Gastbeitrag von Gabor Steingart - Das TV-Duell Biden gegen Trump offenbart die bitterste Erkenntnis für die USA

Joe Biden und Donald Trump (r)<span class="copyright">The Pioneer</span>
Joe Biden und Donald Trump (r)The Pioneer

Die erste Präsidentschaftsdebatte 2024 in den USA ist von feindseliger Rhetorik geprägt. Trump holt zu Tiefschlägen aus und Biden kämpft sichtlich, seine Gedanken zu sammeln. Es war keine Debatte wie jede andere - es war die Vorahnung einer düsteren Zukunft für die amerikanische Demokratie.

Will man höflich sein, könnte man sagen: Der Kampf ums Weiße Haus wurde heute Nacht mit einem Paukenschlag eröffnet.

Will man wahrhaftig sein, müsste es heißen: Er wurde mit einem Tiefschlag eröffnet. Zu besichtigen war ein Präsident, der surreal wirkte. Ihm gegenüber eine Alternative, die keine ist. 90 Minuten lang wurde ein Festival der Pöbeleien geboten.

Donald Trump beschwor die Apokalypse und bezichtigte seinen Nachfolger, durch Schwäche und Nachsichtigkeit ein Risiko für den Weltfrieden zu sein:

„We are closer to world war three than anybody could imagine and Biden is driving us there!“

 

Trump konzentriert sich auf bösartige Schläge

Ansonsten spezialisierte sich Trump in dieser ersten Debatte zur Präsidentschaftswahl 2024 auf das, was man im Boxsport den Uppercut nennt, also bösartige Schläge, die von unten kommend auf das Kinn zielen. Mit dem Kinnhaken lässt sich die Schaltzentrale des Menschen, das Gehirn, lahmlegen. So kämpfen Boxer, die auf ein K.o. des Gegners setzen.

Trump zielte auf die persönliche Fitness von Joe Biden ab, als er sagte:

„He is not equipped to be president.“

Biden wirkte in der Tat etwas verwirrt, verwechselte häufiger Millionen, Tausend oder Milliarden. Ein Versprecher machte noch während er Debatte die Runde in den Sozialen Netzwerken.

Bei einem Austausch über die Pandemie erklärte der 81-Jährige, man habe „endlich Medicare besiegt" unter Anspielung auf einen Teil des US-Gesundheitssystems. Gemeint war vermutlich Covid. Trump griff die Aussage mit einem Wortspiel auf, das auf verschiedenen Bedeutungen des Verbs „to beat" beruht: „Er hat Recht. Er hat Medicare wirklich geschlagen. Er hat es zu Tode geprügelt."

Trump – obwohl selbst durch seine juristische Auseinandersetzung mit einer ehemaligen Prostituierten moralisch gehandicapt – knöpfte sich auch die weltweite Reputation des amtierenden Präsidenten vor, die ihm lädiert erscheint:

„What happened to the United States reputation under Biden is horrible!“

In Anspielung auf Trumps Verurteilung im Zusammenhang mit Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin sagte Biden:

„You have the morals of an alley cat.“

Auch über die wirtschaftliche Lage und die Inflation gab es Streit. Biden habe ein wirtschaftliches Chaos von Trump übergeben bekommen.

Trump ist überzeugt, unter ihm habe es die beste Wirtschaft jemals gegeben:

„Under my presidency we had the greatest economy in the history of this country.“

Bidens Antwort darauf:

„Trump is the only one who thinks we have the greatest economy in the world. “

Die Inflation sei unter Biden erst in die Höhe geschossen, sagte Trump. Unter ihm habe es keine Inflation gegeben:

„I gave him a country with no inflation, he destroyed it.“

Biden entgegnete, Trump hätte die Inflation mit seiner Covid-Politik nach oben getrieben:

„He caused the inflation with how he handled the pandemic.“

Deutlichste Unterschiede beim Thema Migration

Am deutlichsten waren die Unterschiede beim Thema Migration, obwohl Joe Biden rechtzeitig vor Beginn der Debatte eine Obergrenze für die Zuwanderung aus Südamerika eingeführt hatte.

Trump ist der Meinung, die USA würden unter Biden zum dritte Welt Land werden. Unter ihm seien die Grenzen sicher gewesen:

„We had the safest border in the history of the country, now we have the worst border in history.“

Biden entgegnete, dass unter Trump Familien getrennt würden:

„Trump was separating babies from their mothers with his immigration policies.“

Trump holte aber noch tiefer aus und warf Biden vor, alle Terroristen und Kriminellen ins Land zu lassen:

„We have the largest number of terrorists coming into out country.“

Bidens Reaktion darauf:

„That’s not true, he’s exaggerating, he’s lying.“

Aber auch in der Außenpolitik, vor allem in der Frage des richtigen Umgangs mit Putin und der Ukraine, gab es keinerlei Gemeinsamkeit.

Trump ist sich sicher: Unter ihm hätte es den Krieg gegen die Ukraine nie gegeben.

„If we had a president that was respected by Putin we wouldn’t have this war.“

Mehrfach suchte Joe Biden das höhere Abstraktionsniveau, wissend, dass die Wähler bei solchen Debatten zwei Staatsmänner erwarten und nicht zwei rauflustige Kirmesboxer.

Das ist seine Strategie seit Monaten. Es gehe nicht um ihn. Es gehe um die Demokratie. Gestern Abend klang das dann so:

„Trump has no sense of democracy.“

Das war die Debatte der Worte. Doch es gab eine zweite Ebene der Auseinandersetzung, die Ebene dessen, was man sah, spürte und fühlte.

Biden wirkte surreal. Wächsern. Maskenhaft. Leblos. Das Gesicht stellenweise wie eingefroren, die Stimme brüchig. Zu sehen war nicht ein alter, sondern ein sehr alter Mann, der um Worte rang, um Haltung, um Orientierung.

Man hat sich nicht gefragt. Wie hält er die nächste Amtszeit durch? Man fragte sich: Wie hält er diese Debatte durch? Biden, wie er dastand mit halb geöffnetem Mund und Handbewegungen in Zeitlupe, war erkennbar überfordert mit der Situation. Er hat in diesen 90 Minuten nicht Respekt gewonnen, sondern Mitgefühl geweckt.

Trump deutlich vitaler

Trump wirkte deutlich vitaler. Die vier Jahre auf der Oppositionsbank haben seinem Energielevel nicht geschadet. Er war wie immer: deutlich, aggressiv, unsympathisch. Und vor allem anderen: Er war unversöhnlich.

Da trat ein Mann auf, der keine Zwischentöne zuläßt, der auf der Farbpalette nur die grellen Farben benutzt, der alle Schattierungen ablehnt. Der übertreibt. Der zuspitzt. Der pöbelt.

Der Maler Paul Czesanne hat gesagt:

„Solange man nicht ein Grau gemalt hat, ist man kein Maler.“

Der Philosoph Peter Sloterdijk erklärte daraufhin für sich und seine Zunft:

„Solange man das Grau nicht gedacht hat, ist man kein Philosoph.“

 

Amerika ist um diese Wahl nicht zu beneiden

Auch der gute Politiker sollte die Zwischenfarben und die weite Welt der Schattierungen beherrschen, denn aus dem Schattierten wächst Verständnis für die Position des andern, entsteht die Brücke, die vom einen zum anderen Lager führt.

Grau ist die Farbe in der Friedensverträge geschrieben werden – auch die innerhalb einer polarisierten Nation.

Fazit: Amerika ist um diese Wahl nicht zu beneiden. Die amerikanische Demokratie hat heute Nacht Schaden an ihrer Seele genommen.