Nach Parlamentswahl in Frankreich - „Peinlich, Desaster, überschätzt“: Presse zerlegt Macron nach Wahl-Debakel

Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich.<span class="copyright">Michael Kappeler/dpa</span>
Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich.Michael Kappeler/dpa

Die Partei von Präsident Emmanuel Macron ist bei den französischen Parlamentswahlen nur auf Platz 3 gelandet. Sieger sind die Rechtspopulisten der Rassemblement National von Marine Le Pen. Die französische und internationale Presse knöpft sich nun Macron vor - ein Überblick.

Frankreichs Presse zerlegt Macron: „Vollständigeres Desaster kann man sich nicht vorstellen“

„Le Figaro“: Parlamentswahl, eine französische Katastrophe! Wenn sich Historiker mit der Auflösung befassen, werden sie nur ein Wort haben: Katastrophe! Ein vollständigeres Desaster kann man sich nicht vorstellen. Emmanuel Macron hatte alles oder fast alles: den Élysée-Palast und drei Jahre vor sich; eine Mehrheit, zwar eine relative, aber immerhin eine Mehrheit; eine Partei in Marschordnung; eine schmale, aber überraschend solide Wählerbasis; ein angekratztes persönliches Image, aber eine unbestreitbare Autorität. Er verliert alles, außer dem Élysée-Palast.

„Libération“: Der Staatschef hat Frankreich unter den Bus geworfen. Doch der ist weitergefahren und steht nun vor den Toren von Matignon (Sitz des Premierministers). Die einzige Möglichkeit, ihm den Zugang zu verwehren, ist eine republikanische Blockade nach links.

„Le Monde“: 2017 behauptete Emmanuel Macron, die extreme Rechte zu neutralisieren, indem er ein „progressives“ Lager verkörperte, das aus den Trümmern der Sozialistischen Partei und der Republikaner entstanden war. Sieben Jahre später erscheint er als derjenige, der den Marsch des RN zur Macht beschleunigt hat. Die Operation „Klärung“, die er am Tag nach den für die Machthaber katastrophalen Europawahlen eingeleitet hatte, endete am Sonntagabend mit der Torpedierung der Präsidentenmehrheit, die vom ersten auf den dritten Platz zurückgefallen ist.

Das Ergebnis ist eine beispiellose Schwächung der präsidialen Autorität in einem Schlüsselmoment der französischen Geschichte: Emmanuel Macron wurde von den Franzosen wegen seiner Regierungsform und seiner Politik desavouiert und hat auch die Kontrolle über die Partei verloren, die er ins Leben gerufen hat, sowie über die Persönlichkeiten, die in seinem Lager seine Nachfolge antreten wollen. Nie zuvor ist er so isoliert und so verschrien erschienen.

„Politico“: Macron ist schon vorbei. Kann jemand Le Pen stoppen?  Die erste Runde der Parlamentswahlen am Sonntag war eine persönliche Demütigung, ebenso wie sein atemberaubender Aufstieg ins Präsidentenamt vor sieben Jahren. Macron steht vor einer bitteren, schmerzhaften Entscheidung: Soll er alles daran setzen, die extreme Rechte aufzuhalten, oder versuchen, die Überreste seiner einst dominierenden Bewegung zu retten, bevor sie stirbt?"

Internationale Presse: „Das ist ein peinliches Ergebnis für Macron“

„Wall Street Journal“ (USA): „Wenn Sie mit Emmanuel Macron in einem Casino sind, dann ahmen sie nicht seine Einsätze nach. Der französische Präsident zockte, indem er eine kurzfristige Wahl zur Nationalversammlung ansetzte, und am Sonntag endeten er und seine Zentrumspartei auf einem schwachen dritten Platz im ersten Wahlgang. Die großen Sieger waren die Parteien der Rechten und der Linken (...) Das ist ein peinliches Ergebnis für Macron, der die unnötige kurzfristige Wahl ansetzte, nachdem das Rassemblemt National gut bei der kürzlichen Wahl zum Europäischen Parlament abgeschnitten hatte. Seine Wette war, dass die Wähler wieder nüchtern würden, wenn es um die Nationalversammlung ginge. Sie schenkten sich stattdessen noch einen Doppelten ein, mehr daran interessiert, eine Botschaft der Unzufriedenheit auszusenden als an Macrons Version einer zentristischen Nüchternheit.“

„Pravda“ (Slowakei): „Macron bezeichnete seine erfolgreicheren größten Gegner, die Nationale Sammelbewegung RN von Marine Le Pen und das linke Unbeugsame Frankreich LFI, als Gefahr, die sogar zu einem Bürgerkrieg führen könne. Die Frage ist daher, warum er sich entschied, Wahlen auszurufen, bei denen sehr wahrscheinlich ist, dass die RN ihren Triumph von der EU-Wahl wiederholt und womöglich der aufgehende Stern der Ultrarechten, Jordan Bardella, Premier wird.

Macron setzte auf das Schüren von Angst vor Konflikten zwischen den „Extremen“, als die er neben RN auch das linke LFI einordnete. (...) Der größte Feind Macrons ist aber seine eigene, streng rechtsgerichtete, antisoziale und neoliberale Politik und das rücksichtslose Durchsetzen umstrittener Gesetze wie zum Beispiel die Erhöhung des Rentenalters sowie das Leugnen von Problemen von ländlichen Regionen und Peripherie.“

„Aftonbladet“ (Schweden): „Weder die Franzosen noch Macrons eigene Regierungsmannschaft waren bereit für die Neuwahl. Der Präsident hat beschlossen, sie nach einem schlechten Ergebnis bei der EU-Wahl eigenhändig auszurufen. Die Wahl ist dabei eine Angelegenheit für ganz Europa. Frankreich ist eine tragende Säule nicht nur in der Nato, sondern auch in der EU.

Mit Blick auf die Spannungen - und die Spaltung - im Land kann das Ergebnis der zweiten Wahlrunde am 7. Juli nicht nur zu parlamentarischem Chaos, sondern auch zu großen Demonstrationen führen. Bis zu diesem nächsten Wahlgang haben wir nun noch eine Woche. Da Macrons Lager so weit zurückliegt, dürfte sich ein Teil seiner Wähler am 7. Juli umentscheiden. Hoffentlich retten die Franzosen ihr Land am kommenden Sonntag erneut aus den Klauen des Rechtsextremismus. Bis dahin halten sie und der Rest Europas den Atem an.“

„Macron hat sich überschätzt“

„La Stampa“ (Italien): Mit seiner Entscheidung, die Abgeordnetenkammer aufzulösen, wollte Präsident Emmanuel Macron eine Front von Republikanern um sich scharen, um sich als einziges echtes Bollwerk gegen die extreme Rechte zu positionieren und wie 2017 und 2022 seine politische Wette erneut gewinnen. Aufgrund der zahlreichen Spaltungen zwischen der gemäßigten Linken und der radikalen Linken von Jean-Luc Mélenchon rechnete er nicht damit, dass sich diese Kräfte für die Wahl in Form einer neuen Volksfront zusammenschließen.

Emmanuel Macron hat dieses Spiel verloren. Der Präsident sieht sich mit einem Land konfrontiert, das in drei Lager gespalten ist, mit der sehr realen Möglichkeit, dass die republikanische Rechte und die Linke zum ersten Mal nicht in der Lage sein werden, sich zu verbünden, um die extreme Rechte an der Macht zu hindern.

„El Pais“ (Spanien): „Der Sieg des Rassemblement National (...) in der ersten Runde der Parlamentswahl nimmt die (...) anderen Parteien in die Verantwortung. Entweder sie schließen sich in der zweiten Runde zusammen, um Marine Le Pens RN zu besiegen, oder sie riskieren, in einer Woche den Weg für eine rechtsextreme Regierung in Frankreich zu ebnen (...). Der Wiederaufbau der sogenannten republikanischen Front (...) dürfte nicht schwierig sein. Dabei müsste in Bezirken, in denen sich drei Kandidaten für den zweiten Wahlgang qualifiziert haben und einer von ihnen der RN angehört, derjenige zurücktreten sollte, der im ersten Wahlgang die wenigsten Stimmen erhalten hat.(...)

“De Tijd" (Belgien): „Letztlich sagen diese Ergebnisse noch nicht viel über die endgültige Verteilung der Sitze im Parlament aus. Denn nächste Woche gibt es eine zweite Runde in den Wahlkreisen, in denen kein Kandidat eine absolute Mehrheit erreicht hat. Und dann kommen taktische Erwägungen bei der Stimmabgabe ins Spiel. Wenn es ein RN-Kandidat in die zweite Runde schafft - was angesichts der Ergebnisse der ersten Runde kein Problem ist -, schließen sich die anderen Parteien normalerweise zusammen, um ihn zu besiegen.

Macron sah die vorgezogenen Wahlen als eine Art Volksabstimmung über seine Politik in der Mitte seiner zweiten Amtszeit. Aber er hat seine Stärke eindeutig überschätzt.“