Überschattet von Gewalt: Mexiko wählt neues Staatsoberhaupt und Parlament

Historische Wahlen in Mexiko: Fast hundert Millionen Wahlberechtigte waren am Sonntag zum Urnengang aufgerufen, bei dem aller Voraussicht nach erstmals eine Frau zur Präsidentin des lateinamerikanischen Landes gewählt wird. (Alfredo ESTRELLA)
Historische Wahlen in Mexiko: Fast hundert Millionen Wahlberechtigte waren am Sonntag zum Urnengang aufgerufen, bei dem aller Voraussicht nach erstmals eine Frau zur Präsidentin des lateinamerikanischen Landes gewählt wird. (Alfredo ESTRELLA)

Überschattet von Gewalt haben die Menschen in Mexiko am Sonntag ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Fast hundert Millionen Wahlberechtigte waren zum Urnengang aufgerufen, bei dem aller Voraussicht nach erstmals eine Frau zur Präsidentin des lateinamerikanischen Landes gewählt wird. Klare Favoritin war die Physikerin Claudia Sheinbaum von der regierenden Linken, deren stärkste Rivalin war die Oppositionskandidatin Xóchitl Gálvez.

Das Problem der in Mexiko grassierenden Gewalt prägte den Wahlkampf und auch den Wahltag selbst. In der Nacht zum Sonntag erschossen Unbekannte im westlichen Bundesstaat Michoacán den 35-jährigen Kandidaten Israël Delgado. Mindestens 25 weitere Kandidaten waren in den Monaten zuvor ermordet worden.

Die 61-jährige Sheinbaum lag in den drei Monaten des Wahlkampfs in allen Umfragen deutlich vor ihrer stärksten Rivalin, der Mitte-Rechts-Kandidatin Gálvez, die für ein Bündnis aus drei Oppositionsparteien antrat. "Dies ist ein historischer Tag, ich bin sehr glücklich", sagte Sheinbaum auf dem Weg zu ihrer Stimmabgabe in Mexiko-Stadt. "Lang lebe die Demokratie!" rief sie, nachdem sie den Stimmzettel in die Urne geworfen hatte.

Die Einwohner der Hauptstadt kennen Sheinbaum, Enkelin europäischer Juden, aus ihrer Zeit als Bürgermeisterin (2018 bis 2023). Die Politikerin profitiert auch von der Popularität des scheidenden Staatschefs Andrés Manuel López Obrador, der die Linke 2018 in Mexiko an die Macht brachte und nicht mehr für eine zweite Amtszeit antreten darf.

"Eine Frau als Präsidentin bedeutet eine Veränderung - hoffen wir, dass sie mehr für dieses Land tun wird", sagte die 55-jährige Wählerin Clemencia Hernández. "Die Gewalt gegen Frauen liegt hier bei hundert Prozent."

Gewählt wurde in der zweitgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas nicht nur eine neue Präsidentin. Auch die Mandate für Abgeordnetenhaus und Senat wurden neu vergeben, in neun Bundesstaaten wurden die Gouverneure gewählt und in zahlreichen Kommunen die Lokalpolitiker. Landesweit ging es insgesamt um rund 20.000 Posten - so viele wie bei keiner Wahl zuvor in Mexiko.

Der Kampf gegen die grassierende Banden- und Drogenkriminalität in Mexiko dürfte auch für die neue Präsidentin die größte Herausforderung sein, sagte Michael Shifter vom Thinktank Diálogo Interamericano mit Sitz in Washington.

Seit Beginn eines umstrittenen Militäreinsatzes gegen die Drogenkartelle im Jahr 2006 wurden in Mexiko insgesamt mehr als 450.000 Menschen getötet, weitere 100.000 Menschen gelten als vermisst.

Weiteres großes Thema sind die komplexen Beziehungen zum mächtigen nördlichen Nachbarn USA. Aktuell fordert die US-Regierung von Mexiko eine Eindämmung des Handels mit der synthetisch hergestellten Droge Fentanyl, die in den USA eine Opioid-Welle mit tausenden Toten ausgelöst hat.

Die mexikanische Regierung hat ihrerseits vor zwei US-Gerichten Prozesse gegen US-Waffenhersteller angestrengt, deren Waffen sie für zahllose Tote im Land verantwortlich macht.

Dauerbrenner im bilateralen Verhältnis ist das ungelöste Problem der irregulären Zuwanderung von Mexiko in die USA. Allein im vergangenen Jahr gab es auf US-Seite nach Angaben der Behörden 2,4 Millionen Festnahmen.

Viel wird für "la presidenta" freilich auch vom Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA abhängen. Am 5. November entscheidet sich, ob es Mexiko noch einmal mit Donald Trump im Weißen Haus zu tun bekommt, der in seiner ersten Amtszeit insbesondere gegenüber Mexiko eine einwanderungsfeindliche Politik verfolgte.

Wird Sheinbaum Präsidentin, ist fraglich, ob sie sich noch auf eine Mehrheit im Kongress stützen kann. Bei der Zwischenwahl 2021 hatte ihre Morena-Partei die absolute Mehrheit verloren.

ju/bfi