Gastbeitrag von Rainer Zitelmann - Experte erklärt: So links waren Hitler und die NSDAP wirklich

Adolf Hitler bei einer Rede<span class="copyright">dpa</span>
Adolf Hitler bei einer Rededpa

In den vergangenen Tagen wurde nach dem Musk-Weidel-Gespräch in vielen Medien diskutiert, wie links oder rechts Hitler und die NSDAP waren.

Auf X sprachen Elon Musk und Alice Weidel kürzlich über Meinungsfreiheit, Deutschlands Wirtschaft und die AfD. Ein weiteres Thema war dabei auch Hitler, den Weidel als Kommunist bezeichnete. Diese Behauptung hat Rainer Zitelmann schon widerlegt. Lesen Sie hier nun ein Auszug aus Zitelmanns Buch „Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“.

Im Parlament stimmte die NSDAP häufig zusammen mit den linken Parteien SPD und KPD, wenn es um sozialpolitische Fragen ging. Sie brachte Anträge im Parlament ein, in denen sie die Nationalisierung aller Großbanken oder das Verbot des Handels mit Wertpapieren verlangten. Der Besitz der „Bank- und Börsenfürsten“ sowie alle „Gewinne aus Krieg, Revolution und Inflation“ sollten beschlagnahmt werden.

Hitler, die Nationalsozialisten und die Unternehmen

Die wirtschaftsnahe „Deutsche Bergwerk-Zeitung“ kommentierte angesichts solcher Forderungen, die NSDAP stelle eine Bedrohung für das Privateigentum dar und unterscheide sich nur wenig von den Kommunisten. Die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ in Berlin, die einem Konsortium aus Ruhrindustriellen, Bankiers und Reedereibesitzern gehörte, gelangte zu dem Ergebnis: Im gleichen Maße, wie sich die Sozialdemokraten vom Marxismus distanzierten, seien die Nationalsozialisten offenbar darauf bedacht, dessen Erbe zu übernehmen.

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Sehr früh schon erkannte Walter Rademacher, eine führende Persönlichkeit in der sächsischen Kohleindustrie, der früher der DNVP angehört hatte, dass das Bekenntnis der Nationalsozialisten zum Privateigentum nicht viel wert sei. Denn die NSDAP entwerte dieses Bekenntnis durch den Vorbehalt, das Streben privater Unternehmer sei nur akzeptabel, solange es dem Gemeinwohl diene.

Die Entscheidungskompetenz, was dem Gemeinwohl diene, liege indes vollständig beim Staat. Wenn der Staat aber jederzeit in die Rechte der Unternehmer eingreifen könne, indem er einfach erkläre, sie hätten das Eigentum falsch verwendet, dann bliebe, so Rademacher, von der Privatwirtschaft bzw. der Kontrolle des Unternehmers über sein Eigentum nichts mehr übrig.

Privateigentum wurde immer mehr ausgehöhlt

Damit hatte er etwas erkannt, was viel später der Ökonom Friedrich Pollock formulierte. Pollock war ein Mitbegründer des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt, das später zum Nukleus der eingangs erwähnten Frankfurter Schule wurde Zugleich ein enger Freund von Horkheimer, dem führenden Kopf der Frankfurter Schule, schrieb Pollock 1941 in einem Aufsatz über die Wirtschaftsordnung des Nationalsozialismus: „Ich stimme dem zu, dass das Rechtsinstitut des Privatbesitzes beibehalten worden ist und dass viele Merkmale, die für den Nationalsozialismus kennzeichnend sind, sich, wenn auch noch undeutlich, in nicht totalitären Ländern ausprägen.

Aber heißt das, dass die Funktion des Privateigentums sich nicht verändert hat? Ist die ‚Steigerung der Macht einiger weniger Gruppen’ wirklich das wichtigste Resultat des Wandels, der stattgefunden hat? Ich glaube, dass er viel tiefer reicht und beschrieben werden müsste als die Zerstörung aller wesentlichen Teile des Privateigentums, von einem abgesehen. Selbst den mächtigsten Konzernen hat man das Recht aberkannt, neue Geschäftszweige dort zu errichten, wo die höchsten Profite zu erwarten sind; oder die Produktion zu unterbrechen, wo sie unprofitabel wird. Diese Rechte sind in ihrer Gänze den herrschenden Gruppen übertragen worden.

Unternehmer waren misstrauisch, was die Ziele der Nationalsozialisten betrifft

Der Kompromiss zwischen den an der Macht befindlichen Gruppen bestimmt Umfang und Richtung des Produktionsprozesses; gegenüber einer solchen Entscheidung ist der Eigentumstitel machtlos, selbst dann, wenn er sich herleitet vom Besitz der überwiegenden Kapitalmehrheit, von dem, der nur eine Minderheit besitzt, ganz zu schweigen.“

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Dies ist sicher eine der treffendsten Charakterisierungen des nationalsozialistischen Wirtschaftssystems. Diese spätere Entwicklung erkannten in der Phase des Aufstiegs der NSDAP vor 1933 nur wenige. Gleichwohl waren damals die meisten Unternehmer misstrauisch, was die Ziele der Nationalsozialisten anlangt. Paul Reusch, einer der damals einflussreichsten Wirtschaftsführer, formulierte Ende 1929 für die Herausgeber der von seiner Firma kontrollierten Zeitungen eine Richtlinie, in der die NSDAP zusammen mit den Kommunisten, den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften als einer der Träger des Marxismus, seiner verderblichen „Klassenkampfgedanken“ und seiner „utopischen marxistischen Ziele auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens“ genannt wurde.

Solche Befürchtungen wurden geschürt durch Veröffentlichungen der NSDAP wie beispielsweise der Zeitschrift „Arbeitertum“ der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation, die ein Ende des „liberal-kapitalistischen Wirtschaftssystems“ und eine „staatssozialistische Vergesellschaftung der Grundindustrien“ sowie die Absetzung und strafrechtliche Verfolgung der „Hyänen der Wirtschaft“ forderte.

Behauptung: Hitler handelte im Interesse der Kapitalisten

Viele meinten, einmal an die Macht gekommen, werde sich Hitler mäßigen und sein radikales Programm nicht umsetzen. Das freilich sollte sich, wie wir heute wissen, als grandiose Täuschung und Selbsttäuschung erweisen.

Linke Faschismustheoretiker behaupten, die antikapitalistische Propaganda der NSDAP in der Zeit vor der Machtergreifung habe nur der Täuschung der Wähler gedient, in Wahrheit habe Hitler jedoch im Interesse der Kapitalisten gehandelt. Die historische Forschung hat indes gezeigt, dass auch diese Behauptung falsch ist.

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2005 erschien Götz Alys Untersuchung „Hitlers Volksstaat“. Der Historiker hebt die „vielen Anleihen des nationalen Sozialismus aus dem linkssozialistischen Ideenvorrat“ hervor. Adolf Eichmann, der Organisator des Massenmordes an den Juden, habe in seinen Memoiren mehrfach betont: „Meine gefühlsmäßigen politischen Empfindungen lagen links, das Sozialistische mindestens ebenso betonend wie das Nationalistische.“

Für Millionen Deutsche, so Aly, habe das Attraktive am Nationalsozialismus in dem „völkischen Gleichheitsversprechen“ gelegen. „Für diejenigen, die zu der als rassisch einheitlich definierten Großgruppe zählten – das waren 95 Prozent der Deutschen -, verringerten sich die Unterschiede im Binnenverhältnis. Für viele wurde das staatspolitisch gewollte Einebnen der Standesdifferenzen in der Staatsjugend fühlbar, im Reichsarbeitsdienst, in den Großorganisationen der Partei und langsam selbst in der Wehrmacht.“

Einnahmen aus Kriegssteuern aller Art

Aly argumentiert, dass die deutschen Arbeiter wie große Teile der Angestellten und Beamten bis zum 8. Mai 1945 „nicht einen Pfennig direkter Kriegssteuer bezahlten“. Er spricht von „Steuermilde für die Massen“. Damit einher ging eine „Steuerhärte gegen die Bourgeoisie“.

Eines von vielen Beispielen, die Aly für die steuerliche Belastung von Vermögenden anführt, ist die sogenannte Hauszinssteuer, die die deutschen Hausbesitzer Ende 1942 in Höhe von 8 Milliarden Reichsmark zu entrichten hatten. „Zu keinem Zeitpunkt der NS-Herrschaft fand eine Gesetzesdebatte statt, die zu einer nur annähernd vergleichbaren Belastung der Arbeiterschaft geführt hätte. Vielmehr dokumentiert sich in der Diskussion um die Hauszinssteuer anschaulich das Prinzip, den materiell besser Gestellten auch einen deutlich höheren Anteil der Kriegslasten aufzubürden.“

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Zwischen September 1939 und März 1942, so Aly, verzeichnete die Reichskasse 12 Milliarden Reichsmark an Einnahmen aus Kriegssteuern aller Art. Betrachte man die Verteilung zwischen den sozialen Schichten, dann belastete nur die Zusatzsteuer auf Tabak, Branntwein und Bier, die vom September 1939 bis Anfang 1942 insgesamt 2,5 Milliarden Reichsmark erbrachte, die große Mehrheit der Einkommen.

75 Prozent der innerdeutschen Kriegslasten entfielen auf Unternehmen und Bezieher hoher Einkommen. Weder Arbeiter noch kleine und mittlere Angestellte oder Beamte seien in nennenswertem Maß mit Kriegssteuern belastet worden. „Auch das bildete einen wesentlichen Unterschied zu Großbritannien und den USA. Parallel zur Schonung der großen Mehrheit der deutschen Steuerzahler stieg jedoch die Steuerlast für den gut und sehr gut verdienenden Teil der deutschen Gesellschaft erheblich.“

Hitler bewunderte Stalins Planwirtschaft

Die Nationalsozialisten planten für die Zeit nach dem Krieg den Ausbau der Planwirtschaft, wie wir aus vielen Bemerkungen Hitlers wissen. Er bewunderte das sowjetische Wirtschaftssystem zunehmend. „Wenn Stalin noch zehn bis fünfzehn Jahre an der Arbeit geblieben wäre“, so sagte Hitler im August 1942 im kleinen Kreis, „wäre Sowjetrussland der gewaltigste Staat der Erde geworden, da können 150, 200, 300 Jahre vergehen, das ist so eine einmalige Erscheinung! Dass der allgemeine Lebensstandard sich gehoben hat, daran ist kein Zweifel.

Hunger haben die Menschen nicht gelitten. Alles in allem gesehen, muss man sagen: Die haben Fabriken hier gebaut, wo vor zwei Jahren noch unbekannte Bauerndörfer waren, Fabriken, die die Größe der Hermann-Göring-Werke haben.“ Bei anderer Gelegenheit sagte er, ebenfalls im internen Kreis, Stalin sei ein „genialer Kerl“, vor dem man „unbedingten Respekt haben“ müsse, besonders wegen seiner umfassenden Wirtschaftsplanung. Es stehe für ihn außer Zweifel, so fügte er hinzu, dass es in der UdSSR, im Gegensatz zu den kapitalistischen Staaten wie etwa den USA, Arbeitslose nicht gegeben habe.

"Warum betreibt die SS Wirtschaft?“

Mehrfach erwähnte der Diktator im kleinen Kreis, man müsse die großen Aktiengesellschaften, die Energiewirtschaft und alle anderen Wirtschaftszweige, die „lebensentscheidende Rohstoffe“ produzierten (z.B. die Eisenindustrie) verstaatlichen. Selbstverständlich war der Krieg nicht der richtige Zeitpunkt für die Realisierung derart radikaler Sozialisierungskonzepte. Hierüber waren sich Hitler und die Nationalsozialisten bewusst, die ohnehin alle Mühe hatten, die Sozialisierungsängste der Unternehmer zu beschwichtigen. So heißt es in einem Aktenvermerk des SS-Chefs Heinrich Himmler vom Oktober 1942, dass „während des Krieges“ eine grundsätzliche Änderung der kapitalistischen Wirtschaft nicht möglich sei.

Jeder, der dagegen „anrenne“, würde ein „Kesseltreiben“ gegen sich heraufbeschwören. In einem im Juli 1944 von einem SS-Hauptsturmführer verfassten Bericht wird die Frage „Warum betreibt die SS Wirtschaft?“ so beantwortet: „Diese Frage wurde besonders von Kreisen aufgeworfen, die rein kapitalistisch denken und es nicht gern sehen, dass Betriebe entstehen, die öffentlich sind oder zumindest einen öffentlichen Charakter haben. Die Zeit des liberalistischen Wirtschaftssystems fordert den Primat der Wirtschaft, d.h. erst kommt die Wirtschaft und dann der Staat. Demgegenüber stellt sich der Nationalsozialismus auf den Standpunkt: Der Staat befiehlt der Wirtschaft, der Staat ist nicht für die Wirtschaft, sondern die Wirtschaft ist für den Staat da.“