Weltpremiere aus dem Emsland - Erstes Klima-Kerosin in Deutschland hergestellt, doch die Lufthansa winkt ab

Eine Boeing 747-800 der Lufthansa nach dem Start am Flughafen von Frankfurt am Main (Archivbild)<span class="copyright">Ken Ringer / Getty Images</span>
Eine Boeing 747-800 der Lufthansa nach dem Start am Flughafen von Frankfurt am Main (Archivbild)Ken Ringer / Getty Images

Im Emsland liefert die weltweit erste Anlage CO2-neutrales Kerosin aus Strom. Öffentlichkeitswirksam war die deutsche Lufthansa vor drei Jahren in das Projekt eingestiegen - doch kaufen will sie das Klima-Kerosin jetzt doch nicht.

Es war ein Bild, das den Aufbruch in eine klimafreundliche Zukunft symbolisieren sollte. Unter anderem zusammen mit der damaligen Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) schnitt Lufthansa-Cargo-Chefin Dorothea von Boxberg im Oktober 2021 ein rotes Band im niedersächsischen Werlte durch. Dort, im nordöstlichen Emsland, hatte die Klimaschutzorganisation Atmosfair eine Pilotanlage zur Produktion von CO2-neutralem Flugtreibstoff eingeweiht.

Der Treibstoff sollte aus Strom, Wasser und CO2 bestehen – E-Fuels fürs Flugzeug sozusagen. Eine potenzielle Wunder-Technologie für eine Branche, die dringend klimafreundlicher werden muss, alleine schon um immer strengere EU-Vorgaben zu erfüllen. Wenig überraschend also, dass die Lufthansa großes Interesse an dem Klima-Kerosin made in Germany zeigte, als „Partner und Pilotkunde“ sagte die Airline die Abnahme von mindestens 25.000 Litern Treibstoff pro Jahr zu. Das Kerosin sollte an die Fracht-Tochter Lufthansa Cargo sowie das Partnerunternehmen Kühne + Nagel gehen. Dass man jetzt gemeinsam „Pionierarbeit“ bei dieser wichtigen Technologie leiste, „macht uns besonders stolz“, sagte von Boxberg damals, „und zeigt einmal mehr, dass wir unsere Herausforderungen im Klimaschutz aktiv angehen.“

Meilenstein ohne Käufer

Die damalige Umweltministerin Schulze ist mittlerweile Entwicklungsministerin, und auch Lufthansa-Managerin Boxberg hat einen neuen Job angenommen – sie ist jetzt Chefin der belgischen Konzerntochter Brussels Airlines. Im Emsland hingegen hat man eifrig am Klima-Kerosin weitergetüftelt, und das mit Erfolg. Am Freitag gab Betreiber Atmosfair einen echten Meilenstein bekannt, die ersten fünf Tonnen Sprit seien produziert. „Wir können jetzt zeigen, dass das Verfahren für strom-basiertes Kerosin funktioniert und beinahe 100 Prozent CO2 einspart“, sagte Geschäftsführer Dietrich Brockhagen.

Das einzige Problem? Der ehemalige „Pilotkunde“ Lufthansa will von dem grünen Kraftstoff nichts mehr wissen. In der Mitteilung von Atmosfair kommt der deutsche Airline-Riese gar nicht vor, als Abnehmer werden dafür die beiden Münchner Reiseunternehmen Hauser Exkursionen und Neue Wege Reisen genannt. Sie wollen ab dem Herbst das Klimakerosin mit einem Anteil von 0,1 Prozent den Flügen ihrer Kundinnen und Kunden beimischen. Lobenswert, aber ein großer Wurf für die Branche ist das natürlich nicht.

Die Lufthansa hingegen ist vorerst raus, das bestätigt auch das Unternehmen selbst. „Insbesondere aufgrund von Preissteigerungen – unter anderem durch stark gestiegene Strompreise – hat sich die Lufthansa Group zum jetzigen Zeitpunkt gegen eine Abnahme aus der Produktionsanlage in Werlte entschieden“, sagte ein Konzernsprecher zur „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

„Wir bräuchten jetzt die Nachfrage“

Der Traum vom klimaneutralen Fliegen ist Deutschlands führender Airline noch zu teuer. Für die Produktionsanlage im Emsland ist das ein herber Rückschlag. Tatsächlich ist das Verfahren – wie auch bei der Produktion von E-Fuels fürs Auto – enorm stromintensiv. Für die Herstellung des Treibstoffs muss Atmosfair nach eigenen Angaben fünfmal so viel Energie aus Wind und Sonne aufwenden, wie schlussendlich im Kerosin enthalten ist. Der russische Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022, der für eine vorübergehende Explosion der Strompreise sorgte, war da natürlich schlechtes Timing.

Doch Alternativen gibt es kaum. Die Entwicklung von Batterien für elektrisch angetriebene Flugzeuge nimmt Fahrt auf, ist aber von einer Marktfähigkeit noch mindestens ein Jahrzehnt entfernt. Die Branche setzt derzeit besonders auf alternatives Kerosin aus fetthaltigen Pflanzen und Speiseresten – von diesen gibt es aber schlichtweg nicht genug, um den gesamten Flugverkehr klimafreundlich zu gestalten. Klima-Kerosin aus Strom ist im Vergleich dazu deutlich teurer, räumt auch Atmosfair ein. Dennoch, sagt Geschäftsführer Brockhagen, sollten die Airlines jetzt zu investieren beginnen. „Für die Skalierung von strom-basiertem Kerosin bräuchten wir jetzt die Nachfrage der Airlines selbst“, sagt Brockhagen. „Die Fluggesellschaften müssen sich im eigenen Interesse jetzt selbst engagieren, wenn sie ihr Businessmodell erhalten wollen.“

Brutale Kämpfe drohen

Denn der Branche steht ein brutaler Verteilungskampf bevor. Ab 2025 muss der Treibstoff von Flügen aus der EU zu zwei Prozent aus sogenannten „Sustainable Aviation Fuels“ (SAF), also nachhaltigen Kraftstoffen bestehen. Bis 2030 soll dieser Anteil auf sechs Prozent steigen, bis 2040 auf 34 Prozent.

Wo diese SAF-Mengen herkommen sollen, weiß aber noch niemand so recht. Der Aufbau der nötigen Infrastruktur steckt noch in den Kinderschuhen, auch weil Airlines – wie eben die Lufthansa – aus Kostengründen zu kurzfristigen Rückziehern neigen. Nicht wenige Beobachter vermuten, die Branche setzt einfach darauf, dass die EU die ehrgeizigen Ziele wieder einkassieren wird, falls der Fortschritt nicht so schnell verläuft wie politisch erhofft. Man dürfe „nicht weiter auf die Politik verweisen“, warnt Brockhagen.

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Ein bemerkenswerter Satz

Ohnehin ist den Kerosin-Experten aus dem Emsland der Ärger anzumerken. Es sei zwar gut und wichtig, dass mittelständische Reiseunternehmen jetzt schon Verantwortung übernehmen, lobte der bekannte Klimaexperte Mojib Latif, Schirmherr von Atmosfair. Aber, fügt Latif hinzu: „Auch die Airlines müssen jetzt ihren Teil des Risikos übernehmen und die Abnahme von relevanten Mengen zusichern. Nur so besteht eine realistische Chance, dass im Wettlauf mit der Zeit und bei knappen Stromressourcen zumindest ein Teil des Flugverkehrs klimaverträglich wird.“

Und dann steht in der Mitteilung von Atmosfair noch ein Satz, der bemerkenswert ist für ein Unternehmen, das gerne zum Zulieferer der Flugbranche werden würde. Die Branche solle „aufhören zu suggerieren, dass klimafreundliches Fliegen in den heutigen Dimensionen machbar ist“, heißt es in der Mitteilung vom Freitag. „Für die nächsten Jahrzehnte kann nur ein Bruchteil des heutigen Flugverkehrs abgedeckt werden. Deshalb bleibt weniger fliegen die wichtigste Klimaschutzmaßnahme.“