Kassenärzte fordern staatliche Medikamenten-Beschaffung

Die vorweihnachtliche Infektionswelle bringt das Gesundheitswesen gerade vielerorts ans Limit. Dazu stockt auch noch der Nachschub bei bestimmten Arzneimitteln. Muss die Politik noch stärker einschreiten?

In Deutschland werden einige Medikamente knapp. (Bild: dpa)
In Deutschland werden einige Medikamente knapp. (Bild: dpa)

Berlin (dpa) - Wegen der Lieferprobleme bei mehreren Medikamenten werden Forderungen nach direkter staatlicher Krisenhilfe lauter. «Jetzt ist das Bundesgesundheitsministerium gefragt, so schnell wie möglich die fehlenden Arzneimittel zu beschaffen», sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen. Nötig seien Sofortmaßnahmen wie zu Beginn der Corona-Pandemie, als auf dem Weltmarkt knappe Materialien wie Masken und Schutzkleidung nach Deutschland geholt werden mussten. Die Apotheken wandten sich strikt gegen Ideen zu «Nachbarschafts-Flohmärkten» für Medikamente.

«Arzneimittel gehören in Apotheken, nicht auf den Flohmarkt»

Der Präsident der Bundesapothekerkammer, Thomas Benkert, sagte: «Arzneimittel gehören in Apotheken, nicht auf den Flohmarkt - schon gar keine abgelaufenen.» Ärztepräsident Klaus Reinhardt hatte am Wochenende dem «Tagesspiegel» gesagt: «Wer gesund ist, muss vorrätige Arznei an Kranke abgeben. Wir brauchen so was wie Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft.» Die Bundesärztekammer erläuterte, in der jetzigen Infektionswelle sollte man sich im Familien- und Freundeskreis mit nicht-verschreibungspflichtigen, originalverpackten Arzneimitteln aushelfen. «Selbstverständlich ist damit kein «Flohmarkt» im wörtlichen Sinne gemeint.»

Auch die KBV reagierte ablehnend und wies auf Unverträglichkeiten von Medikamenten, Gefahren abgelaufener Arzneien und Unkenntnis darüber hin, aus welchen Quellen angebotene Mittel stammen. Allein diese Aspekte zeigten, dass fachkundige Beratung und Abgabe unabdingbar seien, sagte KBV-Vize Stephan Hofmeister. Der Mangel besonders bei der Versorgung von Kindern zeige, «dass wir zu abhängig geworden sind von der Produktion im Ausland. Das müssen wir perspektivisch ändern».

Zuletzt gab es Lieferschwierigkeiten bei Kindermedikamenten wie Fieber- und Hustensäften. Auch Mittel für Erwachsene sind betroffen, etwa Krebsmedikamente und Antibiotika, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erläutert hatte. Um gegenzusteuern, will er in dieser Woche auch Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorlegen, wie eine Sprecherin bekräftigte. Das Ministerium weist darauf hin, dass nicht alle Lieferengpässe auch Versorgungsengpässe bedeuten.

Angespannte Lage in vielen Kliniken

Angespannt ist die Lage angesichts der vorweihnachtlichen Welle mit Atemwegsinfekten weiterhin auch in vielen Kliniken. Der Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, sagte der «Augsburger Allgemeinen»: «Wir erleben gerade, dass alle Bereiche der Gesundheitsversorgung an ihre Grenzen stoßen.» Auch niedergelassene Ärzte hätten ihre Kapazitäten ausgeschöpft und seien durch Krankheitsfälle zusätzlich beeinträchtigt. Dasselbe gelte für die Krankenhäuser, deren Betten knapp würden und die die Überlastung des niedergelassenen Bereichs kaum noch ausgleichen könnten.

Derzeit sorgen neben Corona die Grippe sowie bei Kindern RS-Viren für viele Erkrankungen. Fast jeder zehnte Klinikbeschäftigte ist zudem laut Gaß aktuell erkrankt. Die Linke forderte eine Rückholprämie von 10.000 Euro für ehemalige Beschäftigte im Gesundheitswesen, um die Personalnot zu lindern. Nötig seien zudem mehr Stellen, mehr Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen, sagte Parteichef Martin Schirdewan in Berlin. Darüber hinaus verlangte er, die Herstellung von Medikamenten zurück nach Europa zu holen und die Kapazitäten auszubauen.

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