Europa-Debatte bei "Hart aber fair" läuft aus dem Ruder: "Sie tun sich alle hier keinen Gefallen"

Moderator Louis Klamroth (rechts) hatte große Mühe die aufgeregte Debatte zu bändigen. (Bild: WDR / Dirk Borm)
Moderator Louis Klamroth (rechts) hatte große Mühe die aufgeregte Debatte zu bändigen. (Bild: WDR / Dirk Borm)

Niederlande, Italien, Polen: In mindestens neuen EU-Mitgliedsstaaten könnten anti-europäische Parteien bei der Europawahl zwischen 6. und 9. Juni gewinnen. Bis vor Kurzem ritt auch die deutsche AfD auf der Erfolgswelle. Doch vergangene Woche sorgten Äußerungen ihres Spitzenkandidaten Maximilian Krah zur SS für einen Ausschluss aller AfD-Abgeordneten aus der rechten ID-Fraktion im Europäischen Parlament.

Ob sich seine Partei für den falschen Spitzenkandidaten entschieden habe, wollte Louis Klamroth von Leif-Erik Holm (AfD, wirtschaftspolitischer Sprecher im Bundestag) wissen. Der Politiker war neben Katarina Barley (SPD, Vizepräsidentin Europäisches Parlament), Julia Klöckner (CDU, wirtschaftspolitische Sprecherin der Union im Bundestag), Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen, Vorsitzender Europa-Ausschuss im Bundestag), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP, Vorsitzende im Verteidigungsausschuss im Bundestag) und Fabio De Masi (BSW, Bündnis Sahra Wagenknecht) zum Thema "Kampf um Europa: Siegen die Populisten?" in die Talkshow eingeladen.

"Das will ich nicht beurteilen" - sagte Holm. Die Buh-Rufe aus dem Publikum waren unüberhörbar, und auch die anderen Gäste brachten ihre Empörung zum Ausdruck (Klöckner: "Das kann man nicht so stehenlassen"). "Natürlich ist die SS eine verbrecherische Organisation gewesen, das sieht auch Herr Krah so", bemühte er sich auf beharrliches Nachfragen seitens Klamroth um eine Erklärung.

Das im Studio vorgelesene Zitat aus dem Skandalinterview sei eine "Binsenweisheit" und schon von früheren Bundeskanzlern wie Konrad Adenauer und Helmut Kohl geäußert worden. "Erste Verteidigungslinie: Bildung hilft", kommentierte Strack-Zimmermann trocken und hatte damit kurz die Lacher auf ihrer Seite, bevor sie im Stimmengewirr am Podium untergingen.

"Herr Holm, ich habe Sie ein paarmal gefragt - Sie wollen sich nicht distanzieren", griff Louis Klamroth nicht zum ersten Mal an diesem Abend hart durch. Immer wieder musste er zur Ordnung rufen und seine Gäste ermahnen, sich nicht anzuschreien und zu unterbrechen: "Sie tun sich alle hier keinen Gefallen, wenn Sie durcheinander reden", brachte er es einmal auf den Punkt, und fügte hinzu: "Da versteht keiner etwas."

Diesmal wandte er sich kurzerhand an Gordon Repinski, als Chefredakteur des Nachrichtenportals "Politico" der einzige Nicht-Politiker in der Runde. "Wie groß ist der Schaden für die AfD?", wollte er von ihm wissen. Für die Partei sei es eine "Schande, dass der Spitzenkandidat wegen Chinaspionage aus dem Rennen genommen wurde und der Zweite wegen Geldern aus Russland", kommentierte dieser. Nach dem Ausstoß aus der ID-Fraktion stünde die AfD "rechts von den rechteren der rechten Fraktionen. Das muss man erst mal hinkriegen."

Auf welche Seite das Bündnis Sahra Wagenknecht stünde, blieb in der Talkshow offen. "Weniger ist mehr", fasste Fabio De Masi das Europa-Programm zusammen und sprach sich beispielhaft für den Stopp von bürokratischen Übergriffen auf Kommunen aus. "Wir wollen ein Europa, das dort, wo es einen Unterschied macht, liefert, aber nicht Löhne oder Renten kürzt", lenkte er die Debatte auf das Thema Wirtschaft.

Das griff Louis Klamroth gerne auf: Einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln zufolge würde der von der AfD geforderte Dexit der deutschen Wirtschaft innerhalb von fünf Jahren 690 Milliarden Euro an Wertschöpfung kosten. Darauf ging Holm nicht ein und lehnte den "Fachbegriff" Dexit ab: "Wir wollen eine Neugründung, eine Reform der EU", präzisierte er. Es ginge um den Austritt aus der EU mit gleichzeitiger Gründung einer neuen Wirtschaftsgemeinschaft - ohne den Wust der Bürokratie.

Dass die EU bürokratische Schwächen hat, wollte auch Strack-Zimmermann nicht leugnen und hatte eine Schuldige parat: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe die Bürokratie verfielfacht und damit die "Wirtschaft so abgewürgt, dass unsere Unternehmen in Europa nicht mehr konkurrenzfähig" seien. "Europa ist gefährdet", brachte auch sie ihre Sorge zum Ausdruck. Allerdings nicht aus den bisher genannten Gründen, sondern weil die Kommissionspräsidentin nicht ausgeschlossen hatte, mit den Rechten und insbesondere mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu koalieren.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann warb für eine entschlossene Unterstützung der Ukraine. (Bild: WDR / Dirk Borm)
Marie-Agnes Strack-Zimmermann warb für eine entschlossene Unterstützung der Ukraine. (Bild: WDR / Dirk Borm)

"Es gibt überhaupt keine Zusammenarbeit mit Rechtsextremen und Identitären, auch nicht mit den Linkeren der Rechten", negierte Julia Klöckner von der CDU diese Bedenken. Eine Koalition mit Einzelnen, die wie Meloni pro-europäische und eine pro-rechtsstaatliche Einstellungen hätten, sei aber möglich.

Das sah Barley anders: "Pro-Rechtssataat, ehrlich? Sie vereinnahmt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk", nannte sie zunächst nur ein Beispiel dafür, dass dem nicht so wäre. Zudem versuche Meloni, die bisher sehr unabhängige Justiz zu monopolisieren und eine Parlamentsreform durchzusetzen, die ihr die Macht zusicherte. Auch De Masi hielt sich mit seiner Kritik nicht hinter dem Zaun: "Frau Meloni ist pro-europäisch, weil sie den Ukraine-Kurs mitträgt", verortete er hier "blutleere Labels".

Dass die BSW die Waffenlieferungen an die Ukraine nicht unterstützt, hatte De Masi bereits zu Beginn der Talk-Show klar gemacht und dabei mit seiner Wahlbotschaft "Krieg oder Frieden, Sie haben die Wahl" kaum Verbündete gefunden. "Frieden ist mehr als Abwesenheit von Krieg", sprach sich Barley gegen das Ende der militärischen Hilfe aus. Und Anton Hofreiter wurde noch konkreter: "Die vom Frieden reden sorgen dafür, dass Putin straflos eskalieren kann und verlängern damit den Krieg", meinte er mit Fingerzeig auf die Vertretenden der BSW und AfD, "zu robuster Diplomatie gehört die robuste Unterstützung der Ukraine. Nicht immer das Herumgeeiere."

Man müsse nicht nur plakatieren, sondern auch abschrecken, ergänzte Klöckner. Worin diese Abschreckung bestünde, konnte sie auf Nachfrage von De Masi allerdings nicht sagen und ging zum Angriff über: "Veräppeln Sie doch die Leute nicht, dass sie Krieg oder Frieden wählen." Selbst wenn der Krieg eingefroren würde, hätte der Aggressor die Macht, diesen wieder aufzutauen. Genau von diesem Aggressor, Putin nämlich oder vielmehr aus seinem Umfeld, wollte Holm Signale zur Gesprächsbereitschaft orten "Die AfD hat ja einen guten Draht zu Putin", konnte sich auch Moderator Klamroth das Sticheln nicht verkneifen. Als die selbst ernannte "Eurofighterin" Strack-Zimmermann dann noch De Masi als "Putin-Versteher" bezeichnete, führte das erneut zu einem lautstarken Wortgefecht.

Frieden macht sich eben doch nur auf den Wahlplakaten gut.