Bundesregierung verzichtet auf Kauf - Kritische Infrastruktur in ausländischer Hand: Wem das deutsche Stromnetz gehört

Windräder und Hochspannungsleitungen.<span class="copyright">Henning Kaiser/dpa</span>
Windräder und Hochspannungsleitungen.Henning Kaiser/dpa

Eigentlich wollte die Bundesregierung dem niederländischen Konzern TenneT dessen Teil des deutschen Stromnetzes abkaufen, doch dafür fehlt jetzt das Geld. So bleibt die kritische Infrastruktur zu einem großen Teil in ausländischer Hand.

Wem gehört das deutsche Stromnetz?

Fast zwei Millionen Kilometer Stromleitungen durchziehen Deutschland und sorgen dafür, dass jede Stadt, jeder Haushalt, jede Fabrik und jedes Bürogebäude mit Energie versorgt wird. 99 Prozent davon befinden sich im Verteilnetz, in dem Strom regional eben an einzelne Abnehmer verteilt wird. Wichtig für die Energiewende sind die restlichen rund 37.700 Kilometer des Höchstspannungsnetzes, über das Strom über große Distanzen aus dem Ausland oder innerhalb Deutschlands geschickt wird. Das sind die trivial so genannten „Stromautobahnen“.

Das gesamte Stromnetz ist in vier Bereiche unterteilt, die jeweils einem der vier Stromnetzbetreiber des Landes gehören. Der gesamte Ostteil des Landes, also die neuen Bundesländer, ist in der Hand von 50Hertz. Der Westen, dazu gehören Teile Niedersachsens, der Großteil Nordrhein-Westfalens, Rheinland-Pfalz, das Saarland sowie Teile von Hessen und Baden-Württemberg, wird von Amprion betrieben. Im Südwesten ist TransnetBW der Besitzer des Stromnetzes und ein dicker Mittelstreifen von Schleswig-Holstein und der gesamten Nordseeküste bis einschließlich Bayern ist im Besitz von TenneT TSO.

Wer steckt hinter diesen vier Netzbetreibern?

Außer in Artikeln wie diesem über das Stromnetz liest man selten von Amprion, TenneT, 50Hertz und TransnetBW – daher hier eine kurze Beschreibung zu allen vieren:

  • Amprion ist ein Unternehmen aus Dortmund. Es entstand 2003 als eine Abteilung des Stromriesen RWE, seit 2009 ist es als Amprion ein eigenständiger Konzern. Bis 2011 gehörte die Firma noch komplett RWE, seitdem wurden Anteile verkauft. 74,9 Prozent von Amprion gehören seitdem einem Infrastrukturfonds der Commerz Real AG, welche wiederum eine Tochterfirma der Commerzbank ist. Der Fonds wiederum hat Anteile an Investoren weiterverkauft, so dass Teile Amprions im Besitz von Versicherungen wie der Münchner Rück, SwissLife und Talanx sind. Außerdem beteiligen sich ärztliche Versorgungswerke, Pensionskassen und kirchliche Versorgungswerke an dem Konzern. RWE hält weiterhin einen Minderheitenanteil von 25,1 Prozent.

  • 50Hertz ist ein privates Unternehmen mit Sitz in Berlin. Es wurde 2002 aus der VEAG AG ausgegründet, die sich als Energieversorger damals auflöste, und direkt an den schwedischen Energieriesen Vattenfall verkauft. Vattenfall trennte sich 2008 von dem Übertragungsnetz und gliederte 50Hertz unter diesem Namen als eigenständiges Unternehmen aus. Besitzer ist seitdem eine Kapitalgesellschaft namens Eurogrid International. Die wiederum gehört zu 60 Prozent dem belgischen Netzbetreiber Elia System Operator und zu 40 Prozent Industry Funds Management, einem Infrastrukturfonds aus Australien. Dieser ist im Besitz australischer Rentenversicherer. Der IFM verkaufte 2018 seinen Anteil komplett an Elia, wobei die Belgier einen 20-Prozent-Anteil an die Förderbank KfW weiterverkauften, so dass hier die Bundesregierung nun beteiligt ist.

  • TransnetBW ist eine ehemalige Tochter des Energieversorgers EnBW Energie in Baden-Württemberg. Zwar ist der Netzbetreiber mittlerweile vollständig ausgegliedert, EnBW besitzt aber immer noch die Mehrheit der Anteile. Verkauft wurden bisher zwei Pakete á 24,95 Prozent an die Südwest Konsortium Holding, in der Sparkassen, Banken und Versicherungen aus Baden-Württemberg zusammengeschlossen sind, und die Bundesregierung, die vergangenes Jahr einen Anteil kaufte.

  • TenneT TSO ist die ehemalige Tochtergesellschaft des Energieriesen E.ON mit Sitz in Bayreuth. 2010 verkaufte E.ON das Unternehmen an den niederländischen Netzbetreiber TenneT. Der wiederum ist vollständig im Besitz des niederländischen Staates.

Warum wurden alle Netzbetreiber um 2010 herum verkauft?

Aufmerksamen Lesern ist aufgefallen, dass die deutschen Stromnetze bis etwa 2010 alle noch im Besitz von Energieversorgern waren. Drei gehörten den deutschen Konzernen RWE, E.ON und EnBW, eines dem schwedischen Riesen Vattenfall. Dass all diese ihre Netze ausgliederten und teilweise oder komplett verkauften, liegt an der EU. Das EU-Parlament beschloss 2009 das Dritte Energiepaket. Darin wurde festgelegt, dass Erzeugung, Netzbetrieb und Versorgung in der EU künftig nicht mehr von den jeweils selben Unternehmen angeboten werden durften. Damit sollte sichergestellt sein, dass die Energieriesen keine quasi-monopolistischen Stellungen mit einer solchen Marktmacht aufbauen können, dass sie Verbrauchern beliebig die Preise diktieren können. In der Folge mussten also alle Energie-Konzerne unter anderem ihre Abteilungen für den Netzbetrieb ausgliedern und verkaufen.

Schon zuvor hatte die damalige Wettbewerbskommissarin der EU-Kommission, die Niederländerin Neelie Kroes, Kartellverfahren gegen einige Energiekonzerne angeleiert, darunter etwa E.ON. Denen warf sie eben genau vor, ihre Marktmacht zu Ungunsten der Verbraucher auszunutzen. 2008 hatte sich E.ON deswegen schon verpflichtet, sein Übertragungsnetz abzugeben, um Strafen zu verhindern. Dass es zu einer zwangsweisen Entflechtung des Marktes kommen würde, war den Stromkonzern zudem bereits seit 2005 klar, weswegen auch die anderen Netzbetreiber dem Energiepaket teilweise zuvor kamen.

Warum kauft die Bundesregierung Anteile an 50Hertz, Transnet und TenneT?

Die Bundesregierung ist nicht erst seit Amtsantritt der Ampel-Koalition bemüht, sich zumindest Anteile an der Netzbetreibern zu sichern. Den 20-prozentigen Anteil an 50Hertz sicherte sich die Bundesregierung bereits 2018 unter Führung der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD. Hintergrund war damals, dass der chinesische Stromnetzbetreiber State Grid Corporation of China (SGCC) den Anteil kaufen wollte. Das wollte die Bundesregierung aus „sicherheitspolitischen Erwägungen“, wie es offiziell hieß, vermeiden. Zudem drängte der Bund darauf, dass Elia den zweiten 20-Prozent-Anteil von IFM aufkaufte.

Aus dem gleichen Grund stieg der Bund über die KfW Ende vergangenen Jahres auch für geschätzte 3,2 Milliarden Euro bei Transnet BW ein. Auch hier gab es die Sorge, dass sich ansonsten Investoren entweder aus China oder den USA einen Teil des deutschen Übertragungsnetzes sichern könnten.

Bei TenneT gab es solche Befürchtungen jetzt nicht. Hier möchte die Bundesregierung schlicht einen größeren Einfluss auf den Netzausbau nehmen können. TenneT ist neben TransnetBW für den Bau der wichtigen Nord-Süd-Trassen verantwortlich, über die im Zuge der Energiewende künftig günstiger Windstrom aus Norddeutschland zu den zahlreichen Haushalten und vor allem Industriebetrieben in Bayern und Baden-Württemberg geleitet werden soll. Der Kauf wird jetzt vermutlich am hohen Preis von bis zu 25 Milliarden Euro scheitern.

Die Netzbetreiber wiederum haben seit Jahren einen Anreiz, Anteile zu verkaufen, um die hohen Investitionen für die Energiewende zu finanzieren - oder möglichen Käufern aufzubürden.

Wäre es nicht besser, dem Staat würde das Stromnetz gehören?

Das Stromnetz eines Staates fällt unter das, was man oft als „kritische Infrastruktur“ bezeichnet, also ein Teil unserer Infrastruktur, deren Ausfall gravierende Folgen hätte. Dementsprechend sollte der Staat hier also ein besonderes Augenmerk darauf haben, dass diese Infrastruktur nicht in falsche Hände gelangt.

Nun ließe sich argumentieren, dass dies am besten gelänge, wenn dem Staat das Stromnetz einfach komplett selbst gehören würde. Überlegungen, alle Netzbetreiber in eine staatliche Netzgesellschaft zu integrieren und aufzukaufen, gibt es durchaus. Es gibt dabei aber zwei Haken: Das eine wäre der Preis. Allein TenneT kostet wie gezeigt schon bis zu 25 Milliarden Euro, zusammen mit den Anteilen der anderen Betreiber kämen hier Kosten von mehr als 50 Milliarden Euro zusammen. Zudem müsste der Staat als Besitzer der Netzbetreiber dann auch die Kosten für den Netzausbau komplett selbst tragen. Allein für die Stromautobahnen werden hier rund 100 Milliarden Euro fällig. Ein zweites Argument gegen eine staatliche Netzgesellschaft ist, dass der Staat damit zu viel Macht gewänne, weil er nicht nur die Regeln für den Strommarkt erstellt, sondern diese dann auch umsetzen kann.

Zudem argumentiert der Strommarkt-Berater Mirko Schlossarczyk von Enervis im Interview mit Capital , dass eine Netzgesellschaft eine schlechte Idee wäre, weil Staatsunternehmen in der Regel ineffizienter und träger arbeiten als private Unternehmen.

Was will die Bundesregierung dann mit ihren Anteilen?

Sie will sie jedenfalls nicht behalten. Sowohl die Anteile an Transnet BW als auch an 50Hertz sollen in den kommenden Jahren wieder verkauft werden. Bestenfalls könnte das sogar mit Gewinn gelingen, denn trotz aller notwendigen Investitionen für die Energiewende ist ein Stromnetz ein lukratives Investment.

Warum interessieren sich so viele Investoren für das deutsche Stromnetz?

Es ist kein Zufall, dass die Besitzer der Netzbetreiber häufig Fonds oder Kapitalgesellschaften sind. Weil die Netzbetreiber in ihren jeweiligen Regionen ein Monopol haben, ist der Markt vom Staat sehr stark reguliert. So ist zum Beispiel genau festgelegt, wie viel Gewinn die Netzbetreiber pro Jahr machen dürfen. Das ist für Investoren ideal, weil sie so schon vorher genau berechnen können, mit welcher Rendite sich ihre Investitionen in Netzbetreiber verzinsen. In der Praxis wird der Kauf von Unternehmensanteilen hier also genau berechenbar wie von einem festverzinsten Finanzprodukt. Das macht den Einstieg gerade für Pensionskassen und Versicherer, die auf sichere Zinsen angewiesen sind, attraktiv.

Folgen Sie dem Autor auf Facebook

Folgen Sie dem Autor auf Twitter