Kommentar: Das große Böllern wird kommen

Silvester steht vor der Tür, der Verkauf von Feuerwerk hat begonnen. Und man sieht: Männer, die auf Raketen starren. Dieses Jahr wird noch mehr Krieg gespielt werden als sonst – weil 2023 eh schon so unvernünftig war. Fehlt nur noch, dass die CDU das Böllern zur Leitkultur erklärt.

Menschen und Feuerwerk - hier bei einem Fest im indischen Ahmedabad im November (Bild: REUTERS/Amit Dave)
Menschen und Feuerwerk - hier bei einem Fest im indischen Ahmedabad im November. (Bild: REUTERS/Amit Dave)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Am letzten Tag des Jahres wird noch einmal alles gegeben. 2023 wird auch das Jahr der Böllerkisten tragenden Männer sein. Und auch diesmal gibt es die immergleichen Litaneien, es bitte mit der Knallerei nicht zu bunt zu treiben: die Feinstaubbelastung, die leidenden Tiere, das verschwendete Geld. Nur der Hinweis auf hungernde Menschen in afrikanischen Ländern verblasst, denn überzeugt hat er nie; es würde statt Böllerei hierzulande nicht mehr Brot dorthin geschickt werden. Und überhaupt, warum nicht auf Anderes verzichten?

2023 war das Jahr, in dem der Klimaschutz gescheitert ist. Klebten sich Aktivisten der "Letzten Generation" an eine Straße, war die Wut wegen der Freiheitsberaubung groß. Schmierten sie Denkmäler an, wie beim Bundestag, schäumte die Politik ob dieses Frevels. Es war auch das Jahr, in dem gegen den Einbau von Wärmepumpen polemisiert wurde, hier und da eine Cancel Culture vermutet wurde und man in den Grünen wieder echte Partyschrecks sah. Meine Freiheit lass ich mir nicht nehmen – das war das Motto dieses Jahres. Und weil wir uns als Gesellschaft gegen manche notwendige Veränderung gesträubt haben, wird zu Silvester noch einmal besonders krawallig gefeiert.

Der Nahe Osten ist nicht nur im Nahen Osten

Auch der Krieg in der Ukraine schockt nicht mehr derart, dass wir vom Fake War ablassen würden. Wir haben uns an die Abwehrschlachten der Ukrainer gewöhnt, es dauert ja auch schon sehr lang; jedenfalls sind so viele Schüsse ins Land gegangen, dass ein sächsischer Ministerpräsident naseweis den Ukrainern Ratschläge gibt, es mal mit diplomatischen Initiativen zu versuchen – als wäre er der erste Schlaumeier, der auf diese Idee gekommen ist. Die Ukraine fällt also als Hemmschuh fürs Böllern weitgehend aus.

Teilnehmer einer verbotenen Pro-Palästina-Demonstration zünden in der Nähe der Sonnenallee im Bezirk Neukölln Pyrotechnik. (Bild: Paul Zinken/dpa)
Teilnehmer einer verbotenen Pro-Palästina-Demonstration zünden in der Nähe der Sonnenallee im Bezirk Neukölln Pyrotechnik. (Bild: Paul Zinken/dpa)

Und viele Jugendliche und junge Männer mit einer nahöstlichen Familiengeschichte werden einen anderen Krieg nachspielen – den in Gaza. Sie sehen im Vorgehen der israelischen Streitkräfte ein von Deutschland abgesegnetes Unrecht, während ihnen selber in den ersten Tagen nach den Terrormassakern der palästinensischen Hamas-Gruppe vom 7. Oktober in Berlin und anderswo jeder öffentliche Mucks erstmal diktatorisch verboten worden war. Dafür wird es ein Payback geben, so ist zu befürchten. Und dann war in Berlin-Neukölln noch eine Wette am Laufen, ob die Böllerei des vergangenen Jahres wieder geschafft oder gar getoppt wird.

Hass auf Helfer

Jedenfalls sind wir in Deutschland in einer Phase angekommen, in der sich Polizei und Rettungskräfte flehentlich an die Öffentlichkeit wenden und darum bitten, nicht mit Feuerwerkskörpern attackiert zu werden. Der allgemeine Drang zu einer interessanten Auffassung von Freiheit und Individualität hat dazu geführt, dass Helfer der Gesellschaft um ihre Unversehrtheit fürchten. Der Respekt vor dem Nächsten sinkt.

Wie kommen wir da wieder raus? Indem man 2024 als ein Jahr des Neustarts ansieht. Mit weniger Verbal- und Böllergewalt, mit einem Blick weg vom eigenen Bauchnabel. Mit einer Lösung für die Kriegsgewalt in Osteuropa und im Nahen Osten. Und mit einem Verzicht darauf, die zu erwartende Silvestergewalt in Deutschland in der Wahrnehmung auf Neukölln zu verengen. Und nachdem CDU-Parteichef Friedrich Merz in seiner Suche nach der Leitkultur auf einen Weihnachtsbaum geklettert ist, sollte er wieder herabsteigen und nicht auf die Idee verfallen, das Feuerwerken als Leitkultur zu erklären. Eigentlich brauchen wir ganz Anderes im Land.

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