Unsere Reporter erzählen - Inside Fußball-EM: Hinter den Kulissen ist es ganz anders, als alle denken

Johannes Mittermeier und Dominik Rosing in EM-Stadien<span class="copyright">privat</span>
Johannes Mittermeier und Dominik Rosing in EM-Stadienprivat

Die Fußball-EM in Deutschland ist ein Weltereignis – und für diejenigen, die beruflich dabei sein dürfen, auch ein Privileg. Wie aber läuft es hinter den Kulissen ab, wie sehen die Tage und Abläufe aus? Zwei unserer Reporter berichten von ihren EM-Erlebnissen.

Die Frage ist eigentlich gar keine Frage, eher eine als Wunsch getarnte Aufforderung: Machst du auch Fotos? Wenn eine Fußball-Europameisterschaft in Deutschland steigt, interessiert das offenbar auch diejenigen, die sonst wenig mit Sport anfangen können – erst recht, wenn es um die berühmten Blicke hinter die Kulissen geht.

Die FOCUS-online-Reporter Dominik Rosing, der die deutsche Nationalmannschaft während der EM begleitet, und Johannes Mittermeier, der beim Turnier auf Deutschland-Tournee ohne DFB-Bezug ist, wollen der Bitte gerne nachkommen. Immerhin genießen sie das nicht zu unterschätzende Privileg, das sportliche Weltereignis vor Ort verfolgen zu können. Also: Ja, es gibt Fotos. Und diesen Text.

Wir starten unsere Konferenzschaltung im DFB-Camp in Herzogenaurach: Wie läuft es dort an spielfreien Tagen ab? Domi, bitte melden!

Spielfreie Tage: Zuschauen, zuhören, aufschreiben

Rosing: 08.00 Uhr, tägliche EM-Konferenz via Teams. Was passiert heute? Wer ist wo unterwegs? Welche Themen brennen? Im Anschluss geht es von meiner Zeit-Wohnung in Erlangen hinüber nach Herzogenaurach, dem DFB-Headquarter. Hier herrschen beste Bedingungen – auch für uns Journalisten.

Ausreichend Arbeitsplätze, überdimensionale Bildschirme mit Dauer-EM-Beschallung, aus dem Freizeitbereich ist das leise Ploppen von Tischtennisbällen zu hören. An der Platte gibt es epische Duelle mit den Kollegen. Selten bin ich der Sieger. An der Konsole sieht es besser aus.

Mit dem Leih-Scooter geht es rund um das malerische Gelände zum Trainingsplatz. Dann warten, stehen, plaudern, bis die Spieler den Rasen betreten. 15 Minuten dürfen wir täglich verfolgen. Eine Runde Warmlaufen, Dehnübungen, Kurzpassspiel und Sprints.

Die Zeit ist kostbar, jeder Augenblick muss sinnvoll genutzt werden. Wie ist die Stimmung? Läuft jeder rund? Wer macht Späße, wer schaut ernst drein? Wer ist bei jeder Übung vorne mit dabei? Zwischen den Kamerateams und Fotografen stehe ich mit meinem Fernglas und verpasse nichts. „Schluss machen“, heißt es dann immer vom DFB.

Ein Blick ins Mediencenter beim DFB<span class="copyright">Getty Images</span>
Ein Blick ins Mediencenter beim DFBGetty Images

Mit dem Scooter zurück, konzentriertes Schreiben im Media Center. Wie am Fließband sitzen die Journalisten Schulter an Schulter und tippen ihre Worte in ihre Notebooks. Hier entstehen exklusive News, hintergründige Einblicke.

Nach dem Mittag gibt es die tägliche Pressekonferenz. Alle sitzen bereit, wenn am Ende des Raumes die sich öffnende Tür den Eintritt des jeweiligen Spielers verrät. Die Fernsehkameras schnellen um, die Fotoapparte klippern, die Bleistifte kratzen auf Papier. Fragen, Antworten, Zuhören, Notieren.

Jeder, der sich meldet, wird auch von Pressesprecherin Franziska Wülle drangenommen. Zurück an den Laptop, die Geschichten des Tages schreiben sich nicht von selbst, oder Johannes?

Mittermeier: Das stimmt, wobei ich bei meinem Turnier-Alltag fast keine spielfreien Tage kenne. Und keine Scooter. Und keine epischen Tischtennisduelle (es ist ein trauriges Dasein). Ausnahme ist die EM-Eröffnung, als ich sinnigerweise von München nach Berlin reise, während Deutschland in München die Schotten empfängt.

Klingt seltsam, hat aber Vorteile, weil mich die eineinhalbstündige Verspätung der Bahn am Folgetag weit mehr gestresst hätte – da muss beziehungsweise darf ich ins Berliner Olympiastadion, Spanien gegen Kroatien. So verpasse ich die fantastisch spielenden Deutschen und die fantastisch feiernden Schotten, erlebe das 5:1 dafür von der Fan-Zone am Brandenburger Tor – ganz privat.

Rückpass zu dir, Domi. Wie läuft es an den Spieltagen, bevor es im Stadion zur Sache geht?

Vor dem Spiel erst in die Stadt, dann zum Stadion

Rosing: Für die späten Spiele in München, Frankfurt und Dortmund reise ich bereits am Vortag an und habe auch für die Nacht nach dem Spiel ein Hotelzimmer. In Stuttgart reise ich am Spieltag an und wieder ab. Generell verbringt man viel Zeit im Auto – gut, wenn man sich mit Kollegen anderer Medienhäuser vernetzen kann.

In der Stadt versuche ich dann viel von der Stimmung aufzusaugen. Fanfeste, Fanmärsche, Saxophon, mittendrin. Da bekomme ich richtig Lust aufs Spiel und spüre die EM-Euphorie im Land.

Ein Blick ins Media Hub<span class="copyright">privat</span>
Ein Blick ins Media Hubprivat

Für uns Medienmenschen öffnet das Stadion vier Stunden vor Anpfiff. Dank Parkausweis geht es nah an den Eingang, dort warten Sicherheitskontrollen wie am Flughafen.

Das Gepäck wird geröntgt, selbst muss man durch den Scanner. Um den Hals: die Akkreditierung. Die ist heilig, wird gut beschützt. Ohne sie geht nichts. Wie oft ich schon panisch an meinen Hals griff, weil ich sie verloren wähnte. Geht’s dir ähnlich, Johannes?

Mit der Bahn quer durch Deutschland – auf eigene Gefahr…

Mittermeier: Und ob! Vielleicht noch kurz zur Erklärung: Um überhaupt an die Akkreditierung zu gelangen, beginnt unsere EM bereits im Winter – Uefa-Anfragen benötigen Vorlauf, Arbeitsproben, Arbeitgebernachweise. Mitte Mai trudeln die Zu- und Absagen ein, ich darf mich über viele „Confirmed Media Bookings“ freuen und baue mir eine Reiseroute, die auch geographisch Sinn ergibt, mit sieben Spielen in sechs Städten binnen elf Tagen. Ich weiß also: Das wird aufregend und anstrengend.

Besonders gilt das, sorry, für die Deutsche Bahn. Ich sollte mal ausrechnen, wie viele Kilometer ich während der EM auf Schienen abreiße. Und wie viele Verspätungsstunden sich summieren.

Einmal fahre ich von Stuttgart nach Dortmund, zu Frankreich gegen Polen, aber weil mit diversen Signal-, Weichen- und sonstigen Störungen alles schiefläuft, komme ich bei knapp 30 Grad gehetzt und verschwitzt erst fünf Minuten vor den Hymnen an, so gerade eben.

EM-Reporter Johannes Mittermeier auf seinem Platz im Stadion<span class="copyright">privat</span>
EM-Reporter Johannes Mittermeier auf seinem Platz im Stadionprivat

Grundsätzlich gleichen sich meine Turniertage: Früh aufstehen, zum Bahnhof hechten, den Zug nehmen (manchmal verbunden mit einem Text), schnell zur Unterkunft (in einigen Städten habe ich Übernachtungsmöglichkeiten bei Freunden – danke Jacky, Vali, Lisa!), dann in Fan-Pulks weiter zum Stadion. Alles ziemlich getaktet. Und schiefgehen sollte trotz eingeplanter Zeitpuffer wenig, aber zum Glück nutze ich ja die Bahn.

Vor Ort weisen freundliche Volunteers in grünen T-Shirts die Wege, auch zum sogenannten Media Hub, einer Art Zelt am Stadion, mit Schreibtischen, Loungebereichen, Speisen und Getränken. Ein guter Ort zum Austausch – obwohl die internationalen Journalisten, das ist zumindest meine Erfahrung, rund ums Spiel lieber für sich bleiben möchten. Oder halt in Ruhe arbeiten. Verständlich. Einmal lerne ich beim Essen einen Kollegen aus Polen kennen, wir unterhalten uns über Lewandowskis Zeit bei Bayern, ein nettes Gespräch.

Gehen wir rein ins Stadion. Dort sticht die Pressetribüne ja immer schön heraus mit ihren Tischen, Fernsehern, Steckdosen und Kabeln. Nimm uns bitte mal mit, Domi.

Auf der Pressetribüne: Nach Abpfiff geht die Arbeit erst richtig los

Rosing: Hier ticken viele Journalisten unterschiedlich. Manche bleiben bis kurz vorm Anpfiff im Media Hub, manche – wie ich – gehen so früh es geht auf die Pressetribüne. Ich liebe es zu beobachten, wie sich die Ränge füllen und sich die Stimmung steigert. Ich sitze dann da mit meinem Fernglas und schaue umher.

Auf die Sitze, auf das Feld, auf die Seitenlinie. Wie geben sich die Spieler bei der Platzbegehung, welche TV-Teams sind unten unterwegs, belustigt der echte Albärt die Fans?

Da ich keine direkte Live-Berichterstattung mache, kann ich das Spiel etwas entspannter verfolgen als andere. Der Laptop bleibt zu, auf einem Notizzettel schreibe ich mir Gedanken auf. Taktischer und analytischer Natur, aber auch Eindrücke der Atmosphäre.

Im Gruppenchat der Redaktion tauschen wir uns parallel über mögliche Themen aus. Ab Minute 60 wird dann meist schon losgelegt. Der Feind eines jeden Journalisten mit zeitlicher Deadline: späte Wendungen und Verlängerung. Ein Spiel wird von hinten nach vorne erzählt, heißt es so schön. Erst mit Schlusspfiff kennt man die (tragischen) Helden einer jeden Geschichte.

Die Pressetribüne im Berliner Olympiastadion<span class="copyright">privat</span>
Die Pressetribüne im Berliner Olympiastadionprivat

Mittermeier: Im Prinzip fängt die Arbeit richtig an, wenn das Spiel vorbei ist. Das bedeutet naturgemäß auch Spätschichten, in Gelsenkirchen wird es bei mir 2 Uhr morgens, in Stuttgart rund 3 Uhr, in Düsseldorf nach Frankreich gegen Österreich fast 4 Uhr.

Hintergrund: Als sich Kylian Mbappé die Nase bricht und obendrein von den Österreichern für Unfairness kritisiert wird, komme ich nach der Mixed Zone gegen 1:30 Uhr in meinem Zimmer an und lege los – nächtliche Updates aus dem Krankenlager inklusive. Den Zug um 9 Uhr sollte ich trotzdem erwischen…

Apropos Mixed Zone, der Ort, an dem sich Spieler und Journalisten treffen: Ist das Gedränge bei Deutschland-Spielen auch so groß wie bei, sagen wir, Portugal gegen Georgien?

Die Mixed Zone: Willkommen zur „Pferde-Auktion“

Rosing: Ohja! Ich bin immer recht spät zur Party, weil ich kurz nach Abpfiff noch mit der Redaktion eine Video-Schalte produziere, in der wir über ein bestimmtes Thema sprechen. Daher komme ich im Anschluss in einen überfüllten Raum, irgendwo in den Katakomben des Stadions; meist tief im fensterlosen Keller (schön eng, heiß, stickig und riecht entsprechend). An manchen Standorten sind auch Zelte außerhalb der Arenen aufgebaut, weil die bestehenden Mixed Zones zu klein für die Vielzahl internationaler Medien wären.

In der Mixed Zone ist es voll - hier wird Maxi Mittelstädt von den Journalisten belagert<span class="copyright">privat</span>
In der Mixed Zone ist es voll - hier wird Maxi Mittelstädt von den Journalisten belagertprivat

Weil ich so spät in die Mixed Zone komme, habe ich keine realistische Chance auf die „Front Row“, da geht’s sowieso zu wie auf einem Rockkonzert. Ellbogen hier, Handys und Kameras da, ins Ohr wird dir auch gebrüllt. „Wie auf der Pferde-Auktion“, witzelte Thomas Müller auf der kleinen Tribüne in München, als alle Reporter zeitgleich eine Frage stellen wollten.

Exklusivität ist hier begrenzt, nur die Rechteinhaber erwischen die Spieler im Einzelinterview. Jemanden am Ende der Mixed Zone „abfangen“, wie es in der Bundesliga oftmals möglich ist, funktioniert zumindest bei Deutschland-Spielen nicht. Und bleibt tatsächlich jemand stehen, stürzen sich die gemeinen Kollegen wir Piranhas um dich.

Mittermeier: Irgendwie ist die Mixed Zone ein bizarres und – in meinen Augen – teilweise unsägliches Schauspiel. Es springt einfach wenig heraus, eigentlich fast nichts. Zumal bei der EM hauptsächlich in den jeweiligen Nationalsprachen kommuniziert wird, kaum einmal auf Englisch. Ich bin ehrlich: Von einer Mixed Zone war ich nie Fan und werde auch keiner mehr.

Vom EM-Erlebnis dagegen umso mehr. Versteckte Gänge eines Stadions erkunden, die Dynamik des Spiels und die Spieler hautnah erleben, einen Blick durchs Schlüsselloch wagen – we call it a Traumjob.