Kommentar: Der komische Mut des Friedrich Merz

Rheinland-Pfalz, Idar-Oberstein: Friedrich Merz, der frühere CDU/CSU-Fraktionschef, spricht bei der CDU-Regionalkonferenz vor Parteimitgliedern. (Bild: Silas Stein/dpa)
Rheinland-Pfalz, Idar-Oberstein: Friedrich Merz, der frühere CDU/CSU-Fraktionschef, spricht bei der CDU-Regionalkonferenz vor Parteimitgliedern. (Bild: Silas Stein/dpa)

Der Kandidat für den CDU-Vorsitz zündelt am Asylrecht, aber nur ein bisschen. Oder war er schlicht erkältet?

Ein Kommentar von Jan Rübel

Friedrich Merz trug einen Schal, als er ostdeutschen Boden betrat. Ein kleiner Schnupfen, hieß es. Genutzt hatte es nichts, in seiner Bewerbungsrede zeigte sich der eine von drei Kandidaten für den CDU-Vorsitz als heftig infiziert. Er sollte darüber reden, was wichtig für Deutschland ist, über Themen, die angegangen werden müssen. Merz nutzte dies, um seiner Verschnupftheit vollen Ausdruck zu verleihen, hier im westthüringischen Seeberg.

Man müsse ja wissen, dozierte er, dass Deutschland weltweit das einzige Land sei, das ein Individualrecht auf Asyl in der Verfassung habe. Deshalb sei er seit Langem der Meinung, dass offen darüber geredet werden müsse, ob dieses Asylgrundrecht “in dieser Form fortbestehen” könne, wenn eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ernsthaft gewollt werde.

Dazu lässt sich einiges feststellen. “In dieser Form” kann erstens alles Mögliche beinhalten, auch dass am Inhalt nichts geändert wird, sondern nur an der Verpackung, aber Politiker gelten ja als Verpackungskünstler. So gesehen übte sich Merz in “jemandem ein X für ein U vormachen”, was zweitens zum zweiten Sprichwort führt, nämlich “wenn das Wörtchen wenn nicht wär, wär mein Vater Millionär”. Nun ist Merz auch im realen Leben ein Millionär, aber im Gebrauch des Wörtchens “wenn” kennt er sich bestens aus. Denn über die Sache mit dem Asylgrundrecht will er nur reden, “wenn” dies gesamteuropäisch gedacht wird, also im Sinne einer starken EU. Ob die Leute, die in Seeberg an dieser Stelle heftig klatschten, da genau hingehört hatten?

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Neues von Friedrich Christo

Merz hatte also eine Menge Haken und Ösen in seine krachlederne Äußerung eingebaut. Aber egal, hängen sollte bleiben, dass er seinen Konkurrenten Jens Spahn rechts überholen wollte. Bleibt die Frage, warum Merz ausgerechnet in Seeberg dazu ausholte.

Die Antwort führt zur dritten Feststellung, und die hat mit seinem Schnupfen zu tun. Schon erstaunlich, dass Merz, kaum hat er ostdeutschen Boden betreten, kundtut, er sei “seit langem der Meinung”, dass offen über das Asylrecht geredet werden müsse; in den vergangenen Jahren hatte man das von Merz nicht so richtig mitgekriegt, aber er war ja auch beschäftigt, mit anderen Dingen.

In Ostdeutschland wie in West-, Nord- oder Süddeutschland gibt es Fragen an die Politik. Sie betreffen die Arbeitslosigkeit, die Zukunft des Alterns und der Pflege, die überforderten Schulen, der Lehrermangel, die Versiegelung der Landschaften, die marode Infrastruktur und die Ungewissheiten ob der fortschreitenden Digitalisierung, womit der Bogen zur ersten Frage nach der Arbeitslosigkeit geschlagen wäre. Mutig sind Politiker, wenn sie ehrliche Antworten darauf suchen und nicht nach dem erstbesten Applaus. Die Vermutung liegt nahe, dass Merz kein Interesse an Mut gegenüber seinem Publikum in Seeberg hatte: Mit seinen Worten übers Asylrecht und weiterem Augurengemäkel an dem geplanten UN-Migrationspakt, der derzeit einer Desinformationskampagne seitens der AfD unterliegt, redete er Leuten nach dem Mund. Politiker bewähren sich für anderes.

Thüringen, Seebach: Friedrich Merz, Ex-Unionsfraktionschef, stellt sich bei der CDU-Regionalkonferenz für Thüringen und Hessen den CDU-Mitgliedern vor. (Bild: Arifoto Ug/Michael Reichel/dpa)
Thüringen, Seebach: Friedrich Merz, Ex-Unionsfraktionschef, stellt sich bei der CDU-Regionalkonferenz für Thüringen und Hessen den CDU-Mitgliedern vor. (Bild: Arifoto Ug/Michael Reichel/dpa)

War doch alles nicht so gemeint

Heute wird sich Merz bestimmt im Laufe des Tages zu Wort melden, dass er das Grundrecht auf Asyl an sich nicht in Frage stellen wolle. Er wird sagen, dass er eine Diskussion über das Individualrecht habe anstoßen wollen. Man habe ihn missverstanden. Doch worum handelt es sich bei dieser Einzigartigkeit, die Merz bemängelte?

Das Individualrecht besagt, dass jeder Antrag auf Asyl einzeln geprüft werden muss – das betrifft auch Fälle aus so genannten sicheren Herkunftsstaaten. Nun ist es richtig, dass eine Liste solcher Staaten besteht, allein um die Prüfungen praktisch zu gestalten. Aber jeder Mensch trägt seine eigene Geschichte mit sich herum. Was missfällt daran Merz derart, dass er darauf verzichten wollte? Sicherlich, oft hat diese behördliche Prüfung viel zu lange gedauert, und dies hatte meist unsinnige Bürokratengründe. Das Individualrecht indes in Frage zu stellen hieße, tatsächlich Ungerechtigkeiten in ein Procedere zu bringen.

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Dass nun Spahn sich zum Verteidiger des Asylrechts aufschwingt, zeigt nicht nur seinen Wettbewerb mit Merz auf. Spahn weiß genau, dass das Grundrecht auf Asyl seit den vielen Änderungen in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts viele Federn lassen musste. Wer irgendwie als „Migrationsverhinderer“ auftreten will, kann gern am Asylrecht herumkritteln. Wer dagegen Migration verhindern wollte, müsste anderes tun, nämlich Stacheldraht um die Grenze legen und so tun, als wäre Deutschland ein Außenposten im All. Genau dies machte den Unterschied zwischen Schein und Sein.

Merz outete sich in Seeberg als mutloser Politiker. Das passt gar nicht zu seinem Image als unabhängiger Geist, der sich nicht verbiegen lasse. In Seeberg reichte dafür ein kleiner Schnupfen aus.

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