Von wegen alles wird neu: Europas Versagen bleibt

Flüchtlinge auf einem beschädigten Schlauchboot vor der Küste Lybiens (Bild: AP Photo/Santi Palacios File)
Flüchtlinge auf einem beschädigten Schlauchboot vor der Küste Lybiens (Bild: AP Photo/Santi Palacios File)


Trump und AfD: Vieles wird neu. Doch die alten Probleme lösen sich dadurch nicht. Das zeigt der vergangene Tag am Mittelmeer.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Alle reden jetzt von Donald Trump. Oder über den neuen Bundespräsidenten. Oder da ist die unsichere Rente, die Gefahr der Inflation und einer neuen Grippe-Welle im Winter.

Wir sind besorgt. Die Zeiten ändern sich, heißt es. „Das Ende des Westens“ titelt der „Spiegel“, und der will es ja immer wissen. Wir sind aufgeregt. Doch ändert sich tatsächlich so viel? Meiner Meinung nach gibt es viel mehr Beharrungskräfte auf unserem Kontinent, als man in diesen Tagen denkt.

Vieles ändert sich nämlich nicht, nur schafft das es nicht in die Schlagzeilen. Da ist der vergangene Tag, an dem hat die italienische Marine im Mittelmeer in mehreren Einsätzen 550 Menschen gerettet – alles Geflüchtete aus verschiedenen Ländern, in Schlauchbooten und mit Verzweiflung und Mut im Gepäck von der libyschen Küste gestartet. Für fünf von ihnen kam die Hilfe zu späte, sie starben.

Eine Meldung, die, man verzeihe dieses Bild, untergeht. Auch, weil sie wirkt wie in der Dauerschleife. War da was in den vergangenen Jahren? Noch immer flüchten Viele – und noch immer hat Europa keine Antwort darauf gefunden. Die Toten vom Mittelmeer sind unsere Toten.

Über den Zaun geschaut

Es sind auch die Toten von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban und von Österreichs Außenminister Sebastian Kurz. Sie stehen stellvertretend für jene Politik, die Menschen die gefährliche Überfahrt antreten lässt: Seit Jahren versuchen Fliehende ihr Heil in der Route übers Mittelmeer, seit Jahren sterben dabei viele. Im vergangenen Jahr dann kam es zur Landroute über Griechenland, den Balkan – hin zum Budapester Hauptbahnhof, dem skandalösen Versagen der dortigen Behörden, der mutigen Grenzöffnung durch Kanzlerin Angela Merkel und wieder zur Zaunpolitik von Orban und Kurz.

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Die Toten von gestern zeigen, wir kurz gedacht diese Politik ist. Sie wird nämlich die Probleme nicht lösen. Abschottung bietet keine Perspektiven, weder für Fliehende noch für die Länder, zu denen sie wollen.

Flüchtlinge in Serbien auf dem Weg zur kroatischen Grenze (Bild: dpa)
Flüchtlinge in Serbien auf dem Weg zur kroatischen Grenze (Bild: dpa)

Sollen wir denn alle aufnehmen?, lautet da die Frage. Nun, sie stellt sich eigentlich nicht. Das deutsche Abendland ist ja auch nicht untergegangen, seit September 2015, trotz verzweifelter Unkenrufe.

Man könnte damit anfangen, das Sterben auf dem Meer besser zu bekämpfen. Griechenland und Italien nicht im Stich zu lassen. Es ist wie bei einer Reset-Taste: Europa schaut weg wie immer. Die so genannten Hotspot-Lager sind überlastet, die Organisation ist chaotisch, die Bearbeitung der Asylanträge ein schlechter Witz.

Ein nicht besserer ist das im September 2015 beschlossene „Relocation“-Programm der EU. 160.000 Geflüchtete sollten von Griechenland und Italien kommend auf die einzelnen EU-Länder verteilt werden, das ist ein beschämend kleines Ziel, das sich die EU steckte – und 6601 sind bis heute aufgenommen worden, nicht einmal vier Prozent. Auch Deutschland könnte mehr tun: Nur 216 Menschen reisten legal auf diese Weise ein, das liegt deutlich unter dem EU-Schnitt. Seit September 2016 stellt die Bundesregierung zwar monatlich 500 Plätze bereit, aber selbst unter diesen Voraussetzungen dauert es noch mehr als vier Jahre, bis die zugesagten 27.300 Flüchtlinge über das „Relocation“-Programm angekommen sind.

Europa braucht eine Richtung

Wir haben den Platz. Ungarn und Polen haben auch den Platz, aber deren rechtspopulistische Regierungen üben sich lieber in Panikmache; das ist unpatriotisch, bringt aber Unterstützung durch generierte Angst: ein geniales Machterhaltungssystem. Nur eine Lösung hat es nicht parat, suchen Rechtspopulisten ja auch nicht. Fürs Aufräumen sind immer die anderen zuständig.

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Also in die Hände gespuckt: Viele Lager in Deutschland sind wieder leer, mit Ausnahme Berlins, wo es die Behörden einfach nicht auf die Reihe kriegen. Es ist Zeit für eine weitere Geste, um Europa den Weg zu einer neuen Einheit zu zeigen. Die Leute sollen kommen. Irgendwann werden die Wähler aufwachen und fragen, wer die Antworten liefert – und wer nicht. Welche Gefahren real sind – und welche nicht. Und dann erhalten die Verweigerer von Rechtspop ihre Quittung an der Wahlurne. Europas Zeit wird kommen.

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