder in Frankreich oder Großbritannien? Und er richtet sich auch an die "Ausländer" in Deutschland und klärt sie auf.

Stattdessen packt Dobrindt das Märchen von den "Pull-Faktoren" aus. Meint er allen Ernstes, jemand, der aus seinen Verhältnissen flüchtet, macht sich Gedanken über das Staatsbürgerschaftsrecht in Europa? Er denkt an Europa. Das entsprechende Gesetz spielt keine Rolle. Es werden auch keine vagen Versprechungen gegeben, sondern nur faktische Infos online gestellt. Keine illegale Einwanderung kann dadurch gefördert werden. Was die Unionspolitiker in Wirklichkeit damit meinen, verpacken sie im Wort "Ramschware": Sie blasen dem Pass einen Wert ein, den er nicht hat. Natürlich steht er am Ende einer erfolgreichen Integration, daran ändert sich nichts. Dobrindt, Pentz und Hagel tun so, als wäre Deutschland ein zu verteidigendes Paradies.

Aber das ist es nicht. Das Land braucht tatsächlich Einwanderung, und diese Info auf Arabisch richtet sich an genau jene Fachkräfte, die man hier sucht. Dieses Trio betreibt Integrationspolitik wie damals, als man die "Gastarbeiter" holte: Man brauchte sie, aber sie sollten bloß nicht den Mund aufmachen und nicht weiter auffallen. Doch echte Inklusion geht kaum ohne Veränderung, solch ein Zusammenleben wäre die Quadratur des Kreises. Entweder akzeptiert man diese Fakten – oder entscheidet sich für den Weg der AfD, der abseits von seiner Unmenschlichkeit auch rein praktisch gesehen zu keinerlei Mehrwert für das Land führt. Gewisse Reflexe also könnte man sich in der Zukunft sparen.