FOCUS online vor Ort im Stadion - Nagelsmann tobt, Verletzung beim Jubel: Die vier Rätsel des DFB-Remis

Julian Nagelsmann verzweifelt an der Seitenlinie<span class="copyright">Getty Images</span>
Julian Nagelsmann verzweifelt an der SeitenlinieGetty Images

Die deutsche Nationalmannschaft verhindert im dritten Gruppenspiel kurz vor Schluss die Niederlage gegen die Schweiz und zieht als ungeschlagener Gruppensieger ins Achtelfinale ein. Dennoch wirft der Auftritt in Frankfurt vier große Rätsel auf. Die Beobachtungen aus dem Stadion.

Rätselhafte Fehleranfälligkeit im deutschen Team

Julian Nagelsmann tigerte am Spielfeldrand hin und her, gestikulierte wild, hob immer wieder die Finger zu lauten Pfiffen. Und oft wandte er sich verärgert zur Trainerbank, wo Co-Trainer Sandro Wagner der Adressat seiner verzweifelten Blicke und Schimpftiraden war.

Auslöser waren meist unerklärliche Fehlpässe seiner Spieler. Niemand kann nach diesem Spiel von individuellen Fehlern freigesprochen werden. Florian Wirtz, Joshua Kimmich, Antonio Rüdiger, selbst Toni Kroos . Freundliche Gastgeschenke an die Eidgenossen. Es war zum Verzweifeln. Besonders für den Bundestrainer.

Rätselhafte Auslegung von Schiedsrichter Orsato

Nagelsmann verzweifelte auch an der einen oder anderen Entscheidung von Schiedsrichter Daniele Orsato, der sich im Deutsche Bank Park - vor allem an der deutschen Seitenlinie - nicht viele Freunde machte.

Bei einem Foulspiel von Dan Ndoye wurde es richtig hitzig zwischen Nagelsmann und dem Vierten Offiziellen. Der Torschütze zum 1:0 war bereits gelbverwarnt und foulte dann Musiala mit einem Tritt in die Hacke. Der Bundestrainer forderte vehement die Ampelkarte – vergebens.

Nicht die einzige fragwürdige Entscheidung des Italieners. Orsato machte zwar keine großen, aber viele kleine Fehler, die in der Summe vor allem dem deutschen Team weh taten.

„So eine richtig klare Linie habe ich jetzt nicht gesehen.", sagte Nagelsmann nach der Partie noch recht diplomatisch. Die Schweizer Abwehr durfte deutlich körperbetonter zu Werke gehen als die deutsche. Fast jede 50/50-Entscheidung entschied Orsato zu Gunsten der Eidgenossen. Vermeintliche Fouls in Strafraumnähe an Jamal Musiala, Kai Havertz oder Leroy Sané winkte er ab. Strittige Situationen im Sechzehner wie das Halten gegen Beier oder das Stoßen gegen Havertz schaute er sich hingegen gar nicht erst an.

„Er hat gepfiffen, was er gesehen hat, und fertig. (...) Ich habe mich einmal geärgert über Kai (Havertz). Da ist es ein klarer Elfmeter, aber er fällt nicht, weil er fair sein will“, ärgerte sich Nagelsmann. Auch die Entscheidung des zurückgenommene Tores von Robert Andrich konnte er nicht verstehen: „Ich finde, dass man das 1:0 (von Andrich, Anm. d. Red.) schon laufen lassen kann, ist für mich kein Foul. Ich finde nicht, dass du es abpfeifen musst.“

Rätselhafte Wechsel von Nagelsmann

Nagelsmann agierte aber auch selbst rätselhaft . Während er noch für seine Wechsel-Methode gegen Schottland und Ungarn gelobt wurde, überrascht er gegen die Schweiz mit der Reihenfolge seiner Einwechselspieler.

Beim Stand von 0:1 bringt er als erstes die Verteidiger Nico Schlotterbeck und David Raum. Ganz unerklärlich sind sie zwar nicht (Maxi Mittelstädt mit einer schwachen Partie, Jonathan Tah gelbverwarnt und fürs nächste Spiel gesperrt), aber sie sind kein wirkliches Signal ans Publikum, diese Partie alsbald drehen zu wollen.

Als nächstes durfte Maximilian Beier auf großer Bühne sein EM-Debüt feiern. Der Hoffenheimer war bereits im Testspiel gegen Griechenland ein starker Impulsgeber von der Bank, aber ist er für die Offensive bei Rückstand tatsächlich die allererste Alternative?

Erst eine Viertelstunde vor Schluss brachte Nagelsmann in Niclas Füllkrug und Leroy Sané die beiden Angreifer, die sich viele im Publikum früher gewünscht hätten. Sané hatte nach den ersten beiden Spielen erheblichen Nachholbedarf, hätte aber gegen tiefstehende Schweizer mit seiner Kreativität für den Unterschied sorgen können.

Und Füllkrug ist ein wahrer Stürmer, der die vielen hohe Bälle im Strafraum auch zu nutzen weiß. Seinen Killerinstinkt braucht es in solchen Spielen. Kann er dafür bessere Beweise liefern als den späten Ausgleich?

Rätselhafter Jubel von Rüdiger

Völlige Ekstase beim Ausgleich in der 92. Spielminute. Füllkrug köpfte zum erlösenden 1:1 ein und brachte das Waldstadion zum Beben. Das gesamte Team – ob Feldspieler, Torhüter oder Ersatzbank – folgte dem Angreifer zur Eckfahne und warf sich auf den Schweinehaufen. Hier lag eine Mannschaft, eine Einheit.

Als sich der Berg lichtete, blieb ein Spieler zunächst liegen. Rüdiger hatte wohl etwas zu ausgelassen gejubelt und sich wehgetan - dabei war er es, der Füllkrug euphorisch umriss und die Jubeltraube bildete. Humpelnd quälte er sich danach zurück in die eigene Hälfte. Als wenig später der Schlusspfiff ertönte, sackte der Abwehrchef wieder zu Boden und musste später von Füllkrug aufgehoben werden. Hoffentlich hat er sich da nicht ernster verletzt, denn in Tah fehlt für das Achtelfinale bereits sein Partner in der Innenverteidigung. „Antonio (Rüdiger) hat Probleme mit dem Oberschenkel. Ich hoffe, nichts Schlimmes“, erklärte Nagelsmann später.

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