Rechtsextreme Drohung aus Frankreich - Klemmt Le Pen uns Deutschen den Strom ab? „Das ist der Gipfel der Lächerlichkeit“

Atomkraftwerk in Frankreich (Archivbild): Könnte eine rechtsextreme französische Regierung uns den Strom abdrehen?<span class="copyright">Getty Images</span>
Atomkraftwerk in Frankreich (Archivbild): Könnte eine rechtsextreme französische Regierung uns den Strom abdrehen?Getty Images

Die Ankündigung sorgte für Aufsehen: In Frankreich will sich die rechtsextreme Rassemblement National (RN) aus dem europäischen Strommarkt zurückziehen und an Länder wie Deutschland keinen Strom mehr liefern. Die Folgen wären katastrophal - für Frankreich.

Die Aussagen stammen schon vom 13. Juni, für Aufregung haben sie aber erst jetzt gesorgt. Jordan Barella, Spitzenkandidat der rechtsextremen französischen Partei Rassemblement Nationale (RN), gab dem TV-Sender BFMTV ein Interview – in dem es auch um Deutschland ging. Für Bardella nämlich seien es „Deutschland und die Europäische Kommission, die künstlich beschließen, den französischen Strompreis an den Preis des zuletzt aufgerufenen Kraftwerks zu koppeln – also an den Gaspreis“.

Für Frankreich, so Barella, sei das ein echter Wettbewerbsnachteil. Daher werde er mit der Europäischen Kommission aushandeln, „aus den Preisfestsetzungsregeln auszusteigen und Frankreich sofort die Rückkehr zu einem französischen Strompreis zu ermöglichen“. Das Land werde damit einen Wettbewerbsvorteil erlangen, der sich aus dem günstigen Strom seiner Atomkraftwerke speise.

Strominsel Frankreich?

Ende Juni ging die RN als großer Sieger aus der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich hervor – und der Interviewausschnitt begann, in Deutschland Sorgen auszulösen. „Die Folgen für Deutschland wären katastrophal“, unkte ein bekanntes rechtes Nachrichtenportal, „jetzt könnte die deutsche Energiewende vollends in die Krise geraten!“ Eine der wichtigsten Figuren von RN ist die langjährige Parteivorsitzende Marine Le Pen, die nicht gerade als Deutschland-Freundin gilt. Le Pen gab den Vorsitz im Jahr 2022 an Barella ab, die Tochter des Parteigründers Jean-Marie Le Pen zieht aber immer noch im Hintergrund die Fäden. Will Le Pen jetzt also Deutschland zur Strom-Geisel nehmen?

Die wichtigste Nachricht vorneweg: Ein Abkoppeln des französischen Strommarkts von Europa ist so gut wie unmöglich. Politisch hat die EU-Kommission keinen Grund, Frankreich eine entsprechende Genehmigung zu erteilen und den europäischen Binnenmarkt zu torpedieren. Eine mögliche rechtsextreme Regierung müsste sich dafür schon komplett aus der EU verabschieden. Das ist zumindest nicht unmöglich – doch in diesem Fall hätte Europa ohnehin ganz andere Sorgen. Staatspräsident Emmanuel Macron würde außerdem sein Veto einlegen. Auch technisch müsste Frankreich alle seine Verbindungen ins Ausland kappen und sich vollends zur Strominsel machen, was ein enormer Aufwand wäre.

Das große Export-Geschäft

Ein Blick auf die Funktionsweise des europäischen Strommarkts hilft, den französischen Frust zu verstehen – und zu sehen, warum ein Ausstieg trotzdem eine schlechte Idee wäre. Die nationalen Stromnetze der EU-Länder sind durch grenzüberschreitende Leitungen, sogenannte Konnektoren, miteinander verbunden. An der europäischen Strombörse Epex, die ihren Sitz ironischerweise in Paris hat, sind die nationalen Märkte aneinander gekoppelt. Hier können zum Beispiel deutsche Energiekonzerne ihren Strom auch in Frankreich oder Dänemark kaufen.

Weil die französische Flotte von Atomkraftwerken größtenteils abbezahlt ist und weil der zuständige Kraftwerksbetreiber EDF von staatlicher Hand großzügige finanzielle Hilfen erhält, ist der in Frankreich produzierte Strom oft günstiger als der in den europäischen Nachbarländern. Die Folge: Frankreich ist einer der größten europäischen Nettoexporteure, verkauft jährlich im Schnitt zwei- bis dreimal so viel Strom ins Ausland, wie es von dort einkauft.

Die größten Abnehmer sind – in dieser Reihenfolge – Großbritannien, Italien, die Schweiz, Belgien und Deutschland. Die Bundesrepublik etwa hatte in ihrer Erzeugung jahrzehntelang auf Braun- und Steinkohle gesetzt, aber weil durch den CO2-Preis die Kohle immer teurer wird, kauft Deutschland jetzt in einigen Fällen lieber ausländischen Strom ein statt die heimischen Kraftwerke anzuwerfen. Wenn Frankreich sich vom europäischen Strommarkt abkoppelt, gehen dem Land also viele Export-Einnahmen verloren.

Frust über Deutschland

Allerdings: Wenn die Nachfrage aus dem Ausland mal wieder besonders hoch ist, kann das gelegentlich dazu führen, dass in Frankreich die Strompreise steigen. Das frustriert nicht nur die Rechtsextremen von der RN. „Frankreich muss aus dem europäischen Energiemarkt aussteigen, um wieder eine autonome Stromproduktion und günstigere Strompreise zu garantieren“, sagte der Vorsitzende der konservativen Partei Les Républicains (LR), kurz vor den Parlamentswahlen in einem Interview mit dem Radiosender France 2. Und die mächtige linke Gewerkschaft CGT arbeitet schon seit Jahren an Konzepten, wie der europäische Strommarkt abgelöst werden könnte.

Und gerade der deutsche Strommarkt sorgt bei ausländischen Handelspartnern immer wieder für Frust. Energiewende und Atomausstieg haben bei der deutschen Stromproduktion ein großes Nord-Süd-Gefälle verursacht: Durch große Windparks in der Nordsee erzeugt Norddeutschland wesentlich mehr Strom, als es braucht, während sich der Süden nicht mehr selbst versorgen kann. Der Strom muss also weite Wege zurücklegen, die fälligen Transportkosten werden aber im deutschen Strompreis nur unzureichend abgebildet.

Deutscher Strommarkt: „Funktioniert heute nicht effizient“

Denn im Gegensatz etwa zu den skandinavischen Ländern besteht Deutschland nur aus einer einzigen Strompreiszone - die Transportkosten werden auf alle Bundesländer umgelegt, die nördlichen Länder müssen den Transport ihres Stroms in den Süden dadurch mitbezahlen. Bei einer Zone für den Norden und einer für den Süden wäre der Strompreis im Süden höher, weil er die Transportkosten alleine tragen müsste. Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg stemmen sich jedoch gegen die Einführung von Zonen, aus nachvollziehbaren Gründen.

Das macht den deutschen Strommarkt für ausländische Partner nur schwer zu durchschauen. Schweden etwa hatte erst im Juni dem Bau einer geplanten Mega-Stromleitung in die Bundesrepublik eine Absage erteilt. „Wir können Südschweden, das ein großes Defizit in der Stromproduktion hat, nicht mit Deutschland verbinden, wo der Strommarkt heute nicht effizient funktioniert“, erklärte Energieministerin Ebba Busch. Aus Ländern wie Dänemark, der Schweiz und eben Frankreich kamen in der Vergangenheit ähnliche Beschwerden.

„Deutschland hat Kapazität, Frankreich nicht“

Wie viel Strom Deutschland wirklich aus Frankreich bezieht, wird in beiden Ländern aber gerne überschätzt. Der deutsche Nettoimport aus dem gesamten Ausland betrug im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 11,2 Terawattstunden, das sind knapp fünf Prozent der deutschen Stromproduktion. Ein Ausstieg Frankreichs aus dem europäischen Strommarkt würde die Energiekosten in Deutschland erhöhen, weil die Bundesrepublik dann mehr auf teuren Strom aus Gas und heimischer Kohle setzen müsste. Er würde aber keinen Kollaps verursachen.

„Das ist auch der große Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich“, sagt Bruno Burger, Strommarkt-Experte des Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). „Deutschland hat genügend Erzeugungskapazität, um auch ohne Importe auszukommen. Frankreich nicht.“ Denn tatsächlich gibt es auch Perioden, in denen Frankreich in großem Stil importieren muss - dann aber aus Gründen der Versorgungssicherheit.

Bibbern vor dem Winter

In kalten Wintern etwa übersteigt der französische Strombedarf regelmäßig die eigene Produktion. Frankreich heizt viel mit elektrischen Widerstandsheizungen, der Strombedarf steigt daher in kalten Wintern rasant. Vor allem Deutschland hilft dann mit Exporten von Wind- und Kohlestrom aus. Die EU-Kommission spricht daher oft davon, dass der gemeinsame Strommarkt helfe, zu „glätten“: Einerseits die Preise auf dem Kontinent, andererseits die Lücken bei der Versorgungssicherheit.

Ein anderes Beispiel ist das Jahr 2022, als ein Drittel der französischen Atom-Flotte wegen Wartungsproblemen und technischer Pannen stillstand. Um den Herbst und Winter zu überstehen, lieferte die Bundesrepublik damals 15 Terawattstunden Strom an den westlichen Nachbarn. Auch der Klimawandel könnte für die französischen AKWs künftig zum Problem werden: Durch die Erderwärmung heizt sich das Kühlwasser der Flüsse auf und kann immer öfter nicht verwendet werden.

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„Musste gerade laut lachen“

Deutsche Expertinnen und Experten reagieren daher entspannt auf die Drohung der französischen Rechtsextremen. „Haha, musste gerade laut lachen“, schrieb der Energieökonom Lion Hirth von der Hertie School Berlin am Mittwoch auf X, ehemals Twitter . „Bin gespannt, wann da jemand auf den Trichter kommt, dass Frankreich (wie die meisten Länder) bei Spitzenverbrauch regelmäßig auf Stromimporte angewiesen ist.“ Und der Ökonom Stefan Bach ergänzt : „Das ist ja wohl der Gipfel der Lächerlichkeit angesichts der maroden französischen Atomkraftwerke, die 2022/23 massenhaft ausfielen.“

Auch in der französischen Energiebranche hat die Idee nur wenige Anhänger. Eine Abkopplung vom europäischen Energiemarkt berge das „Risiko von Stromausfällen“, sagte Catherine MacGregor, Chefin des Energiekonzerns Engie, der Zeitung La Tribune. Es sei mit größeren Versorgungsproblemen und höheren Preisen zu rechnen. Die Idee sei „unrealistisch“, urteilte Émeric de Vigan, Vizepräsident der Energieberatungsfirma Kpler, im Branchenmedium Montel . Frankreich brauche im Winter den Strom seiner europäischen Nachbarn, außerdem könne das Land nicht auf die Einnahmen durch den Export verzichten. Die RN wolle damit nur Punkte bei potenziellen Wählern sammeln, vermutet de Vigan.