Wie verändert Terror unser Leben?

Wie berechtigt oder unberechtigt die Angst vor Terroranschlägen in Deutschland aus rein statistischer Sicht auch sein mag – sie macht etwas mit den Menschen. Was wird sich dadurch langfristig für unsere Gesellschaft verändern?

Auf einmal ist da die Erleichterung: Zum Glück fahre ich mit dem Auto nach Berlin und muss nicht zum Flughafen. Plötzlich ist da der Gedanke: Soll ich heute wirklich auf das Konzert meiner Lieblings-Band gehen? Und manchmal ist da die Gewissheit: Die Wahrscheinlichkeit, an einem Blitzschlag zu sterben, ist in Europa immer noch höher als bei einem Terroranschlag. Mache ich mich verrückt, wenn ein Gewitter aufzieht? Eben. Und trotzdem…

„Sich vom Terror nicht beeinflussen zu lassen, wird nicht möglich sein“, sagt Diplom-Sozialpädagoge und Supervisor Peter Zehentner vom Traumahilfezentrum München zu „Yahoo! Deutschland“. „Alleine, sich dazu zu entscheiden, sich nicht beeinflussen zu lassen, ist ja bereits eine Beeinflussung.“ Diese Thematik grundsätzlich zu verdrängen, widerspreche dem zentralen Grundbedürfnis, überleben zu wollen.

“Manchmal vergisst man die die Angst”

Die Journalistin und Schriftstellerin Lena Gorelik erklärt die Präsenz der Terroranschläge in den deutschen Köpfen im Interview mit „Yahoo! Deutschland“ so: „Die Berichterstattung ist so ausführlich, dass man das Gefühl bekommt, dass die Gefahr größer ist als sie es tatsächlich ist.“

Die 35-Jährige hat einige Jahre in Israel gelebt – und weiß, wie es ist, wenn Terror den Alltag bestimmt. „Es ist wie eine Schnittwunde, mit einem Pflaster überdeckt. Man wird einfach immer wieder daran erinnert: Durch die Soldaten mit ihren Maschinengewehren, die ständigen Kontrollen, Gespräche, Nachrichten…“ Dass man die Terrorgefahr in Deutschland nicht mit der in Israel vergleichen kann, ist klar. Und dennoch sind es Antworten von Betroffenen, Erfahrungen von Menschen, die sich schon lange mit der Thematik befassen, die uns aufzeigen, dass ein Leben mit der Bedrohung möglich ist, egal wie akut und groß sie tatsächlich sein mag.

„Man lässt sich seine Falafel dennoch schmecken“, so Lena Gorelik. „Es gibt so Momente, in denen das Leben übernimmt. Beispielsweise sitzt man im Bus und führt ein Telefonat, muss etwas lesen oder ist Teil einer Unterhaltung. Dann merkt man plötzlich, dass man die Angst vergessen hat.“

Vergessen – das scheint hierzulande derzeit kaum möglich. Zu laut die Diskussionen um eine bessere Zusammenarbeit der internationalen Behörden. Zu viele Talkshows, die sich der Thematik Terror widmen. Doch was ist in Deutschland anders geworden nach Paris und Brüssel - ganz konkret? Ein Blick in die sozialen Netzwerke und auf öffentliche Plätze zeigt: Die Anteilnahme, die Solidarität mit den Opfern und Angehörigen ist enorm. Vielleicht hat sich die Gesellschaft in diesem Sinne bereits verändert?

“Wir stehen nicht ohnmächtig daneben”

„Eines der schlimmsten Dinge, die uns Menschen passieren kann, ist die Handlungsunfähigkeit“, so Peter Zehentner. „Die passt ganz einfach nicht zu dem Bild, das wir selbst von uns haben.“ Sich solidarisch zu zeigen und Anteil zu nehmen an dem Leid der Menschen, die von Terroranschlägen direkt betroffen sind, gebe uns das Gefühl, etwas tun zu können – und nicht ohnmächtig daneben zu stehen. „Wir können handeln, fühlen uns in einer positiven Gemeinschaft aufgehoben und tun etwas Sinnvolles.“

Seit der Terror näher an Deutschland herangerückt ist, sind wir vorsichtiger und aufmerksamer geworden. Das ist grundsätzlich nichts Schlechtes. Doch: „Es geht darum, uns selbst zu beobachten und zu überprüfen, was uns und unser Handeln bestimmt“, so Peter Zehentner. „In England gilt die Devise, dass der Terror dann gewonnen hat, wenn wir unser Leben nicht so leben wie wir das für uns, für unsere Gesellschaft entschieden haben.“

Dazu führe zwangsläufig auch der Selbstschutz, sich an eine neue Gefahr zu gewöhnen, um sich nicht ständig in einem Angstzustand zu befinden, meint Lena Gorelik. „Das bedeutet, dass man nicht an die Rate von Autounfällen denken darf, sonst würde sich niemand mehr ins Auto setzen.“

(Text und Interviews: Hannah Klaiber / Bilder: ddp images)