Anne Will: Merkel, die "Spezialistin fürs Ungefähre"

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Nein, es sieht gerade nicht rosig aus für Angela Merkel. In Mecklenburg-Vorpommern erlebte die CDU ein Wahldebakel, fiel zurück hinter die AfD. Von der CSU hagelt es immer wieder schärfste Kritik am Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik. Doch die lässt sich nicht beirren, unterstrich erst kürzlich ihren Ausspruch “Wir schaffen das“ und gab die Parole “Deutschland wird Deutschland bleiben” zu Protokoll. Genau diesen Satz griff Will als Thema ihrer ersten Sendung nach der Sommerpause auf – versehen mit einem großen Fragezeichen: “Aber auch mit dieser Kanzlerin?”

Doch am Ende ging die Debatte weniger um Merkel, sondern verlor sich in einer Diskussion um die “Flüchtlingsskrise” – Burka-Verbot, doppelte Staatsbürgerschaft und den ewigen Streit über eine Obergrenze inklusive.

Als Streithähne im Wahlkampfmodus taten sich dabei vor allem Ralf Stegner, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, und Dauer-Talkshow-Gast Markus Söder (CSU) hervor. “Politik muss das Beste hoffen, aber auf das Schlechteste vorbereitet sein. Wir haben bereits jetzt in vielen Städten in Deutschland Zustände wie in den Pariser Banlieues”, ereiferte sich der bayerische Fianz- und Heimatminister Söder. “Es gibt viele Städte in Deutschland, wo die Bürger nicht mehr den Eindruck haben, dass Deutschland noch Deutschland ist.”

Verbot von Karnevalkostümen?

Genau jene Angstmacherei treibe die Bürger in die Arme der AfD, glaubt hingegen Stegner. Die CSU wolle ihre „Leitkultur“ mit Bedrohungsszenarien durchsetzen. Er kritisiere die Kanzlerin lieber von links statt rechts wie die CSU. “Der Erfolg der AfD ist ein Produkt ihrer Arbeit, Herr Söder.“

Etwas absurd mutet dann Stegners Vermengung vom immer wieder geforderten Burka-Verbot mit dem Karneval an. Damit hofft er wohl, auch einen wunden Punkt bei Kostüm-Fan Söder zu treffe. Doch dass ein Burka-Verbot natürlich nichts mit einem Verkleidungsverbot zu tun haben muss, zeigt nicht zuletzt das Beispiel Frankreich. Dort ist das Tragen von Burkas verboten, Karnevalskostüme weiter gestattet.

Kommentar: Das Trugschloss aus Bayern

“Wenn die Obergrenze käme und wenn sie dann umgesetzt würde, dann wären wir auf einem sehr guten Kurs", ist Söders Credo. Die CSU fordert die Obergrenze von maximal 200.000 Flüchtlingen pro Jahr. Doch wäre das wirklich eine Lösung? Stegner spricht sich bei Will erst deutlich dagegen aus: “Wir sind nicht für Obergrenzen.” Oder doch nicht ganz so deutlich? Denn kurze Zeit später wiegelt er ab. Es gäbe zwar keine Obergrenze an Humanität, jedoch eine Belastungsgrenze. “Natürlich gibt es eine Begrenzung dafür, was wir schaffen können.”

“Der Bürger ist kein Diener”

Die Frage, ob Deutschland Deutschland bleiben wird und was das eigentlich bedeutet, was Merkel uns damit wohl sagen will, das wurde weitgehend ausgeklammert. Auch Anne Will gelingt es nicht, die Debatte auf die Ausgangsfrage auszurichten. Stattdessen lässt sie Söder zu viel Raum, der in der Runde gegen alles und jeden wettert.

Einzig der Politologe Wolfgang Merkel – nebenbei erwähnt nicht verwandt mit der Kanzlerin – äußerte sich klar zum schwammigen Satz seiner Namensvetterin: „Deutschland bleibt Deutschland – das ist banal. Natürlich werden wir nicht Frankreich oder Afghanistan.“ Die Kanzlerin sei „eine Spezialistin fürs Ungefähre, Diffuse. Wenn 82 Prozent der Bürger sagen, sie seien mit der Flüchtlingspolitik nicht zufrieden, kann man nicht nur sagen, wir werden die schon noch überzeugen. Das ist arrogant.“ Doch auch gegen Söder und seine CSU teilt er aus: In einem Fünf-Punkte-Plan fordern die eine Bevorzugung von Flüchtlingen aus dem “christlich-abendländischen Kulturkreis”. Das, so Merkel, sei “religiös-ethische Selektion” und damit “hart an der Rassismus-Frage”.

Wohltuend ist der Auftritt von Jagoda Marinić, Tochter kroatischer Eltern, in Deutschland geboren. Kürzlich erschien ihr Buch „Made in Germany“, in dem sie die Probleme der Einwanderer aus drei Generationen in Deutschland aufgreift. Positive Aspekte, etwa all die ungezählten erfolgreichen Beispiele von Integration, kämen oft viel zu kurz. Doch: “Wie wollen Sie die Menschen mitnehmen, wenn sie nur über Ängste reden?”, fragte Marinić den polternden Söder direkt und wehrte sich mit eindrucksvollen Worten gegen das Argument der CSU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Die behauptet, ein Mensch könne nicht zwei Staaten “dienen”. Doch: “Der Bürger ist kein Diener”, erinnert Marinić Söder. "Die Diener sind Sie da oben.”

Foto: Will Media GmbH/Denise Langenhan

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